If you can’t beat them, join them: Mit einer neuen Vertriebspartnerschaft betreten der US-Streamingdienst Netflix und der französische TV-Konzern TF1 Neuland und das in mehrerlei Hinsicht. Was die beiden Unternehmen am Mittwoch angekündigt haben, ist nicht einfach ein weiteres Bundling von zwei Streamingdiensten zum vergünstigen Preis, wie wir es auch im deutschen Markt schon seit Jahren sehen. Nein, Netflix goes TV - oder eben umgekehrt. Bei der Conecta Fiction & Entertainment im spanischen Cuenca, wo sich gerade hunderte Köpfe der internationalen TV-Branche treffen, war man sich nicht auf Anhieb sicher wer hier wem entgegenkommt.

Konkret umfasst diese Vertriebspartnerschaft sowohl die linearen Fernsehsender als auch On-Demand-Inhalte von TF1, dem nach Marktanteilen mit Abstand führenden TV-Konzern Frankreichs. Alle Inhalte sollen ab Sommer 2026 direkt innerhalb der Netflix-App verfügbar werden. Damit werden für französische Nutzerinnen und Nutzer von Netflix TF1-Inhalte Seite an Seite von Netflix-Produktionen angeboten und empfohlen. Neben allerlei Serien von TF1, ob Highend oder Soaps, kommen so auch Castingshows wie „The Voice“ oder Live-Sport zu Netflix. 

Von „einer neuen Art der Partnerschaft“ spricht Netflix bei der Bekanntgabe im Rahmen von Cannes Lions. Schon bislang kooperierte man in Frankreich mit TF1, etwa bei Koproduktionen wie „Les Combattantes“, „L’Agence“ und „Tout le bleu du ciel“. Doch die Integration aller Angebote von TF1 in der Netflix-App ist ein weltweit bisher einmaliger Deal für den globalen Streamer. Wichtig zu wissen in dem Zusammenhang: TF1+, das OnDemand-Angebot der Franzosen, ist werbefinanziert und kostenfrei. Der Deal mit Netflix soll also die Reichweite der werbefinanzierten Inhalte steigern.

Netflix TF1 © Netflix News aus Cannes: Greg Peters (Co-CEO Netflix) und Rodolphe Belmer, CEO der TF1 Gruppe

Und Netflix? Dort will man die Abonnentinnen und Abonnenten länger im eigenen Ökosystem halten. "Dies ist eine einzigartige Partnerschaft, die unsere Stärken ausspielt, um dem Publikum die beste Unterhaltung und gleichzeitig die beste User Experience zu bieten", so Greg Peters, Co-CEO von Netflix am Mittwoch. Er war für das Announcement extra an die Côte d’Azur gereist. "Durch die Zusammenarbeit mit Frankreichs führendem Sender bieten wir französischen Verbrauchern noch mehr Gründe, Netflix jeden Tag zu nutzen und uns für ihre gesamte Unterhaltung treu zu bleiben."

Rodolphe Belmer, CEO der TF1-Gruppe, sagt: "Ich freue mich sehr über diese neue Partnerschaft mit Netflix, nachdem wir in den letzten Monaten durch ambitionierte Koproduktionen bereits eine enge Beziehung aufgebaut haben. Angesichts der Verlagerung der Sehgewohnheiten hin zum On-Demand-Konsum und der zunehmenden Fragmentierung des Publikums wird diese beispiellose Allianz es uns ermöglichen, mit unseren Premium-Inhalten ein unvergleichliches Publikum zu erreichen und Werbekunden neue Reichweiten in einem Ökosystem zu erschließen, das unsere TF1+-Plattform perfekt ergänzt."

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Ein spannender Deal, der unmittelbar weitere Fragen aufwirft: Wie eng werden TF1 und Netflix beim Thema Werbung künftig zusammenarbeiten? Mindestens bei der Ausspielung ist schließlich eine Angleichung nötig, möglicherweise also auch bei der Vermarktung? Und mit der Integration der linearen TF1-Sender wird Netflix seine App für den französischen Markt um das Feature des Live-TV inklusive Programm-Guide erweitern müssen. Was wiederum, auch angesichts von Amazons Prime-Senders in Deutschland, die Spekulation anheizt, ob auch für Netflix ein lineares Schaufenster der eigenen Inhalte in der eigenen App attraktiv werden könnte.

Bei der Conecta-Konferenz im spanischen Cuenca wurde der Deal im Nachbarland von einigen Produzentinnen und Produzenten auf Anhieb erst einmal skeptisch beäugt. Die Sorge gilt der angemessenen Vergütung. Programme die für die TF1-Gruppe produziert werden, sind ab Sommer 2026 dann schließlich auch gleich automatisch bei Netflix abrufbar. Ein mögliches weiteres Verwertungsfenster entfällt damit. Dass die Integration erst im Sommer nächsten Jahres erfolgt, dürfte neben anderen Faktoren, wohl auch damit zu tun haben.

Bei TF1 überwiegt erstmal pure Euphorie. "Dank dieser Allianz mit dem Weltmarktführer für SVoD werden wir unsere Programme in Frankreich noch mehr glänzen lassen", schwärmt Rodolphe Belmer, CEO der TF1-Gruppe und verspricht in seinem begleitenden LinkedIn-Posting zum Deal: "Unsere Inhalte sind seit 50 Jahren das Herzstück der Popkultur, und glauben Sie mir: Das wird so schnell nicht aufhören!" Ist es der richtige Schritt eines TV-Konzerns, sich auf diesem Weg neue Reichweite zu erschließen? Oder ein Risiko, weil man in dieser Partnerschaft nun nach den Regeln von Netflix spielt?

Klar ist auf jeden Fall: Die Dringlichkeit einer Reichweitenmessung wird für Netflix in Frankreich nur noch größer. Im Interesse der eigenen Werbevermarktung und eines TV-Konzerns, der sich zusätzliche Nutzung auch seiner linearen Sender erhofft. Sonst wäre die erhoffte Reichweite verschenkt. Kann dieser Deal nun auch eine Blaupause für den deutschen Markt sein? Da wäre eher Joyn - also ProSiebenSat.1 - denn RTL+ ein denkbarer Partner. Einerseits weil RTL Deutschland bereits eine umfassende Vertriebspartnerschaft mit der Deutschen Telekom gerade erst langfristig verlängert hat. Andererseits weil nur Joyn fast ausschließlich werbefinanziert ist und nur so ein Deal von vergleichbarer Architektur möglich wäre. Nur wer ist dann der Superstreamer?

Sicher ist, dass der Deal in Frankreich nicht nur in Frankreich aufmerksam verfolgt werden wird. Denn in einem sich neu ordnenden Markt der Frenemys - jener glorreichen Wortschöpfung aus Friend und Enemy - ist scheinbar alles möglich.