Herr Ziems, Herr Jollet, im Digitalen entstehen so viele TV-Angebote, dass die Einstiegsfrage vorab mal sein muss: Was unterscheidet Quazer von Magine, Zattoo und Co.?

Olivier Jollet: Magine, Zattoo und Co. sind tolle Produkte. Sie erlauben den Nutzern, die klassischen Fernsehsender auf neuen Devices zu empfangen. Das ist gut, aber die festen Sendezeiten und die Idee eines einmal konfektionierten Programms, das dann allen gefallen muss, bleibt dort bestehen. Stichwort: One to many. Wir gestalten für jeden Nutzer ein eigenes Programm basierend sowohl auf Algorithmen, die Interessen und Sehgewohnheiten analysieren als aber auch mit Redakteuren, die für unterschiedliche Interessensgruppen Kanäle füllen.

Also Fernsehen für meine ganz individuelle Filterblase?

Sören Ziems: Wir kuratieren unsere Kanäle auch, aber nicht allein auf Basis von Algorithmen. Ja, wir personalisieren basierend auf der individuellen Nutzung. Wenn Sie also bestimmte Inhalte überspringen oder andere besonders mögen, dann bekommen Sie eine immer stärker personalisierte Auswahl im jeweiligen Themengebiet. Anders als YouTube, wollen wir den Nutzer dabei nicht immer wieder vor Entscheidungen stellen, was er als Nächstes gucken will. Wir machen ihm ein Angebot, dass er entspannt zurückgelehnt gucken kann und die dank seines Feedbacks zwar immer besser auf ihn abgestimmt werden - und dennoch Überraschungen bereithalten. Das ist uns auch wichtig.

Sie wollen mit Quazer das Fernsehen revolutionieren. Eine große Aufgabe für eine Marke, die erst wenige kennen. Woher kommt Quazer?

Sören Ziems: Hinter Quazer steckt die Idee, ein Videoprodukt zu entwickeln, dass sich nicht darauf beschränkt einfach nur Inhalte live zu stellen, sondern sie dem Nutzer so clever zu verpacken, dass die User-Erfahrung eine ganz andere ist. Das war so vor etwa anderthalb Jahren. Wir haben dann auf Basis von zwei Hypothesen Quazer konzipiert.

Wie sehen die aus?

Sören Ziems: Auf der einen Seite der starke Glaube an den Use Case Fernsehens sowie auf der anderen Seite die klare Erkenntnis, dass zwar die Inhalte in den vergangenen Jahren digitalisiert wurden, nicht aber das Fernseherlebnis. Es gibt im Netz eben nur 1:1 die linearen Fernsehsender als Stream oder aber Video-on-Demand. Aber wo bleibt digitalisiertes Lean-Back-Entertainment? Fernsehen wurde auch so ein Massenmedium, weil es einfach war und wenige Entscheidungen brauchte. Entsprechendes haben wir im deutschen Markt vermisst und international nur bei Pluto entdeckt.

Olivier Jollet: TV bleibt weiterhin ein sehr starkes Medium, egal wie sich Netflix, Amazon und andere Mediatheken entwickeln. Es ist eine oft unterschätzte Qualität, ein Angebot gemacht zu bekommen. Bei uns müssen Sie nicht eine einzelne Sendung suchen wie bei den Mediatheken. Sie bekommen gleich einen Kanal der zu Ihnen passt und den sie laufen lassen können. Wir bieten sozusagen personalisiertes Lean Back Entertainment.

Es geht also mehr um die Nutzungssituation als die Inhalte?

Sören Ziems: Nein, es gibt auch so viele tolle Inhalte, die bei YouTube nicht entdeckt werden. Das sind Genres, die im linearen Fernsehen bei zahlreichen Sendern in der Nische zuhause sind aber im Netz bislang keine Heimat haben. Aus dieser Idee heraus haben wir Prototypen und eine Marke entwickelt und live gestellt, denn klar war, dass MyVideo dafür als Marke nicht trägt. So ist Quazer aus MyVideo heraus entstanden. Über ProSiebenSat.1 wurden wir jetzt an unsere strategische Mutter Pluto TV gehangen, bei der wiederum ProSiebenSat.1 auch größter Anteilseigner geworden ist.

