Ein kurzer Blick ins zoologische Lexikon zeigt, dass der typische Maulwurf nur dann an die Oberfläche kommt, wenn es sich gar nicht vermeiden lässt, und ansonsten sein höchst komplexes unterirdisches Netzwerk aus selbst gegrabenen Tunneln und Gängen bevorzugt. Man muss vor diesem Hintergrund anerkennen, mit welcher Konsequenz John de Mol seinen Namen – "de Mol" heißt auf Niederländisch "der Maulwurf" – zur Marke erkoren hat. Nachdem das Kapitel Endemol für den TV-Unternehmer abgeschlossen war, wechselte er zur lateinischen Gattungsbezeichnung Talpa und bleibt dieser auch über Firmenverkäufe und Neugründungen hinweg treu. Den "The Voice"-Produzenten Talpa Media veräußerte er 2015 für rund eine Milliarde Euro an ITV Studios. Unter dem Label Talpa Network betreibt er weiter seine Fernseh- und Radiosender sowie Zeitschriften; entwickelt und produziert wird seit 2020 bei Talpa Studios.
Was dort anders läuft als bei seinen früheren Gründungen, verriet de Mol 2021 im DWDL.de-Interview: "Ich hatte keine Lust mehr, in mehreren Ländern erst Firmen hochzuziehen und steuern zu müssen, bevor wir uns um Inhalte kümmern können. Deswegen wollen wir Partnerschaften schließen in allen wichtigen Ländern und auch nicht mehr zu viel Zeit verlieren mit kleineren Ländern." Das Modell scheint gut zu funktionieren. Während der MIPCOM wurde etwa bekannt, dass Talpa Studios seine jüngste Quizshow-Entwicklung "Caught in the Middle" nach Australien verkauft hat – dort produziert die Fremantle-Tochter Eureka Productions. Nur im niederländischen Heimatmarkt setzt de Mols Firma das Format ab Anfang 2026 selbst um – im Auftrag von de Mols Sender SBS6.
Das Konzept von "Caught in the Middle" sieht vor, dass ein Kandidatenduo inmitten einer riesigen LED-Arena steht und von hundert Gegnern umringt wird. In 15 Fragen müssen die beiden die Menge übertrumpfen, indem sie Antworten auswählen, die mit möglichst vielen Gegnern übereinstimmen, und diese so nacheinander ausschalten, bevor die Gegner die Mitte erreichen und den Jackpot von 50.000 Euro für sich beanspruchen können. Wenn man sich dabei entfernt an "The Floor" erinnert fühlt, so ist das kein Zufall. Der bislang größte Exportschlager aus dem Hause Talpa Studios weist ebenfalls eine gigantische LED-Spielfläche und hundert Teilnehmer auf. Während der MIPCOM verzeichnete er Verkäufe an MBC im Nahen Osten und Nippon TV in Japan – und ist damit nun in 30 verschiedenen Territorien angelangt.
Umsatz 2024: nicht bekannt Gesellschafter: John de Mol (100%) Geschäftsführung: John de Mol (Chairman), Maarten Meijs (CEO), Geertje Hoek (Managing Director), Jasper Hoogendoorn (Chief Creative Officer), Guy Vossen (CFO)Talpa Studios auf einen Blick
"Das Erreichen unserer 30. Beauftragung ist ein Meilenstein, auf den wir unglaublich stolz sind", lässt sich de Mol zitieren. "Mit der MENA-Region, die nun mit an Bord ist, und unserem allerersten Verkauf in Japan zeigt sich die universelle Stärke des Formats. In all meinen Jahren in dieser Branche ist es das erste Mal, dass eines meiner Formate in Japan ausgestrahlt wird, was diesen Moment zu etwas ganz Besonderem macht." Das Quizformat startete 2023 bei RTL Nederland. Hierzulande liefen zwei Staffeln bei Sat.1, die von der mittlerweile abgewickelten ProSiebenSat.1-Tochter Cheerio Entertainment produziert wurden. Die schnelle Ausbreitung von "The Floor" hängt auch mit dem internationalen Hub-Modell zusammen, das Talpa Studios praktiziert – ein aufgefrischtes Rezept aus frühen Endemol-Zeiten. Einmal entwickelt und gebaut, dient das moderne Hightech-Set in Hilversum als Produktionsort für mehr als die Hälfte der internationalen Adaptionen. Zwei weitere Hubs sind inzwischen im Baltikum und in Argentinien aktiv, um die entsprechenden Regionen zu bedienen.
