Bewegte Bilder sind hierzulande selten mit allzu subversivem Aberwitz verbunden. Und falls doch, ist er noch viel seltener gezeichnet oder animiert. Während „Beavis and Butt-Head“ die Messlatte der Anarchie schon 1993 gebirgshoch tiefergelegt hatten, ist Trickfilm made in germany bis heute eher „Fix und Foxi“ als „Rick and Morty“, also bieder banal illustriert wie Alliterationen zur Betonung feuilletonistischer Kritik, also popkulturepochenweit entfernt von „Friedefeld“.

Mit ihrer zehnteiligen Zeichentrickserie versucht die ARD-Mediathek in betont krakeliger Kombination aus Dadaismus, Satire und Anarchie ab heute, drei Jahrzehnte verpennter Fernsehentwicklung nachzuholen. Ob es gelingt? Die „erste deutsche Animated Sitcom“ jedenfalls, wie sie das Erste nennt, tut exakt das, was ihre englischsprachigen Vorbilder bereits seit „South Park“ perfektionieren: Den Irrsinn der Normalität so zu übersteuern, dass sie mit jedem Pixel- oder Pinselstrich surrealer wird – und dadurch noch wahrhaftiger.

Eine Figur wie der Werbetexter Paul wirkt 27 Jahre später folglich nicht nur deshalb so echt, weil er vom leibhaftigen Weltstar David Kross gesprochen wird; es gibt sie ja wirklich: zugleich hyperaktive und antriebslose Multioptionsjongleure der Generationen Y bis Z, denen die Welt so lange zu Füßen liegt, bis Welt und Füße vor lauter Startverschiebung einschlafen. Im Fall von Pauls Fantasienest Friedefeld allerdings, das sich kaum zufällig auf die Gewöhnlichkeitschiffre Bielefeld reimt, kommt noch einiges obendrauf.

Der Prokrastinier-Virtuose mit Sneaker-Fimmel ist schließlich ein Drittel halber Drillinge dreier Mütter, die zeitgleich Kinder vom selben Mann – dem Einstecktuchsnob Gerd – gekriegt haben. Wobei die zielstrebige Topmanagerin Barbie mindestens mal das Zehnfache an Zug im Leben hat als Paul, während es Ludwig wiederum auf maximal ein Zehntel der Antriebskraft seines Halbbruders kommt.

Erstere setzt alles daran, mit ihrem Energiewende-Startup Giesel die größte Grünfläche der Stadt mit E-Ladesäulen vollzupflastern und trägt ausschließlich Highheels zum Businessdress. Letzterer ist so faul, dass er gar keiner Tätigkeit nachgeht und selbst in der Öffentlichkeit nie etwas über der Unterhose trägt. Pauls Energie-Level dümpelt also ungefähr mittig zwischen dem seiner zwei Geschwister vor sich hin. Dennoch reicht es weder für Persönlichkeits- und Karriereentwicklungen oder auch nur das Vorspiel mit seiner Freundin.

Kein Wunder, dass Berthe (Nora Becker) vom Serienglotzen genervt im Bett des perfekten Jan (Rajko Geith) landet. Fortan zieht sich Pauls anschließender, nun ja: Beziehungskampf über fast 250 Minuten, in denen jede Figur mehr oder minder überlebensgroße Macken und Marotten hat; was die Showrunner Alfonso Maestro und Tillmann Orion Brehmer im Auftrag von BR und SWR für brave new world und Little Dream Entertainment animieren, ist jedoch eher auf drollige als surreale Art alltagskonform.

Ganz angenehm eigentlich in der weiten Welt importierter Animationen von „Family Guy“ bis „Ugly Americans“, die ihre unbegrenzten Möglichkeiten gezeichneter Wirklichkeiten auf Spartenkanälen wie Adult Swim oder Comedy Central gern mit irrationaler Regelverachtung nutzen. Wo philosophierende Hunderüden und sozialintegrierte Fabelwesen oft normaler sind als ihre (Mit-)Menschen, entwickelt eben selbst Ludwigs Versuch, seinen Haarausfall mit Kaviar zu stoppen, den Charme des denkbar Absurden.

Was auf Simpsons-Fans hasenfüßig wirken könnte, wagt also den Spagat zwischen Satire und Groteske. „Friedefeld“ balanciert somit eher auf den Spuren von „Bob’s Burger“ als „BoJack Horseman“ und füllt die Lücke deutscher Anarcho-Anime gezeichnet, aber filmreif. Dass die ARD dabei deren Güte unterbietet, liegt also nicht am Format, sondern in der Natur öffentlich-rechtlicher Seriensachen. Denn über die Mittel hinaus fehlen der deutschen Low-Budget-Produktion Furchtlosigkeit, Fantasie, das Feingefühl, um internationales Niveau zu erreichen. Schlimmer noch.

Während der rechte „American Dad“ in jede Richtung inklusive der eigenen auskeilt, treten Brehmer und Maestro lieber dorthin, wo es aktuell wohlfeil ist: nach linksoben. Vor allem woke, vegane, queere, bildungsaffine, achtsame „Gutmenschen“ wie Friedefelds grüner Bürgermeister, dessen SUV vor Bestechungsgeld für Barbies Greenwashing überläuft, kriegen daher ständig ihr Fett weg. An wahrhaft mächtige Spätkapitalisten wagen sich die (männlichen) „Friedefeld“-Macher hingegen nur in Gestalt alter, toxisch weißer Giesel-Vorstände heran.

Ist halt leichter, auf Computer-Nerds (männlich, dick, Incel) oder TikTok-Stars (weiblich, dürr, Influencerin) rumzuhacken. Wenn viele Stimmen dann auch noch ohne Zwang zur Lippen-Synchronität so aufdringlich klingen wie Johannes Langes (viel zu kehliger) Ludwig oder Frank Gustavus‘ (viel zu öliger) Gerd, hagelt es demnach Abschaltimpulse. Dass man am Ende doch online bleibt, liegt da besonders an ein paar Nebenfiguren.

Dem Rapper €annabis €hampagne zum Beispiel, der ausnahmslos im Autotune-Modus redet. Und Faye Süßenbach verpasst Barbies Assistentin Gigi einen devot gelangweilten Singsang, der das überkandidelte Businessdomina-Sprech ihrer Chefin (Jacqueline Belle) ein bisschen ausbalanciert. Sie sorgen dafür, dass „Friedefeld“ meist doch nicht im typisch deutschen Vollkaskowahnsinn versandet – obwohl Giesel am Ende Panzer statt Klimaschutz produziert. So sind sie halt, die gegendert-grünen Woke-Weiber von heute.

Die zehn Folgen von "Friedefeld" stehen ab sofort in der ARD-Mediathek zum Abruf bereit.