Wie nachhaltig und allgemein gültig ist die Transformation der Medienlandschaft hin zu einem direkt auf den Verbraucher ausgerichteten, von Fandom-Kultur geprägten Modell. Brauchen Marken Fans statt Reichweite? Community statt Kontakten? Für viele traditionelle Medien-Unternehmen würde diese Affinity Economy - das neueste Buzzword - einen neuen Ansatz erfordern. 

Erstes Highlight des Kongressprogramms am Montagvormittag war der Auftritt von Pedro Pina, Head of YouTube EMEA bei Google. Im Gespräch mit Branchenanalyst Evan Shapiro und Jasmine Dawson, SVP Digital bei BBC Studios, ging es um den Wandel der Medienlandschaft, der schon im Vorfeld der Fernsehmesse allein durch die große Präsenz von Youtube in Cannes oft besprochen wurde.

Der Markt sehe sich mit weniger traditionellen Käufern, Konsolidierungen und sinkenden Auftragsraten konfrontiert, so Shapiro. Gleichzeitig werde der Verbraucher zum neuen „Käufer“, der seine Entscheidungen direkt auf verschiedenen Plattformen trifft, insbesondere auf sozialen Plattformen wie YouTube. Mainstream-Medien, wie er sie nennt, müssen direkte Beziehungen zu den Verbrauchern aufbauen und die Creator Economy nutzen, um sie zu erreichen.

YouTube @ MIPCOM © MIPCOM

Dem pflichtet Jasmine Dawson, SVP Digital bei BBC Studios bei. Man habe die Besessenheit des Publikums in den Mittelpunkt seiner Strategie gestellt. Die Zusammenarbeit mit YouTube sei dabei entscheidend, um diese „Creative First”-Denkweise voranzutreiben und das Publikum dort zu erreichen, wo es sich befindet, etwa mit einer Marke wie BBC Earth. Dessen YouTube-Präsenz steigere die Zuschauerzahlen und Lizenzerlöse für die wichtigsten Dokumentarfilme auf traditionellen Plattformen und zeigt damit eine für beide Seiten vorteilhafte Beziehung.

Die stellt auch Pedro Pina heraus, betont auf der Bühne des Grand Auditorium in Cannes aber auch: „Wir werden nicht in Inhalte investieren“. Man sehe sich als Ökosystem. Er stapelt tief: "Wenn es unseren Partnern gut geht, geht es auch YouTube gut." Vom Saulus zum Paulus also. Die Plattform, die einst einmal auch durch Inhalte so groß und beliebt wurde, die dort illegal verfügbar waren, sieht sich jetzt im Dienste der Kreativität. Was Pina allerdings nicht sagt: Wenn Partner mit ihrem Content scheitern, kostet es nur die Partner etwas - und YouTube nichts.

Man sei nicht nur eine Plattform für Werbeeinnahmen, sondern ein Ökosystem, in dem Content-Ersteller und Studios ganze Unternehmen aufbauen können - mit über 20 Möglichkeiten zur Monetarisierung von Inhalten, darunter E-Commerce, Paywalls, Podcasts und Live-Streams. YouTube-Manager Pina ermutigt nicht nur einzelne Creator sondern auch etablierte Studios zu YouTubern zu werden. Weniger aggressiv als Shapiro sieht er die seine Plattform nicht als Sargnagel für Mainstream Media, sondern als Partner.

Ein Partner, mit jüngerer und interaktiver Zielgruppe. „Pull“ statt „Push“: Es gebe eine grundlegende Verlagerung von der Ausstrahlung von Inhalten (Push) hin zur Gewinnung von Zuschauern, die aktiv nach Inhalten suchen und sich mit ihnen beschäftigen (Pull). Das gehe einher mit einer Abkehr von traditionellen Kennzahlen wie „Reichweite“ hin zu „Affinitätskennzahlen“ wie der Wiedergabezeit, wobei der Fokus auf der Pflege und Einbindung des Publikums liegt, erzählt Jasmine Dawson, SVP Digital bei BBC Studios, aus ihrer Arbeit mit YouTube.

YouTube © MIPCOM

Pedro Pina wirbt für eine „Test and Learn“-Mentalität, auch bei Distributoren. Eine Experimentierfreudigkeit mit dem Bewusstsein, dass nicht jede Initiative erfolgreich sein wird. Man könne aber in Echtzeit aus den Daten lernen. Viele Creator, die mit YouTube arbeiten, seien ihm Grunde auch Datenanalysten erster Güte, weil YouTube hochspezifische Daten im Sekundentakt liefert, sodass Content-Produzenten die Reaktionen des Publikums verstehen und kontinuierlich optimieren können.

Es ist ein entspannter Auftritt für Pedro Pina bei der MIPCOM. Sein Unternehmen ist omnipräsent im Diskurs dieser Messe, gleichzeitig ein Marktteilnehmer der weder kaufen noch verkaufen muss. Ein dominierender Player im Mediengeschehen - ganz ohne eigenes Risiko, ohne Investment. Dafür mit Ratschlägen, deren Kern nicht von der Hand zu weisen ist: YouTube biete Zugang zu Zielgruppen, die über bestehende traditionelle Vertriebskanäle nicht mehr oder immer schwieriger erreicht werden können.

Es ist das Argument mit dem sich YouTube zum Komplementärpartner für den älter werdenden linearen TV-Markt positioniert. Auch er betont, wie Dawson von der BBC und ohnehin Evan Shapiro: Priorisieren Sie Affinität! Pedro Pina: „Konzentrieren Sie sich auf Kennzahlen wie Wiedergabezeit und Interaktion statt nur auf die Anzahl der Aufrufe.“ Und BBC Studios sieht Chancen für Medienhäuser, wenn sie sich ein Stück weit als Agentur begreifen, die zwischen Creator und Plattformen sitzen.

YouTubes erster großer Aufschlag bei der MIPCOM war von Understatement geprägt. Kein Wort, keine Zahl zur eigenen Größe - oder besser gesagt: Dominanz. Das hat die Google-Tochter allerdings auch gar nicht nötig, weil der Markt sehr wohl darum weiß. Beinahe demütig präsentierte Pina YouTube als Möglich-Macher und weitere Windowing-Möglichkeit für Content. Ein Münchener Produzent fasst es beim Rausgehen allerdings ein bisschen ernüchtert zusammen: „Partnerschaft ist für YouTube, wenn andere Risiko und Finanzierung tragen.“