Talpa Studios selbst bezeichnet diese Struktur als "Eckpfeiler der Rollout-Strategie" und spricht von "skalierbaren, effizienten, studiobasierten Unterhaltungsshows, die auf vor Ort verfügbarem Fachwissen basieren und für Partner weltweit anpassbar" seien. Das Prinzip findet nicht nur bei "The Floor" Anwendung, sondern auch bei weiteren Talpa-Formaten wie "The Quiz with Balls", das in acht Länder verkauft wurde und in Deutschland voriges Jahr als "Splash! – Das Promi-Pool-Quiz" bei RTL lief. "Durch die Produktion mehrerer lokaler Versionen in einem einzigen Studio maximieren wir die Effizienz und ermöglichen es Partnern weltweit, studiobasierte Unterhaltungsshows mit uns zu skalieren", sagt Sebastian van Barneveld, Director Global Distribution.
Dass de Mol insbesondere den umkämpften US-Markt im Blick hat, zeigen seine Formatpartnerschaften mit "Love is Blind"-Produzent Kinetic Content und Spielwaren-Multi Hasbro. Als erste gemeinsame Entwicklung von Talpa und Kinetic findet das psychologische Reality-Format "Watch Your Back" den Weg auf den Bildschirm. Darin kommen zwölf Prominente in eine Villa ohne Spiegel, in der sie zu einer bloßen Nummer werden. Diese Nummer steht auf ihrem Rücken und ist für alle sichtbar – außer für sie selbst. Um im Spiel zu bleiben, müssen die Promis ihre eigene Nummer herausfinden, indem sie zum Beispiel Allianzen bilden und andere Teilnehmer fragen oder Challenges meistern, um einen Spiegelgarten betreten zu dürfen. Eine erste Staffel wird momentan für NPO Start, die Streaming-Plattform der niederländischen Öffentlich-Rechtlichen, gedreht. Mit Hasbro wiederum hat Talpa das Brettspiel "Trivial Pursuit" zum TV-Quiz gemacht, das in den USA beim CW Network und in Spanien bei RTVE läuft.
De Mol, dessen persönliches Vermögen "Forbes" auf rund 1,7 Milliarden Euro schätzt, macht dem Maulwurf nicht nur beim fleißigen Bau komplexer Netzwerke alle Ehre – sondern auch beim Abtauchen: Halbwegs aktuelle Umsatzzahlen von Talpa Studios oder Talpa Network sind nicht auffindbar, weil der Alleininhaber seinen gesetzlichen Publizitätspflichten schon seit Jahren nicht nachkommt. Wie das "Financieel Dagblad" im Frühjahr schrieb, nutzt de Mol seit 2012 geschickte rechtliche Konstruktionen, um die Veröffentlichung von Geschäftsberichten kontinuierlich zu verschieben.
Immer wenn ein Konzernabschluss durch die oberste Muttergesellschaft im Talpa-Reich fällig wäre, wird demnach eine neue Holding gegründet. Das Unternehmen erklärte dazu, es nutze diese Konstruktion, um de Mols Privatsphäre zu schützen, da dieser regelmäßig Drohungen ausgesetzt sei. Nur im Zuge der 2021 angestrebten, letztlich aber an den Kartellbehörden gescheiterten Fusion von Talpa Network und RTL Nederland stand in einer Angebotsunterlage zu lesen, dass de Mols Sender im Jahr 2020 einen Umsatz von 433 Millionen Euro erzielt hatten.
Europas Studios im Umbruch – bisher erschienen