"Wir sind immer noch hier" - immer wieder posten Mitarbeiter des griechischen staatlichen Rundfunks ERT (im Griechischen EPT) am Dienstagabend diese Botschaft über den Facebook-Account des Senderverbandes. Auch um Punkt Mitternacht noch einmal: "Sind noch immer da." Zu diesem Zeitpunkt nicht mehr über die üblichen Frequenzen aber als Livestream im Internet. Vor der ERT-Zentrale demonstrieren auch weit nach Mitternacht immer noch tausende Menschen. Es herrscht medialer Ausnahmezustand in dieser merkwürdigsten Nacht, die das europäische Fernsehen seit vielen Jahren erlebt hat. Die griechische Regierung schaltet den staatlichen Rundfunk ab - und das über Nacht, nur mit wenigen Stunden Vorwarnung. Mitarbeiter wie auch Zuschauer sind wütend.



Am späten Abend haben die Sender des griechischen Rundfunks ihr reguläres Programm längst unterbrochen. Diskutiert wurde stattdessen über die eigene Abschaltung, die in der Nacht erfolgen soll. Sicherheitshalber streamte man sein Programm kurzerhand auch über Dienste wie Ustream.tv. Der spanische öffentlich-rechtliche Rundfunk RTVE hat ebenfalls kurzerhand einen Livestream für die Kollegen in Griechenland eingerichtet. Sie bleiben auf Sendung - wenn auch nur im Netz. Man will sich nicht einfach abschalten lassen; sich nicht einfach den Mund verbieten lassen nachdem die griechische Regierung am Dienstag überraschend die sofortige Schließung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks angeordnet hatte. Selbst als 1967 das Militär in Griechenland putschte, blieb der Rundfunk - wenn auch mit zweifelhaften Programmen - auf Sendung.

Insgesamt drei staatliche landesweit ausgestrahlte Fernsehprogramme, sieben landesweit ausgestrahlte Radioprogramme sowie 19 regionale Radiosender sind jetzt betroffen bzw. abgeschaltet. Erfahren haben es die Öffentlichkeit wie auch die Mitarbeiter von ERT am frühen Abend durch eine Erklärung des griechischen Regierungssprechers Simos Kedikoglou. "Es gibt keine heiligen Kühe, wenn alle Griechen Opfer bringen müssen", ist einer der Sätze mit denen die griechische Regierung in Zeiten des Spar-Diktats der EU das Aus von ERT erklärt. Nicht wenige in Griechenland kritisieren das als vorgeschobenen Vorwand. In der Tat gilt der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Griechenland allerdings als besonders aufgebläht durch die, wie in so vielen anderen öffentlichen Bereichen auch hemmungslos ausgelebte Vetternwirtschaft.

Noch dazu wurden die Fernseh- und Radiosender von ERT noch bis vor zwei Jahren offiziell vom Staat geführt. Erst 2011 sollte es eine Anstalt öffentlichen Rechts werden, wie es in Deutschland etwa ARD und ZDF entspricht. Doch jetzt ist ohnehin erst einmal Schluss. 75 Jahre nach dem Start der ersten Radio-Programme endet der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Griechenland. Vorerst jedoch nur. Denn Regierungssprecher Simos Kedikoglou erklärte, es solle einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Griechenland geben, der weitaus effizienter arbeiten soll. Doch dazu will man in den kommenden Monaten erst einmal ein Konzept ausarbeiten. Es soll eine Sendeanstalt mit maximal 1000 Mitarbeitern - statt der derzeit je nach Quellen zwischen 2.500 und 2.900 Mitarbeitern - werden.

Kedikoglou spricht von "unglaublicher Verschwendung" bei der jetzigen ERT und einen völlig unverhältnismäßigem Kostenapparat. Und große Änderungen, so der Regierungssprecher, könne es "ohne radikale Maßnahmen nicht geben." Die Einstellung über Nacht ist zweifelsohne radikal. Ob sie auch sinnvoll ist, werden die kommenden Wochen zeigen. Die Gewerkschaft der Staatsbediensteten rief bereits zum Widerstand auf. Die Abfindungen der Mitarbeiter dürften nicht billig ausfallen. Die sofortige Einstellung erscheint vor diesem Hintergrund als reine Symbolpolitik, die nicht günstiger ausfallen dürfte als eine im laufenden Betrieb vollzogene, radikale Sanierung der ERT oder die Gründung einer neuen Sendeanstalt. Scharfe Kritik kommt sogar von den Privatsendern sowie erwartungsgemäß vom griechischen Journalistenverband, aber auch von europäischer Ebene.

