Es sollte der schönste Tag von Tochter Emily (Sarah Mahita) werden. Doch ihre Hochzeit im Familienhaus wirkt schon auf den ersten Blick seltsam, denn außer der eigenen Familie ist nur ein Freund von Bräutigam Chris (Aram Arami) gekommen. Auch Bruder Felix (Merlin Rose), extra angereist aus Kanada, macht nicht den freudigsten Eindruck. Schwester Leo (Morgane Ferru) versucht krampfhaft gute Laune zu verbreiten und die letzte des Geschwister-Quartetts, Eva (Stefanie Reinsperger), eckt mit ihrer direkten Art immer wieder an. Und zu allem Überfluss sind sich Mama Barbara (Juliane Köhler) und Papa Richard (Götz Schubert) auch nicht mehr ganz grün. 

Und während die Familie unter ziemlich bedrückenden Umständen so etwas wie eine Hochzeitsfeier hat, geht die Alarmanlage los und das Haus riegelt sich von selbst ab. Die Stimmung in der Familienvilla schlägt schnell um und es wird auch schnell klar, wieso: Emily wurde als Kind entführt und mehrere Wochen gefangen gehalten. Das hat sie so sehr traumatisiert, dass sie bis heute unter Panikattacken leidet. Es hatte aber auch folgenschwere Auswirkungen auf alle anderen Familienmitglieder, die bis heute nachwirken. 

Esther Bernstorff, die die Idee zur Serie hatte und maßgeblich am Drehbuch mitgewirkt hat, hat zusammen mit den Co-Autorinnen Annika Tepelmann, Annette Simon und Stefanie Misrahi eine Geschichte geschaffen, die schnell an Fahrt aufnimmt und einen Sog entwickelt, dem man sich als Zuschauer nur schwer entziehen kann. Das liegt auch daran, dass man das ganze Familiendrama gemeinsam mit Regisseur Alain Gsponer erst Schritt für Schritt freilegt. 

Starkes Buch, noch stärkerer Cast

Als dann schließlich erneut ein Familienmitglied spurlos verschwindet, kommen bei allen verdrängte Gefühle hervor und das "Haus aus Glas" wird fast schon zu einem Thriller. Alle wähnen sich einem ähnlichen Albtraum wie damals, als Emily entführt wurde und ihr Vater viel Lösegeld zahlen musste. Dieses Mal muss Vater und Familienpatriarch aber auch noch die Geschicke seiner Gießerei schaukeln, die zuletzt in Schieflage geraten war. Zum Unverständnis seiner Kinder will er nicht der strebsamen Eva das Unternehmen überlassen, sondern dem gerade erst eingeheirateten Chris. 

Haus aus Glas © WDR/Constantin Film/Michel Vertongen Um die familieneigene Gießerei entbrennt ein Streit zwischen Vater Richard und seinen Kindern

Grundsätzlich haben die Macherinnen eine starke Geschichte geschaffen, die über alle sechs Folgen hervorragend trägt. Manchmal wäre ein bisschen weniger aber vielleicht auch mehr gewesen. Die Tatsache, dass wirklich alle Familienmitglieder dieses oder jenes Päckchen mit sich herumtragen müssen, wirkt hin und wieder anstrengend. So haben die Protagonisten nicht nur Geldprobleme und Auseinandersetzungen innerhalb der Familie, es geht auch um Alkohol- und Medikamentenmissbrauch, einen Sorgerechtsstreit, Sexsucht, einen bislang unerfüllten Kinderwunsch, ein Doppelleben, Betrug und grundsätzliche Probleme der Selbstfindung. In Flashbacks wird auch ein Gewaltausbruch von Felix in der Vergangenheit thematisiert - sowie der Versuch der Klärung mit dem damaligen Opfer. Und über allem schwebt das Schicksal von Emily, dem sich alle unterordnen müssen - so zumindest das Gefühl der anderen Geschwister. 

Viele Nebenkriegsschauplätze

Es sind etwas zu viele Nebenkriegsschauplätze, aber das wunderbare Ensemble manövriert sich ganz hervorragend durch den trotzdem immer eingängigen Plot. Felix kann man seine Unsicherheit am Dackelblick ansehen. Leos Unsicherheit spiegelt sich in ihrer aufgesetzten Lockerheit wider und Eva ist hin und hergerissen zwischen ihrer kaputten Familie, der Arbeit in der Gießerei und dem Kinderwunsch mit ihrer Partnerin. Und Emily ist ohnehin der fragilste Charakter, den es seit langer Zeit im deutschen Fernsehen gegeben hat. Die Maskenbildner dürften jedenfalls viel Zeit damit verbracht haben, Schauspielerin Sarah Mahita ein verweintes Gesicht zu schminken. 

Weil ein großer Teil der Handlung in der bereits angesprochenen Familienvilla spielt, ist "Haus aus Glas" an manchen Stellen fast schon eine Art Kammerspiel, bei dem ein vergleichsweise kleiner Cast sechs 45-minütige Folgen ganz hervorragend zu nutzen weiß. Der bedrückende und verkrampfte Familienhorror liegt in fast jeder Szene in der Luft, erst ganz am Ende löst sich das ein Stück weit auf, wobei einige Fragen offen bleiben. In jedem Fall liegt in der Serie von Constantin Television und Beside Productions (Produzentinnen: Kerstin Schmidbauer, Constanze Guttmann; Executive Producer: Oliver Berben) eine wahre Botschaft: Gerade in Familien ist es wichtig, offen und ehrlich miteinander zu kommunizieren. Auch über Dinge, die einem vielleicht nicht so leicht fallen. Wer sich an diesen Rat hält, wird es wohl einfacher haben als Emily, Eva, Felix, Leo und ihre Eltern. 

Das Erste zeigt "Haus aus Glas" am 9. und 10. Januar jeweils ab 20:15 Uhr in Doppelfolgen, die Folgen fünf und sechs gibt’s am 12. Januar ab 22:20 Uhr zu sehen. Alle Episoden stehen bereits jetzt in der Mediathek zum Abruf bereit.