Als die großen Streamingdienste entdeckten, dass das Wachstum des Streamingmarktes angesichts des begrenzten Budgets der Kundschaft doch nicht unendlich ist, erschlossen fast alle eine zweite Erlösquelle durch die Einführung von Werbung. Fast alle gingen dabei so vor, dass sie neue Einstiegstarife günstiger Einstiegstarife mit Werbung schufen, die Standard-Tarife aber unangetastet werbefrei ließen. Amazon entschied sich hingegen für einen anderen Weg.

Seit dem 5. Februar 2024 wird hier standardmäßig an alle Nutzerinnen und Nutzer von Prime Video Werbung ausgespielt, sofern sie nicht extra eine neue Vertragsoption von zusätzlich drei Euro im Monat für die Werbefreiheit abschließen. Kundinnen und Kunden wurden darüber mit etwa einem Monat Vorlauf per E-Mail informiert, in der ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass kein weiterer Handlungsbedarf bestünde.

Die Verbraucherzentralen bezeichneten dieses Vorgehen schon damals als rechtswidrig und haben für diese Einschätzung nun in erster Instanz auch eine gerichtliche Bestätigung. Im Urteil des Landgerichts München I heißt es, dass Amazon eine einseitige Vertragsänderung vorgenommen und dem Kunden dabei vorgespiegelt, dazu berechtigt zu sein - was aus Sicht des Gerichts nicht der Fall war. Die E-Mail sei daher irreführend, das Vorgehen ein Verstoß gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb.

Eine Berechtigung zu dieser Vertragsänderung ergebe sich weder aus den Nutzungsbedingungen von Prime Video noch aus dem Gesetz. Nach den eigenen Nutzungsbedingungen könnten nur die angebotenen Videoinhalte selbst (also welche Film- und Serientitel angeboten werden), nicht jedoch die Art der Bestandteile der abonnierten Inhalte (mit oder ohne Werbung) geändert werden. 

Auch aus den gesetzlichen Regelungen im BGB ergebe sich kein Anspruch auf einseitige Vertragsanpassung: Bei Vertragsschluss hätten sich die Kunden darauf eingestellt, das Videoangebot werbefrei nutzen zu können. Dass die Werbefreiheit dabei nicht ausdrücklich von der Beklagten beworben und in den Nutzungsbedingungen festgeschrieben worden sei, sei unerheblich. Die Werbefreiheit des Videostreamingangebots und damit der "ungestörte Werkgenuss" stelle einen wesentlichen Wertfaktor für die Kunden dar, so das Gericht. Auch auf die im Grundgesetz garantierte Programmfreiheit könne sich Amazon nicht berufen, da Amazon selbst ursprünglich ein werbefreies Streamen zum Vertragsgegenstand gemacht habe und sich nun auch daran festhalten lassen müsse. 

Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig, Amazon kann also Rechtsmittel einlegen und prüft das aktuell auch. Ein Sprecher des Unternehmens teilte mit, dass man die Entscheidung des Gerichts zwar respektiere, mit den Schlussfolgerungen aber nicht einverstanden sei: "Wir haben unsere Kunden transparent, im Voraus und in Übereinstimmung mit geltendem Recht über das Update zu Werbung bei Prime Video informiert."

Bleibt das Urteil bestehen, würde das für Amazon zunächst bedeuten, dass man "vergleichbare Mitteilungen" an Kundinnen und Kunden künftig unterlassen müsste und zudem ein Berichtigungsschreiben versenden müsste. Ramona Pop, Vorständin des Verbraucherzentrale Bundesverbands, sagt: "Das ist ein sehr wichtiges Urteil. Es zeigt, dass die zusätzliche Werbung bei Amazon Prime Video nicht ohne Mitwirkung der betroffenen Verbraucher:innen erfolgen durfte. Mitglieder haben nach Ansicht der Verbraucherzentrale weiterhin Anspruch auf die werbefreie Option, und zwar ohne Mehrkosten."

Lösen ließe sich das, indem sich Amazon explizit die Genehmigung der Kundinnen und Kunden einholt und andernfalls die Inhalte wieder werbefrei ausspielt oder die Vertragsbeziehung beendet wird. Spannend wird aber vor allem auch, wie ein separat geführter Prozess ausgeht: Die Verbraucherzentrale Sachsen will mit einer Sammelklage erreichen, dass Amazon für die Zeit ab Februar 2024 allen Kundinnen und Kunden, die sich der Klage anschließen, einen Teil der monatlichen Abogebühren zurückzahlen muss. Rund 149.000 Personen haben sich dieser Sammelklage mittlerweile angeschlossen. Der Verbraucherzentrale-Bundesverband wertet das Urteil des Landgerichts diesbezüglich als positives Signal.