„Chef, zwei Gläser Milch, zwei Korn bitte.“ Die Bestellung von Kommissar Falke lässt ahnen, dass die folgende Nacht keine normale wird. „Billstedter Milch“ nennt er das Gebräu, das es im wirklichen Leben nicht gibt. Das hat sich Wotan Wilke Möhring, der den Falke spielt, ausgedacht. Milch soll für den Ermittler ein bisschen Heimat darstellen. An der Milch hält er sich fest, wenn es mal wieder drunter und drüber geht, wenn die Dinge unfasslich werden.

Vieles ist unfasslich im neuen Nord-„Tatort“, in dem es vordergründig um Schleuser geht. Wieder mal, muss man wohl sagen. In der Falke-Folge vom April ging es auch schon um Schleuser, und die jüngste Meldung von den Dreharbeiten für eines seiner nächsten Abenteuer handelte auch schon wieder von Schleusern. Vielleicht achtet mal jemand darauf, dass die Falke-Tatorte nicht zur Monokultur werden.

In Oldenburg wird ein Mann syrischer Herkunft tot aufgefunden, alle Finger gebrochen. Er wurde gefoltert und dann umgebracht. Ein anderer Syrer wird erschossen, als er einem Polizisten an die Gurgel will. Im Kofferraum seines Wagens finden die Polizisten zwei Kinder. Eines ist tot. Mit viel Geschick versucht Falke, dem überlebenden Kind, das Ali heißt, irgendetwas zu entlocken, herauszufinden, was all das soll.

Was das soll, ahnt auch der Zuschauer nicht. Er muss sich mühsam kämpfen durch ein Meer von Mosaiksteinchen, die von den Kommissaren sehr langsam zusammengepuzzelt werden. Übertrieben langsam könnte man sagen. Aber die Langsamkeit ist kein Versehen, die Langsamkeit ist Absicht. Sie lässt Raum für große Momente.

Einer dieser Momente ist jener, in dem Falke sich mit Ali anfreundet. Lange schon hat man kein Kind mehr so fein spielen sehen. Wie sich da ein kleiner Mensch, der offenbar viel erlebt hat, ganz langsam öffnet, das gehört zu den wirklich sehenswerten Momenten.

In einer anderen Szene, in der auch die Billstedter Milch wirkt, kommt Falke seiner Kollegin Lorenz (Petra Schmidt-Schaller) näher. Wie nah, das lässt sich als Zuschauer schwer ermessen.

Und dann ist da wieder das Verwirrspiel mit den Syrern. Die einen leben schon lange in Deutschland, haben hier ihren Platz gefunden. Andere sind frisch dem Krieg in der Heimat entkommen. Man ahnt schnell, dass es die bestehenden Verhältnisse ordentlich durcheinanderschütteln kann, wenn alte und neue Flüchtlinge aufeinander treffen.

Regisseur Marvin Kren, der auch schon die April-Ausgabe des Falke-„Tatorts“ inszeniert hat, setzt diesmal ein Buch von Friedrich Ani ins Bild. Er erledigt diesen Job sehr sorgsam. So sorgsam, dass einige Male der Verdacht keimt, nun kehre sich die spannende Story gleich ins Langatmige um. Gottseidank bleibt es stets bei der Befürchtung.

Anzukreiden wäre Kren höchstens der Klamauk, den er um die Pathologin vom Dienst veranstaltet. Natürlich ist die Österreicherin, und natürlich hat sie einen Drang zum Theatralischen. Als sie demonstrieren soll, wie das Opfer zu Tode kam, schlägt sie lang auf dem Boden der Rechtsmedizin hin. Für Sekundenbruchteile macht sich betretenes Schweigen breit, und es kursiert die Frage, ob das nun großes Kino oder doch eher großer Quatsch ist.

Die Entscheidung mag jeder für sich selbst fällen, denn Eindeutigkeit ist ohnehin nicht Sache dieser „Tatort“-Ausgabe, die auch das Happyend verweigert. Am Ende ist niemand zufrieden. Glücklich schon gar keiner. Von irgendwo strahlt ein kleiner Hauch von Sonne herein. Ein bisschen wenigstens. Was aber beherrschend bleibt, ist Trübe, Hoffnungslosigkeit und die Erkenntnis, nicht wirklich etwas tun zu können.