Nach rund viereinhalb Stunden konnte der Aufsichtsratsvorsitzende Andreas Wiele einen Blumenstrauß entgegennehmen und die Hauptversammlung von ProSiebenSat.1 schließen. Damit war man an diesem Mittwoch deutlich schneller unterwegs als im vergangenen Jahr, als Vorstand, Aufsichtsrat, Aktionäre und alle anderen Interessierten rund achteinhalb Stunden lang Sitzfleisch beweisen mussten. Und Während das Aktionärstreffen 2024 geprägt war von einer feindlichen Stimmung vor allem zwischen MFE und ProSiebenSat.1, war davon in weiten Teilen jetzt nichts mehr zu spüren. 

Maria Kyriacou © ProSiebenSat.1 Maria Kyriacou
Schon im Vorfeld der am Mittwoch in Unterföhring über die Bühne gegangenen Hauptversammlung waren die Vorzeichen gänzlich andere als vor einem Jahr. Damals hatten MFE und der zweite Großaktionär PPF eigene Kandidaten für den Aufsichtsrat vorgeschlagen und brachten sie - gegen den Willen von Vorstand und Aufsichtsrat - auch durch. Dieses Mal verzichtete man auf Gegenanträge und so wurden Katrin Burkhardt und Simone Scettri wiedergewählt, Maria Kyriacou zieht zudem neu ins Gremium ein. Alle Kandidaten erhielten mehr als 90 Prozent Zustimmung. Kyriacou wurde im Anschluss auch zur neuen Vorsitzenden gewählt. 

Und weil es auch in vielen anderen Tagesordnungspunkten, die weniger umstritten waren, ebenfalls Zustimmungsraten von mehr als 90 Prozent gab, räusperte sich Andreas Wiele irgendwann und verwies darauf, dass man sich trotz der "kommunistischen Abstimmungsergebnisse" nicht in Moskau befinde. Ganz ohne Nebengeräusche verlief die Hauptversammlung dann aber doch nicht: Nicht durchgebracht haben Vorstand und Aufsichtsrat unter anderem ein neues, genehmigtes Kapital und darüber hinaus die Möglichkeit, eigene Aktien zu erwerben. 

Kommunistischen Abstimmungsergebnisse - aber nicht überall

Das neue genehmigte Kapital, bei dem es im Wesentlichen darum geht, dass der Vorstand die Möglichkeit hat, neue Aktien auszugeben, ist eigentlich ein Standardprocedere. PPF wollte auch zustimmen, MFE tat das aber nicht. Die Italiener wollen in jedem Fall verhindern, dass ihr Anteil am Unternehmen verwässert wird. Und weil Vorstand und Aufsichtsrat in diesem Punkt eine Zustimmung in Höhe von 75 Prozent benötigten, war man hier zum Scheitern verurteilt. 

Ohnehin ging am Mittwoch auf der Hauptversammlung ohne MFE gar nichts. Das lag auch daran, dass sich nur rund 64 Prozent der Anteilseigner für die Abstimmungen angemeldet hatten. Da MFE schon alleine rund 30 Prozent der Stimmrechtsanteile besitzt, hielt man beim Aktionärstreffen also rund die Hälfte der Stimmen. Um weitere Negativschlagzeilen zu verhindern, aber auch weil es einfach nur sehr wenige kontroverse Themen gab, entschieden sich die Italiener dazu, bei den meisten Punkten mitzugehen. 

Joyn © Joyn
Auswirkungen haben dürfte in den kommenden Wochen und Monaten noch der beschlossene Beherrschungsvertrag zwischen der Joyn GmbH und der SevenOne Entertainment Group. So soll das komplette Broadcastinggeschäft künftig in der Joyn GmbH gebündelt werden. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden deshalb wohl neue Verträge erhalten müssen, auch in der Außendarstellung dürfte es zu Veränderungen kommen. Joyn wird in jedem Fall wichtiger, auch als Unternehmen. 

