Das hat es noch nie gegeben: Die Jury des Henri-Nannen-Preises hat dem "Spiegel"-Reporter René Pfister den gerade erst verliehenen Preis übereinstimmenden Berichten zufolge wieder aberkannt. Grund für die am Montag auf einer Sitzung getroffene Entscheidung ist eine Passage der Reportage "Am Stellpult", in der der Autor den Keller des CSU-Politikers Horst Seehofer beschreibt - obwohl er ihn nie betreten hat.

"Die Glaubwürdigkeit einer Reportage erfordert aber, dass erkennbar ist, ob Schilderungen durch die eigene Beobachtung des Verfassers zustande gekommen sind, oder sich auf eine andere Quelle stützen, die dann benannt werden muss", heißt es in einer Erklärung der Nannen-Jury. Zugleich betonte das Gremium allerdings, dass es keinen Zweifel an der Korrektheit der Pfisters Fakten habe und von einer Fälschung kann "keine Rede" sein könne.

 

Noch während der Verleihung des Henri-Nannen-Preises hatte Pfister auf Nachfrage von Moderatorin Katrin Bauerfeind zugegeben, Seehofers Keller nie betreten zu haben. Obwohl er also nie dort war, beschreibt Pfister in seiner Reportage eine dort aufgebaute Märklin-Eisenbahn, die "ein Modell von Seehofers Leben" sei und seit Jahren erweitert werde - mit Bundeskanzlerin Merkel als Plastikfigur auf einer Diesellok. Gesehen hat er all das nicht. "Die Recherche für den Einstieg mit Seehofers Eisenbahn basiert auf zahlreichen Gesprächen mit Seehofer selbst und engen Mitarbeitern. Ich beobachte ihn seit 2004 für den 'Spiegel', und in all den Jahren hat er immer wieder von der Bahn in seinem Ferienhaus berichtet", so Pfister im "Abendblatt".

Nach der Preisverleihung attestierte Stephanie Nannen, die Enkelin von "stern"-Erfinder Henri Nannen", einen "handfesten Skandal". Sie schrieb: "Pfisters Text ist ein Betrug an der Wahrheit, ist Verrat dessen, woran Journalisten mindestens zu glauben vorgeben." Die Mehrheit der Jury folgte ihr nun: "SZ"-Chefredakteur Kurt Kister, "Geo"-Chefredakteur Peter-Matthias Gaede, "FAZ"-Herausgeber Frank Schirrmacher und "Spiegel"-Chefredakteur Mathias Müller von Blumencron sollen allerdings gegen eine Aberkennung des Preises votiert haben.

Der "Spiegel" ließ daraufhin mitteilen, die Entscheidung "mit Unverständnis zur Kenntnis genommen" zu haben. "Die Informationen für den Einstieg beruhten auf Gesprächen mit Seehofer, dessen Mitarbeitern sowie Spiegel-Kollegen, die den Hobbykeller selbst in Augenschein genommen haben. An keiner Stelle hat der Autor behauptet, selbst in dem Keller gewesen zu sein", heißt es in der Mitteilung. In der Vergangenheit seien zudem bereits öfter Geschichten ausgezeichnet worden, die szenische Rekonstruktionen enthielten.

"Jede Reportage besteht nicht nur aus Erlebtem, sondern auch aus Erfragtem und Gelesenem", so der "Spiegel". "Die Jury hat mehrheitlich entschieden, René Pfister den Preis abzuerkennen, ohne ihn selbst anzuhören oder Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Ein solcher Umgang mit einem untadeligen Kollegen widerspricht den Regeln der Fairness."