Bis heute kommt Quazer aber auf sehr leisen Sohlen daher…

Sören Ziems: Wir arbeiten anders als man früher klassisch Produkte gelauncht hat. Wir wollten möglichst schnell das Feedback der Nutzer einfließen lassen in die Entwicklung, um dann wirklich wöchentlich das Produkt zu optimieren. Deswegen gab es kein Launch-Date und bislang keine große Kampagne zum Start von Quazer. Wir wollen erst sicher sein, dass wir ein Produkt haben, das einer möglichst großen Nutzergruppe und uns beiden in der Geschäftsführung gefällt. Die Kommunikation für Quazer wird aber in der nächsten Zeit dann auch schrittweise beginnen.

Wie viele Nutzer hat Quazer in Deutschland bereits?

 Olivier Jollet: Wir haben zur Zeit etwa eine halbe Millionen aktive Nutzer, die Quazer über alle Devices hinweg nutzen – von der Desktop-Version, über die Apps für die mobilen Geräte und natürlich auch über Apple TV.

Das Konzept von Quazer ist weitgehend klar. Sprechen wir mal über die Inhalte. Was bieten Sie, was andere nicht bieten?

Olivier Jollet: Wenn wir uns Netflix, Amazon Prime Video oder Maxdome anschauen, dann gibt es dort fast nur fiktionale Inhalte. Es ist ein völlig anderes Genre-Verhältnis als im linearen Fernsehen, wo es sehr viel Factual Entertainment gibt und fiktionale Inhalte über alle Sender hinweg nicht mal 30 Prozent ausmachen. Im Netz bieten alle Serien an, aber andere Genres sind unterrepräsentiert. Das lässt Raum für neue Anbieter, wie auch DAZN im Sport-Bereich. Wir füllen mit Quazer wiederum die Lücke des Factual Entertainment. Wir können online Kanäle anbieten, die sich im linearen Broadcasting nicht rentieren würden, weil sie zu "nischig" sind. Online sind die Kosten geringer und gleichzeitig die Chancen die richtige Zielgruppe zu erreichen größer. Das ermöglicht Kanäle für Yoga oder Ballett, aber auch ein Programm zum Thema Green Earth, was dann schon weitaus breiter ist.

Investieren Sie selbst auch oder wollen nur Plattform sein?

Olivier Jollet: Natürlich beschäftigen wir und mit Investments in eigenen, bzw. exklusiven oder hochwertigen Content. Hier arbeiten wir mit verschiedenen Partner und Lizenzgebern zusammen. Die Bedeutung von Leuchtturm-Lizenzen, insbesondere für die Wahrnehmung des noch jungen Angebots ist groß. So haben wie seit März zum Beispiel Inhalte von ZDF Enterprises online. Zu den Programmen gehören die erfolgreichen Dokumentationen "Hitlers Frauen", "Hitlers Helfer", "Hitlers Krieger", "Hitlers Kinder" und "Holocaust" aus der ZDF-Kollektion "Geschichte des Dritten Reichs". Diese finden sich in unserem sehr erfolgreichen Channel "Kriegsgeschehen" wieder. Wir zeigen aber auch ZDF-Inhalte wie Reise-Formate sowie Reportagen und Inhalte für den erfolgreichen Themen-Channel "Zukunft Erde". Wir werden kontinuierlich an unserem Channel-Angebot arbeiten, mal neue starten aber gegebenenfalls Channel auch wiedereinstellen, sollten diese nicht von unseren Usern nachgefragt werden. Unser Vorteil ist, dass wir Sehgewohnheiten und gewünschte Inhalte flexibel und schnell abbilden können.

Soll Quazer eine Plattform für Themen oder auch Marken werden? Also können Partner Channels unter eigener Marke verbreiten? Pluto TV bietet das ja an.

