Dass er sich mit "Promi Big Brother" im vergangenen Herbst ein eher misslungenes TV-Erzeugnis vorgenommen hatte, konnte Michael Schießl zu Beginn seiner Forschungsreihe nicht ahnen. Was der Geschäftsführer des Berliner Marktforschers Eye Square im Auftrag von SevenOne Media herausgefunden hat, ist dennoch interessant und wohl auch über den Einzelfall hinaus aussagekräftig.

Wie Second-Screen-Nutzung in der Realität des heimischen Wohnzimmers abläuft, zeigte Schießl beim Expertenforum von Wirkstoff TV, der gemeinsamen Gattungsinitiative der deutschen TV-Vermarkter. Dazu hatte er exemplarisch 20 Berliner Haushalte einem Eye-Tracking-Test während des Konsums von "Promi Big Brother" unterzogen. Spezialbrillen zeichneten dabei jedes Detail des Blickverlaufs auf. Das Ergebnis: Zwar entfallen 70 Prozent der Betrachtungszeit aufs TV, doch die Blickrichtung - und damit auch die Aufmerksamkeit - wechselt bis zu 179 Mal pro Stunde.



Sobald neben dem Fernseher weitere Screens, etwa Smartphones oder Tablets, ins Spiel kommen, werden die Augen des Zuschauers also zu flüchtigen Wesen. Und das gilt vermutlich nicht nur für "Promi Big Brother", auch wenn der Test von Eye Square keinerlei Anspruch auf Repräsentativität erhebt. Während einer durchschnittlichen Stunde hat Schießls Institut 42 Minuten Betrachtungszeit fürs TV gemessen, 15 Minuten für den jeweiligen Second Screen und ganze drei Minuten für die unmittelbare Umwelt, also etwa den Partner oder die Familie.

Frauen achten demnach etwas mehr auf die Umwelt als Männer. Im Vergleich zum Durchschnittswert schauen sie 1,7 Minuten pro Stunde weniger auf den TV-Bildschirm, diese Differenz kommt den mitschauenden Menschen im Wohnzimmer zugute. Jüngere Zuschauer blicken drei Minuten pro Stunde weniger aufs TV, dafür 1,5 Minuten mehr auf den Second Screen. Im Durchschnitt aller 20 getesteten Haushalte ist das Smartphone der meistgenutzte Second Screen. Nur in Haushalten mit mehr als zwei parallel genutzten Screens liegen Tablets und Notebooks mit 62 Prozent der Second-Screen-Zeit vorn.

Aus der hohen Zahl der Blickrichtungswechsel folgt, dass keinem Screen wirklich lange Aufmerksamkeit am Stück zuteil wird. Die längste Nutzungsdauer pro einzelnem Nutzungsakt entfällt mit durchschnittlich 2:36 Minuten aufs TV. Das Smartphone kommt auf 45 Sekunden, Tablet und Notebook auf 40 Sekunden, die Umwelt auf 25 Sekunden. In den Werbepausen schaffte es laut Schießl zum Beispiel ein gut gemachter Iglo-Spot, die Aufmerksamkeit für 15 Sekunden am Stück zu binden. Allerdings erzielte auch ein ohne jeglichen Blickkontakt gebliebener Spot von ImmobilienScout24 anschließend eine Werbeerinnerung nur aufgrund des auditiven Kontakts.

"TV erreicht gerichtete und zerstreute Aufmerksamkeit", so Schießls Folgerung daraus. "Nur weil der Zuschauer gerade nicht hinguckt und sich mit dem Second Screen beschäftigt, geht die Werbewirkung des TV-Spots nicht unbedingt an ihm vorbei." Das könnten Werbemittel auf dem Second Screen umgekehrt so nicht schaffen. Für die Aufmerksamkeit gegenüber den Spots sei deren kreative Gestaltung von erheblicher Bedeutung, so eine weitere Erkenntnis des Expertenforums. "Spots verschenken oft mehr Wirkungspotenzial aufgrund der nicht ausgeschöpften Kreation", stellte etwa Kai Weidlich, Geschäftsführer des Mannheimer Medien Instituts, fest.

Anhaltspunkte dafür, was einen guten Spot ausmacht, lieferte Wirkungsforscher Florian Thielecke von der Nielsen Company. Mit dem "TV Brand Effect" misst er täglich die Durchdringung bestimmter Spots, die am Vortag im TV liefen, testet bei Konsumenten per Online-Fragebogen die richtige Spot- und Marken-Zuordnung. Zwischen Februar 2013 und Januar 2014 entstanden so 110.000 Interviews über 434 verschiedene Spots. Das Ergebnis: 41 Prozent der Werbeausgaben flossen in starke Kampagnen, die bei der Durchdringung mehr als 10 Prozent über der Branchennorm lagen. Und diese starken Spots zeichneten sich inhaltlich zu 83 Prozent durch besondere Emotionalität, zu 67 Prozent durch die Erzählung kurzer Geschichten sowie zu 68 Prozent durch besondere Nähe zum Konsumenten aus. Thieleckes Fazit: "Die Kreation muss die TV-Landschaft durchdringen - das ist wichtiger als der Werbedruck."