Sie schauen sich eine neue Serie auf Netflix an - aber brechen nach zehn Minuten ab. Für die Algorithmen des Video-on-Demand-Anbieters, die den Nutzern personalisierte Angebote machen sollen, stellt sich an dieser Stelle eine knifflige Frage: Ist es nun schlecht, dass Sie nach zehn Minuten aufgehört haben zu gucken oder gut, weil Sie das Programm ja zunächst einmal ausgewählt haben? Und zu allem Übel kommt auch noch eine weitere Möglichkeit: Sie mochten das Programm, aber konnten in jenem Augenblick nicht weiterschauen, weil z.B. der Bus oder die Bahn kam. Vielleicht also ist es zunächst einmal weder positiv noch negativ zu bewerten. Aber bis wann müsste man die Serie weitergeschaut haben, bevor Netflix das Ausbleiben als Desinteresse vermerkt?

„Und das ist nur eine Frage von sehr vielen“, sagt Todd Yellin, Vice President of Product Innovation bei Netflix. Um Antworten auf diese Fragen zu finden, setzt Netflix auf ein in der Produktforschung als A/B-Testing bekanntes Verfahren. Mit anderen Worten: Sie werden benutzt ohne es zu wissen. Es geschieht immer und immer wieder. Vielleicht sogar dutzende Mal am Tag. Aber es geschieht zu Ihrem Vorteil. Netflix befindet sich im Grunde in einer permanenten Beta-Phase. Zu allen möglichen Belangen führt man A/B-Testings durch, was bedeutet: Die Kundschaft wird in Gruppen aufgeteilt, die unterschiedliche Versionen von Netflix angezeigt bekommen.

Mal geht es um Fragen der Algorithmen, mal ganz banal um die Auswahl der passenden Grafik für die Bewerbung einer Serie. „Wir haben z.B. die Länge der Teaser-Texte getestet, die Vorschaubilder, die Größe der Programmkacheln“, führt Yellin aus. Soll nur ein Vorschaubild angezeigt werden? Oder mehrere im Wechsel? Oder vielleicht sogar ein Trailer? Im Rahmen der A/B-Testings beobachtet Netflix - je nach Art des Tests einige Tage oder Wochen lang - die resultierende Nutzung der in Gruppen aufgeteilten Kundschaft. Führt eine der Testgruppen zu deutlich gesteigerter Nutzung, wird allen Netflix-Kunden diese Version zugänglich gemacht.

„Die meisten A/B-Testings bemerkt niemand. Sie sehen als Nutzer ja zum Beispiel nicht, dass sich ihre Empfehlungen aufgrund veränderter Gewichtung der Algorithmen verändert haben. Nur bei Design-Änderungen, da fällt es natürlich auf“, sagt Yellin im Gespräch über die Technik hinter Netflix. Solche Tests laufen permanent mit allen Kunden. Die Ergebnisse seien spürbar. So habe ein Test mit mehreren Optiken für die Serie „Jessica Jones“ ergeben, dass mit dem final gewählten Bild bis zu sieben Prozent mehr Nutzung erreicht wurde.

Netflix auf der NAB Show© DWDL

Wer sich schon einmal über Änderungen bei der Gestaltung der Programm-Kacheln gewundert hat, kennt jetzt des Rätsels Lösung: Nimmt Netflix eine Serie online, so werden zunächst mehrere Kachel-Optiken ausprobiert. Nach etwa einer Woche ist dann klar, welche Optik die höchste Nutzung erreicht hat. „Aber uns geht es hier nicht um Clickbaiting“, sagt Todd Yellin. „Wir könnten mit nackter Haut vielleicht einen Klick erreichen, aber wenn dann beim Programm überdurchschnittlich viele Nutzer aussteigen, war die Bewerbung falsch.“