Olivier Jollet: Wir bieten Partnern die technische Infrastruktur, das Packaging und das Know-how im Auswerten von Feedback zur Programmoptimierung an. Wir sind offen für alle Arten von Partnerschaften. Sie kennen die deutsche Fernsehbranche ja auch. Das ist eine überraschend konservative Branche bei der nur wenige auf Risiko gehen wollen. Wir leisten da aber gerne Überzeugungsarbeit. Wir haben thematische Kanäle und kaufen Content zu, wir können aber auch mit einem Partner einen von ihm gebrandeten Kanal anbieten. Alles ist möglich. Und wir steigen sicher auch irgendwann in die Eigenproduktion ein.

Sören Ziems: Wir sind offen für jede Form der Zusammenarbeit. Ein Partner kann Content mitbringen oder auch gleich seine Marke. Die Partner mit denen wir gesprochen haben, sind meist fasziniert angesichts der Tatsache, wie schnell wir Ihnen einen Kanal und damit digitale Präsenz ermöglichen können.

Setzen Sie auf Finanzierung durch Werbung oder soll es kostenpflichtige Kanäle geben?

Sören Ziems: Quazer ist werbefinanziert. Wir glauben an den starken Ansatz von Free TV und arbeiten an einer intelligenten Platzierung von Werbung, die eine möglichst hohe Akzeptanz bei den Nutzern erzielt. Werbefinanziertes Video im Netz ist bislang ja noch viel zu oft allein durch einen vorgeschalteten Spot finanziert. Das ist nicht ideal.

Seit Jahren heißt es: Fernsehen wird mobiler. Doch in den letzten 12 Monaten wollen alle Anbieter auch auf möglichst viele Sticks und Boxen um letztlich im Wohnzimmer vertreten zu sein. Wo liegt die Priorität für Quazer?

Olivier Jollet: Wir sind große Fans des Fernsehens und das ist am entspanntesten auf dem heimischen Sofa möglich. Also ist natürlich Smart TV, Boxen, Sticks und Spielkonsole besonders spannend. Aber wir heißen jeden Nutzer willkommen. Unsere Aufgabe ist es, für die jeweilige Nutzungssituation das passende Programm zu liefern. Konkretes Beispiel: Unterwegs auf dem Smartphone möchte der Nutzer vielleicht kürzere Formate haben als zuhause im gleichen Kanal auf dem großen Bildschirm. Also berücksichtigen wir das.

Sören Ziems: Mobil wird auf eine Art auch wichtig und interessant für uns. Ich glaube die Fernsehbranche hat sich lange mit der Frage beschäftigt ob man das bekannte Programm 1:1 mobil anbieten kann oder eigenen Content dafür erstellen sollte. Stellen Sie sich bei Quazer aber die Nutzungssituation einmal so vor: Tagsüber an der Bushaltestelle bekommen sie dann, wenn sie immer nur kurz reinschauen, in ihrem Channel lediglich Trailer und Ausschnitte aus Programmen zu sehen. Je nachdem was Ihnen gefällt und was nicht, bekommen Sie dann abends auf dem Big Screen die ganze Sendung zu sehen oder eben nicht. Solche Modelle sind deutlich interessanter.

Jetzt gibt es in Deutschland Quazer, in den USA Pluto TV – mit ProSiebenSat.1 als strategischen Investor. Wozu zwei verschiedene Marken?

Olivier Jollet: Pluto TV und Quazer sind zwei unterschiedliche Produkte. Es ist wichtig zu verstehen, dass Pluto TV für den amerikanischen Markt und Quazer für den deutschen Markt entwickelt wurde. Beide Angebote haben die gleiche Vision: eine Leanback-Erfahrung wie im klassischen TV zu schaffen. Natürlich arbeiten wir an Synergien, um einen globalen OTT-Player für Free Internet Television zu kreieren.

Herr Jollet, Herr Ziems, herzlichen Dank für das Gespräch.