Doch auch wenn am Mittwoch der große Knall zwischen MFE und PPF ausgeblieben ist, genau in diese Richtung schippert ProSiebenSat.1 aktuell. MFE wird mit seinem finanziell wenig attraktiven Übernahmeangebot wohl nicht weit kommen, PPF warb daher auf der Hauptversammlung um Zustimmung für das eigene Erwerbsangebot. Die Tschechen wollen ihren Anteil am Konzern bekanntlich auf knapp unter 30 Prozent ausbauen. Nur wenn man möglichst viele Anteile bekomme, könne man sich im Aufsichtsrat als zweite starke Größe (neben MFE) positionieren, warb man bei den anderen Gesellschaftern um Zustimmung - und positionierte sich so auch als Gegenpart zu den Italienern. 

In der grundsätzlichen Stoßrichtung sind sich MFE und PPF einig, beide wollen, dass sich ProSiebenSat.1 wieder auf das Unterhaltungsgeschäft fokussiert. Während MFE die über die Jahre angehäuften Beteiligungen aber lieber gestern als heute loswerden würde, zeigt sich PPF hier flexibler. Die PPF-Strategie würde wohl dazu führen, dass man die Beteiligungen nicht zu Schleuderpreisen verkaufen müsste. 

Mediaforeurope © MFE
MFE erklärte am Mittwoch im Anschluss an die Hauptversammlung, dass man bereits beim Aktionärstreffen im vergangenen Jahr eine "längst überfällige Veräußerung der nicht zum Kerngeschäft gehörenden gesellschaftlichen Aktivitäten" gefordert habe. Trotz der zuletzt erfolgten Veräußerungen sei die Umstrukturierung von ProSiebenSat.1 noch "ein langer Weg", heißt es aus Mailand. "Während MFE im Vorfeld der Hauptversammlung einen konstruktiven und offenen Dialog mit dem Management geführt hat, vertritt MFE eine in Teilen andere Auffassung darüber, was das Unternehmen in der aktuellen Situation benötigt. ProSieben hat einige der Hinweise von MFE als seinem größten Anteilseigner nicht berücksichtigt. MFE hat entsprechend konsequent abgestimmt."

Joyn und der Reformstaatsvertrag

Welche Unternehmen und Beteiligungen ProSiebenSat.1 demnächst noch verkaufen will, wollte das Management am Mittwoch auch gegenüber den Aktionärinnen und Aktionären wenig überraschend nicht sagen. Verivox ist ja bereits verkauft und für Flaconi hält man bekanntlich Ausschau nach Interessenten. Auch die Parship Meet Group ist ein mögliches Asset, das verkauft werden könnte. Hier läuft es operativ aber nicht gut, weshalb sich die Interessenten für diesen Bereich mutmaßlich nicht mit Geld überbieten werden. "Mit der finanziellen Entwicklung des Dating & Video Geschäfts können wir nicht zufrieden sein", erklärte CEO Bert Habets. Der Fokus liege daher auf Effizienz und Kosteneinsparungen.

News hatten Vorstand und Aufsichtsrat auch in Sachen Jochen Schweizer mydays im Gepäck. Anfang 2023 fiel auf, dass die Portale teure Gutscheine gar nicht einfach so vertreiben durften. Zuletzt zahlte der Konzern eine Strafe in Millionenhöhe - und bislang standen auch mögliche Regressforderungen gegen Dritte im Raum. Am Mittwoch wurde dann bestätigt, dass man diese Regressforderungen tatsächlich einhebt. Andreas Wiele wollte nicht die Personen nennen, gegen die sich die Forderungen richten. Klar dürfte aber sein, dass es sich um Ex-CEO Rainer Beaujean und Ex-CFO Ralf Peter Gierig handelt. Beide erhielten von der Hauptversammlung auch keine Entlastung für die vergangenen Geschäftsjahre. 

"Mit der finanziellen Entwicklung des Dating & Video Geschäfts können wir nicht zufrieden sein."
ProSiebenSat.1-CEO Bert Habets


Bert Habets © ProSiebenSAT.1 Media SE/Benedikt Müller
Bert Habets betonte in seiner Rede am Mittwoch die schwierige wirtschaftliche Lage, in der sich ProSiebenSat.1 befinde - und gleichzeitig umschrieb er die Strategie, mit der man Joyn stärken will. Habets sprach auch kurz über den Reformstaatsvertrag, der bekanntlich zum 1. Dezember in Kraft treten soll. Darin ist eine verstärkte Kooperation zwischen Öffentlich-Rechtlichen und Privaten festgehalten. Wenn der Staatsvertrag in Kraft sei, werde man die Zusammenarbeit mit den Öffentlich-Rechtlichen weiter ausbauen, so der P7S1-CEO. "Diese Zusammenarbeit würde es uns ermöglichen, viel mehr ihrer Inhalte auf unsere Plattform Joyn zu bringen." 

