"FAZ"-Herausgeber Frank Schirrmacher kann den Vorwurf, die Verlage würden die Digitalisierung verschlafen, nicht mehr hören. "Was heißt denn 'nicht verschlafen'", fragte Schirrmacher in einem Gespräch mit dem Branchendienst "Horizont". "Dass wir unsere Websites dichtmachen und nur noch auf Facebook und Google+ publizieren, wo wir es mit einem Meta-Verleger zu tun haben, der uns mit ein paar Brosamen für unsere geistige Arbeit abspeist?" Es sei an der Zeit zu erkennen, dass die Verlage nicht die bedauernswerte Nachhut der digitalen Moderne seien, sondern die Vorhut. Schirrmacher: "Es bleibt bei den Medien nicht stehen, ebensowenig wie es bei der Musikindustrie stehen blieb."
Dass es ausgerechnet in der Medien-Branche anfing, habe nur einen einzigen Grund: "Unsere Produkte sind, wie auch bei der Musikindustrie, schon seit jeher nichts anderes als 'Daten' gewesen. Jetzt aber verwandelt sich die materielle Welt selbst in Daten." Gleichzeitig warnte Schirrmacher davor, im Netz nur noch auf eine möglichst hohe Reichweite zu setzen. "Ich halte es für einen fatalen Fehler, sich blind auf dieses Reichweiten-Spiel einzulassen, dessen Regeln andere bestimmen. Wenn Google ein paar Parameter verändert, hat das sofort Auswirkungen auf den Traffic." Stattdessen müsse man wieder stärker an die eigenen Inhalte glauben statt darüber nachzudenken, mit welchen Maßnahmen man die Reichweiten erhöhen könne.
Auf die Frage, warum sich die Verlage nicht trauen, im Internet konsequent auf Paid Content zu setzen, antwortete der "FAZ"-Herausgeber: "Bei der 'FAZ' arbeiten wir daran. Aber letztlich ist das die Aufgabe des Verlagsmanagements: Preisbildung in traditionellen Märkten ist nicht die Aufgabe von Journalisten. Was wir Journalisten tun können, ist Relevanz schaffen, wenn sie wollen: Preisbildung in sozialen, kulturellen und politischen Märkten. Wir sagen, was uns was wert ist, egal, wie sich der Algorithmus dazu stellt. Das will jeder, auch jeder Anzeigenkunde. Und Relevanz heißt eben nicht nur Klicks!" Wenn es gelinge, relevante Inhalte zu produzieren, müsse es auch eine Möglichkeit geben, diese Leistung zu monetarisieren.
Die "FAZ" habe mehr Leser an jemals in ihrer Geschichte, ähnlich gehe es auch der "Süddeutschen Zeitung" und der "Zeit". "Mathias Müller von Blumencron wird Ihnen sagen, dass es gerade nicht die schnellen Artikel sind, die online besonders stark gelesen werden. Ich glaube nicht an den anthropologischen Wandel. Die Digitaltechnologien sind eine enorme Hilfe, wenn man einmal das Gespinst von PR und Religion durchstoßen hat", so Frank Schirrmacher im "Horizont"-Interview mit Jürgen Scharrer. Für die Zukunft erwartet er eine Spaltung. So werde es "mit absoluter Sicherheit einen Markt für Qualitätsjournalismus und gleichzeitig einen sehr hohen Anteil an automatisierten oder semi-automatisierten digitalen Formaten" geben. Automatisiert könne aber auch heißen, "dass man immer wieder versucht, auf der nächsten Skandalwelle zu surfen"
Aktuell habe es man wie im Kalten Krieg mit einer permanenten Eskalation und Deeskalation zu tun, findet Schirrmacher. "Nehmen Sie die Berichterstattung im Fall Uli Hoeneß. Irgendwann war alles gesagt, aber Sie mussten immer weiter reagieren. Am Ende stand dann die Schlagzeile: 'Kommt Hoeneß in Hitlers Zelle?'. Das war gewissermaßen das logische Ergebnis dieser Eskalations-Mechanik. Wenn Sie bei Google gut gerankt werden wollen, müssen Sie als Medium so vorgehen."
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