Die letzte Ausgabe des alten "Hart aber fair" ist Mitte Dezember zu sehen gewesen. Dass es 2024 mit weitreichenden Veränderungen weiter geht, ist spätestens seit Ende September 2023 bekannt. Die Macherinnen und Macher von Florida Factual hätten, trotz der gegenseitigen Sticheleien mit Frank Plasberg und dessen Produktionsfirma, also genug Zeit gehabt, um sich eine gute erste Sendung zu überlegen. In der Theorie hat man auch viel verändert und will beispielsweise verstärkt sogenannte Bürgergäste in Szene setzen, die aus ihrem Leben berichten. "Wenn Politik auf Wirklichkeit trifft", nannte das Jörg Schönenborn, WDR-Programmdirektor unter anderem für Information, zuletzt. 

Dumm nur, wenn das völlig in die Hose geht - und möglicherweise entscheidende Informationen über die Gäste fehlen. 

In der ersten auch optisch erneuerten Ausgabe von "Hart aber fair" begrüßte Moderator Louis Klamroth am Montag unter anderem Zuhra Visnjic, eine Friseurmeisterin aus Remscheid. Die sprach zunächst über ihre Existenzängste und darüber, dass einfache Arbeiterinnen und Arbeiter nicht mehr "geschätzt" würden. Ihr gegenüber saßen SPD-Politiker Carsten Schneider, Beauftragter der Bundesregierung für Ostdeutschland, CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann und Sahra Wagenknecht, die gerade erst ihre eigene Partei gegründet hat. Und natürlich ist es für die Politiker in dieser Konstellation schwierig, sinnvolle Antworten zu finden, die einerseits auf den konkreten Fall abzielen und andererseits das große Ganze im Blick haben. 

Das Problem lag aber an einer ganz anderen Stelle: Wer im Internet sucht, bemerkt schnell, dass die Friseurmeisterin aus Remscheid bereits in der Vergangenheit ein gefragter Gast in TV-Sendungen war. In der "ZDF Reportage" zum Thema "Wenn Selbstständigkeit zum Albtraum wird" war sie ebenso zu sehen wie bei "Stern TV" im vergangenen Jahr, als es um die Mittelschicht in Deutschland ging. Wer die beiden Sendungen schaut, erfährt, dass die Friseurmeisterin mit ihrem Laden monatlich nur 480 Euro verdient. Und anscheinend hat sie immer eine etwas andere Geschichte für die TV-Teams parat: Im ZDF heißt es, es würden in der Woche nur noch 10 Kunden kommen, früher seien es 20 gewesen. Bei "Stern TV" ist von höchstens 30 Kunden pro Woche die Rede, früher sollen es 45 gewesen sein.  

Die Redaktion hat geschludert

Bei diesen Zahlen ist es natürlich klar, dass sich die Friseurmeisterin, wie bei "Hart aber fair" geschehen, gegen eine Erhöhung des Mindestlohns ausspricht, weil sie dann ihre Mitarbeiter, die sie nach eigenen Aussagen hat, nicht mehr bezahlen kann. Und es stellt sich ganz grundsätzlich die Frage, ob diese Frau tatsächlich als Beispiel für Probleme des Mittelstands taugt. Es drängt sich jedenfalls der Verdacht auf, dass in dem Friseurladen grundsätzlich etwas schief läuft - und die "Hart aber fair"-Redaktion ihr Publikum bewusst im Dunkeln darüber lässt. Und das ist auch eine Kritik an Moderator Louis Klamroth, der durch den Produzentenwechsel ja auch inhaltlich mehr mitreden wollte. 

Und mal ehrlich: Bei einer so langen Vorbereitungszeit und einem so wichtigen Neustart wäre es doch angebracht gewesen, eine Protagonistin zu finden, die nicht schon durch andere TV-Sendungen getingelt ist und ihre Geschichte dort immer etwas anders erzählt. Immerhin die Kundin, die zum Haare schneiden vorbei kommt, war nun schon im ZDF, bei RTL und im Ersten zu sehen. 

Nun ist das ein sehr spezielles Problem der ersten Ausgabe des neuen "Hart aber fair" und es wird zu beobachten sein, inwiefern man die Bürgergäste auch künftig in die Sendung einbezieht und wer diese Personen sind. Grundsätzlich hat man es aber ja ein Stück weit zum Konzept erhoben, über Einzelschicksale zu sprechen, bei denen die Politikerinnen und Politiker angehalten sind, möglichst konkrete Antworten zu geben. Dass die meist wenig zur Problemlösung beitragen können und so immer etwas schlechter wegkommen, gehört dazu. Damit hebt sich "Hart aber fair" von den anderen Polit-Talks im öffentlich-rechtlichen Kosmos ab, was gewollt war und sicher keine schlechte Sache ist. Und dennoch wäre es wünschenswert, wenn man zumindest authentische Gäste finden und das Konzept stimmiger umsetzen würde. 

Es spricht nichts gegen Bürgerbeteiligung...

Louis Klamroth machte in der ersten Ausgabe des Jahres 2024 einen soliden Job und leistete sich keine großen Aussetzer. Der Moderator war nicht nur persönlich bei einem Protest der Bauern vor Ort, sondern auch beim Gründungsparteitag der neuen Wagenknecht-Partei - und konnte die Politikerin direkt mit widersprüchlichen Aussagen konfrontieren. CDU-Politiker Linnemann brachte er mit der Frage nach möglichen Strafen für Blockierer von Straßen ins Schlingern - die hatte die Unionsfraktion im Bundestag gefordert, allerdings zielte man damit auf die sogenannten Klimakleber ab und nicht auf die Landwirte. Klamroth: "Verstehe ich Sie richtig? Sie wollen, dass Landwirte härter bestraft werden, wenn sie Häfen wie heute in Hamburg blockieren?"

Dass die Sendung hintenraus mit dem Soziologen Nils Kumkar und der Demo-Organisatorin Maria Fichte flüssiger und auch inhaltlich besser wurde, ist vielleicht ein Wink mit dem Zaunpfahl. Da hatte man dann zwar nicht mehr das Bild Bürger gegen Politik, aber konnte auf höherem Niveau diskutieren als zuvor. Es dürfte spannend sein, wohin die Reise für Louis Klamroth und "Hart aber fair" in den kommenden Wochen geht. Es spricht nichts gegen Bürgerbeteiligung in der Sendung, aber dann sollte man sie doch bitte professionell umsetzen und nicht so schludrig wie in dieser Ausgabe.