Wiele kritisiert MFE und gibt sich selbstkritisch

Bert Habets hat diesen Punkt weder in seiner Rede noch in der anschließenden Generaldebatte ausgeführt. Spannend ist hier vor allem die Frage: Was passiert eigentlich, wenn der Reformstaatsvertrag in Kraft ist und man mit ARD und ZDF keine Einigung zum Embedding der Mediatheken gefunden hat? Setzt man das Embedding der Inhalte dann wieder auf eigene Faust um? Es dürfte ein spannender und mit Verhandlungen zwischen den Parteien geprägter Sommer und Herbst werden. 

Andreas Wiele © ProSiebenSAT.1 Media SE/Benedikt Müller Andreas Wiele
Und dann war es ja auch noch die letzte Hauptversammlung von Andreas Wiele. Der Aufsichtsratschef tritt ab, er lag vor allem mit MFE über Kreuz. Wiele nutzte die Bühne am Mittwoch dann auch noch einmal für einen Appell in Richtung Mailand: "Der Aufsichtsrat ist das adäquate Gremium, in dem mit dem Vorstand über die richtige Strategie und neue Ideen für unser Unternehmen diskutiert und entschieden werden sollte - nicht die Öffentlichkeit", so der Aufsichtsratschef. 

"Der Aufsichtsrat ist das adäquate Gremium, in dem mit dem Vorstand über die richtige Strategie und neue Ideen für unser Unternehmen diskutiert und entschieden werden sollte - nicht die Öffentlichkeit."
ProSiebenSat.1-Aufsichtratschef Andreas Wiele


Während Wiele einerseits an die Justizministerin appellierte, die bestehenden Regelungen zu verpflichtenden Übernahmeangeboten neu zu denken (MFE kann künftig ohne weiteres Übernahmeangebot Aktien dazukaufen, Wiele sieht hier eine Gefahr für die übrigen Aktionäre), gab sich der scheidende Aufsichtsratsboss auch selbstkritisch. Es sei ihm nicht gelungen, den Aktionärskreis zu befrieden, das bedauere er, so Wiele. 

MFE vs. PPF: Wer setzt sich langfristig durch? 

PPF © PPF
Diese Aufgabe kommt nun seiner Nachfolgerin Maria Kyriacou zu, sie steht keinem Lager nah und gilt als unabhängig. Die Aufgabe dürfte nicht leichter werden. Wenn es PPF gelingt, seine Anteile spürbar zu erhöhen, könnten der Finanzinvestor auf der nächsten Hauptversammlung einen weiteren Platz im Aufsichtsrat für sich beanspruchen. Damit würde es auf ein Duell hinauslaufen, langfristig erscheint es kaum denkbar, dass mit MFE und PPF zwei Großaktionäre an Bord bleiben. 

Nachdem zuletzt spekuliert wurde, PPF könnte seine Anteile nur deshalb erhöhen, um später mehr Geld von MFE für diese Anteile zu erhalten, brachten die Tschechen am Dienstag auch die umgekehrte Variante ins Spiel. "Es könnte aber auch genauso gut andersherum laufen, oder?", antwortete Didier Stoessel, Chief Investment Officer der PPF Group, in einem am Dienstag veröffentlichten "Wiwo"-Interview auf die Aussage, dass die Tschechen vermutlich einen guten Preis aufrufen könnten, sollte MFE ProSiebenSat.1 tatsächlich komplett übernehmen wollen. 

Auch wenn die Hauptversammlung von ProSiebenSat.1 am Mittwoch nicht die erhoffte Spannung bot: Die kommenden Wochen und Monate dürften für Management und Belegschaft einerseits, aber auch für die übrigen Aktionärinnen und Aktionäre andererseits noch einige interessante Weichenstellungen bereithalten.

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