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"Diese Pläne sind einfach absurd. Es wird ein schwerer Schlag für die Demokratie, den Pluralismus in den Medien und den Journalismus als öffentliches Gut in Griechenland sein, und damit den Bürgern ihres Rechts auf ehrliche, besonnene und unvoreingenommene Informationen berauben. Aber es bedeutet auch den Verlust von vielen Arbeitsplätze für Journalisten im ganzen Land", beklagt Mogens Blicher-Bjerregård, Präsident der European Federation of Journalist - dem größten europäischen Journalistenverband. Und ein politisches Nachspiel wird es auch noch geben: Die Schließung der ERT wurde kurzerhand per Ministerialerlass angeordnet, den nur die Minister der größten Regierungspartei Nea Dimokratia (Konservative) nahestehen. Die Minister der Sozialisten und der Demokratischen Linken haben nicht unterzeichnet, gaben die beiden Parteien bekannt.

Man sei nicht erfreut über die radikale Art und Weise, wie hier binnen weniger Stunden Fakten geschaffen wurden. Die Sozialisten stimmen zwar zu, dass Radio und Fernsehen modernisiert werden müssten. Doch dies könne nicht überraschend und über die Köpfe der Beschäftigten hinweg stattfinden, hieß es in einer Erklärung. Auch vom kleineren Koalitionspartner, der  Demokratischen Linken, kam Kritik: "Es ist undenkbar, dass ein modernes europäisches Land auch nur eine Stunde ohne öffentlichen Rundfunk bleibe." Im Parlament wird das noch zu einer Belastungsprobe für die Regierungskoalition werden.

Weit nach Mitternacht in der Nacht zu Mittwoch blieb ERT als Piratensender weiterhin im Netz auf Sendung. Auf der offiziellen Website wehren sich die Mitarbeiter des staatlichen Rundfunks in deutlichen Worten gegen die "grausame und erniedrigende" Entscheidung. Via Facebook und Twitter werden abwechselnd Durchhalteparolen und neue Livestream-Adressen veröffentlicht. Und die Kommentare der Zuschauer sind eindeutig: Empörung über diesen Vorstoß der Regierung, gerade in Krisenzeiten unter dem Deckmantel der wirtschaftlichen Herausforderungen den journalistisch durchaus geschätzten öffentlich-rechtlichen Rundfunk abzuschaffen. "Ab heute sind wir nun offiziell unter einer Junta", so ein Kommentar.

UPDATES: Gegen 2.30 Uhr eskalierte die Lage vor Ort. Die Sprache der Beiträge über die Facebook-Seite von ERT wird zunehmend deutlicher. "Wir weichen keinen Meter", heißt es da. Und wenig später erklärt sich auch, was damit gemeint ist: Es macht die Nachricht die Runde, Sondereinheiten der griechischen Polizei würden noch in der Nacht die Gebäude des Staatsrundfunks räumen. Dazu ein weiterer Eintrag auf der ERT-Facebook-Seite: "Kein einziger Mitarbeiter hier hat eine ordentliche Kündigung erhalten - und solange arbeiten wir weiter beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk und werden auf Sendung bleiben." Um 2.50 Uhr folgte die Bestätigung für die anrückende Polizei seitens ERT: "Erste Anweisung der Polizei erhalten, den Sender zu räumen." Gleichzeitig wurde zu einer Demonstration um 11 Uhr vormittags aufgerufe. Und das nicht nur in Athen. Auch vor der griechischen Botschaft in Berlin soll am Mittwochabend demonstriert werden. "Eine beispiellose Welle der Solidarität", postete da ERT-Team gegen 3.40 Uhr - versehen mit einem Foto von der immer noch ausharrenden Menschenmenge vor dem Gebäude des Senders.

Wenige Minuten später veröffentlichten ERT-Mitarbeiter eine Pressemitteilung via Facebook und kündigten darin jedoch im Wesentlichen an, was schon die ganze Nacht hinüber ersichtlich war: "Wir nehmen die Dinge jetzt selbst in die Hand" heißt es da. Die Journalisten des Senders würden sich organisieren und gegen die Form des Rauswurfs protestieren. Schon früher am Abend hatte man betont, das keinem Mitarbeiter eine Kündigung vorgelegt worden sei. So lange arbeite man weiter. Und dann erneut ein Dankeschön für die Unterstützung. In der Tat reißt seit Stunden - trotz später Nacht bzw. frühem Morgen die Kommentierung der Ereignisse bei Facebook und Twitter nicht ab. Und entgegen der Androhung der Polizei war ERT auch um 4 Uhr morgens deutscher Zeit weiterhin via Livestream auf Sendung.

Um halb zehn morgens folgte dann nach kurzer Pause und etwas weniger Postings in den frühen Morgenstunden ein Dank vom ERT-Team. "Ein großes Dankeschön an alle für ihre Sympathie und Unterstützung. Uns bewegen die Nachrichten aus Saudi-Arabien, Schweden, Deutschland, Österreich, den Niederlanden, Kanada, Australien, Belgien. Und natürlich aus ganz Griechenland", schreiben die Mitarbeiter von ERT am Morgen bei Facebook und beenden das Posting mit den Worten: "Wir sind hier und wir bleiben hier."