Banküberfälle gehören ins Mesozoikum der Kriminalgeschichte, vor Urzeiten schon vom Meteoriteneinschlag des digitalen Zeitalters ausgerottet wie Dinosaurier und nicht mal mehr fürs nostalgieaffine Fernsehen geeignet. 2021 wurden daher ganze 28 Geldhäuser ausgenommen. Für Betroffene sind das zwar exakt 28 zu viele, aber 90 Prozent weniger als noch neun Jahre zuvor, während sich die Zahl gesprengter Geldautomaten zugleich verzehnfachte.

Filmreife Heists sind halt hochriskante Unterfangen – das deutet sich gleich zu Beginn der ARD-Serie "Testo" an, als die Polizistin Billy Fischer zurück am Tatort einer frisch geplünderten Sparkassenfiliale Blutspuren von bedrückender Länge findet. Es scheint also einiges schief gelaufen zu sein, nachdem Kida Khodr Ramadan uns in seiner neuen Gangsterballade das verbrecherische Personal vorstellen durfte.

Es sind: der Autor, Regisseur, Hauptdarsteller höchstpersönlich als gutartiger Bandenchef Keko, Frederick Lau als bipolarer Proll Stulle, Stipe Erceg als fiebriger Dressman Pepsi, Veysel Gelin als jähzorniger Pitbull Barro und der passive Fluchtfahrzeugfahrer Kongo (Mortel Jovete) im Schlepptau. Gemeinsam nutzen sie einen Gefängnisfreigang zum Beutezug im Plattenbau, was – da unterscheidet sich das lineare nicht vom digitalen Unterhaltungsangebot – natürlich leichter geplant ist als getan.

Schon im ersten der sieben knapp 20-minütigen Teile hagelt es Katastrophen, weshalb das Quintett nicht nur sechs Geiseln in der Bank hat, sondern das SEK inklusive Barros Intimfeind Schweinebacke davor. Wobei abseits von Ramadans klangvollem Stammpersonal schon dessen Darsteller Roland Zehrfeld belegt, was er für einen Cast um sich scharen kann, sobald er wilde Sachen dreht. Und das, obwohl es oft ziemlich gleichwilde Sachen sind...

Seit der geborene Bauchschauspieler den italo-amerikanischen Tony Soprano in Marvin Krens Neuköllner Kiezserie "4 Blocks" zum germano-libanesischen Toni Hamadi berlinerte, dekliniert er dessen kriminelle Energie auch als Filmemacher durch. Sein Regiedebüt "In Berlin wächst kein Orangenbaum" macht ihn 2020 zum krebskranken Mörder. Drei Jahre später zieht Ramadans Clan-Chef "Der Kurde" die Fäden im eigenen Knastdrama "Asbest". Jetzt erfüllt ihm die ARD den Herzenswunsch Heist-Movie. Wobei ihn der Grenzgänger natürlich anders umsetzt als branchenüblich.

Weg vom "theatralischen Ingwertee-Biotomaten-Film", wie er es ausdrückt. "Bisschen Gas geben, mutig sein, nicht die Sehgewohnheiten bedienen". Und das gelingt. Teilweise zumindest. Denn so neugierig Armin Franzens Kamera mal klare, mal grobkörnige Bildsprachen von Egoshooter-Perspektive bis Überwachungsoptik auslotet, so klischeehaft geraten viele Figuren darin. "Testo" steht schließlich für „Testosteron“. Und davon laufen Ramadans Täter notorisch über, wenn sie ihre Opfer nicht nur dominieren, sondern erniedrigen.

Diesem Exzess bandenkrimineller Unberechenbarkeit sind mutlose Kundinnen (Kathrin Angerer) und Kunden (Julius Feldmeier) ebenso ausgeliefert wie die couragierte Bankerin (Jeanette Hain) oder deren Angestellte (Ruby O. Fee). Vorwiegend weibliche Objekte durchweg männlicher Subjekte, denen Keko in Kidas Lieblingspose als sensibler Pate mit Dackelblick und Knarre begegnet. Warum sich seine Gang nach erfolgreichem Raubzug demaskiert, um fortan wiedererkennbar Dutzende Schließfächer zu knacken, bleibt dabei zwar ein dramaturgisches Rätsel.

Ramadans Drehbuch löst es allerdings mithilfe seiner Ko-Autorin und "Asbest"-Cutterin Olivia Retzer auf, indem sie die telegene Eskalationslogik baugleicher Fiktionen wie "Helsinki Syndrome" oder "24 Hours" aufgreifen, der selbst "Tatort"-Kommissare regelmäßig in Banküberfälle folgen: Weil sich die Waffenungleichheit zwischen Täter und Opfer zum Allmachtgefühl verselbständigen und Stockholmsyndrome erzeugen kann, bleibt die Impulskontrollstörungen der Kidnapper und Gekidnappten durchaus plausibel.

Erstere schießen vielleicht ein bisschen zu schnell für Freigänger, sie agieren ein bisschen zu abgebrüht für Kleingangster, reagieren ein bisschen zu unkoordiniert für Großgangster, lachen ein bisschen zu irre für Normalgangster. Und dass Katharina Thalbachs Polizeipräsidentin mal eben eine Streifenpolizistin (Nicolette Krebitz) zur Einsatzleiterin einer bewaffneten Geiselnahme befördert, dürfte sogar noch seltener vorkommen als Banküberfälle in Zeiten des Onlinebankings.

Nur: letzteres entfacht halt nicht dieses testosterongeschwängerte Theaterdonnern, das Ramadan so liebt und zum szenetypischen Gossensprechgesang von "Fotze" bis "Ficken" mit viel Improvisationsvermögen à la Jan Georg Schütte unter Cid Rims grollenden Soundtrack stapelt. Spätestens seit "4 Blocks" und "Para" weiß das Produzenten-Duo Wiedemann & Berg schließlich genau, wie zugkräftig Gangstarap-befeuerte Ghettostudien sind, wenn sie im Keller der Wohlstandsgesellschaft implodieren.

Dort also, wo ihr kreativer Kopf born and raised, aber auch herausgekommen ist, ohne Kreuzberg hinter sich zu lassen. "Mein Gott, warum macht ihr diese Probleme?" fragen Kida und Keko im Chor, als ihr Coup zusehends blutig aus dem Ruder läuft: "Ihr bleibt ruhig, wir bleiben ruhig, ist ganz einfache Mathematik." Eine Wissenschaft, die der Schulabbrecher mit HipHop-, nicht aber Haft-Erfahrung so gut beherrscht, dass man ihm sehnlichst etwas zum 48. Geburtstag Anfang Oktober wünscht: Mach was anderes als Testosteron über Führungszeugnisse zu kippen bis der Knastarzt kommt. Du kannst das! Vermutlich besser als andere.

Die sieben Folgen "Testo" stehen ab dem 2. Februar in der ARD-Mediathek zum Abruf bereit.