Bei der Verleihung des Henri-Nannen-Preises lief in der vergangenen Woche noch alles reibungslos ab - eine Woche später ist Jacob Appelbaum, aber auch nach außen hin nicht mehr wirklich glücklich, mit dem Preis ausgezeichnet worden zu sein. In einer Rede im Theater der Welt betonte der Journalist am Freitagabend zwar, dass er das Votum der Jury nicht zurückweise. "Aber ich lehne es ab, den Namen zu tragen und den Kopf eines Mannes zu präsentieren, der Propaganda für die Nazis gemacht hat", so Appelbaum in seiner Rede, die dem NDR-Medienmagazin "Zapp" vorliegt. Bedenken hatte er auch schon auf der Bühne des Nannen-Preises, teilen wollte er sie angesichts des feierlichen Rahmens dort aber nicht.
"Ich spürte den sozialen Druck des Konformismus. Ich hatte gedacht, dass ich nicht im Schweigen gefangen sein würde, doch ich hatte mich getäuscht. In diesem Zirkus spielte auch ich meine Rolle. Ich griff nicht nach dem Mikrofon. Ich schäme mich dafür, aber ich brachte auf der Bühne kein Wort hervor.", so Appelbaum in seiner nun gehaltenen Rede. Er habe gespürt eine begehrte Auszeichnung erhalten und gleichzeitig ein Stück von sich verloren zu haben. "Ich bin stolz darauf, dass meine Arbeit von vielen großen deutschen Journalisten gewürdigt wird. Gleichzeitig jedoch schäme ich mich dafür, eine Auszeichnung anzunehmen, die den Namen Henri Nannens trägt."
Er habe sich mit der nationalsozialistischen Vergangenheit von Henri Nannen vor und während des Zweiten Weltkriegs auseinandergesetzt. "Nach dem Krieg war Henri Nannen am Versuch beteiligt, der Öffentlichkeit die Hitler-Tagebücher als echt zu präsentieren", so Appelbaum. "Nannen ist für den Versuch, einen der größten faschistischen Massenmörder der Geschichte als unschuldig darzustellen, mitverantwortlich. Er steht damit nicht für die Ideale des Journalismus, den wir anstreben sollten. Er darf gewiss nicht für sein ganzes Leben verurteilt werden. Doch wir müssen sichergehen, dass wir wichtige Details nicht vergessen oder - schlimmer noch - diese uminterpretieren. Nannen war nicht einfach ein Mitläufer, sondern eindeutig ein Mitgestalter."
Die Konsequenz fällt ebenso drastisch aus. Die Skulptur von Nannens Kopf, die den Preisträgern überreicht wurde, lässt Appelbaum, der den Preis in der Kategorie "Investigation" für die Enthüllung, dass die NSA das Handy von Bundeskanzlerin Merkel abgehört hat, bekam, nun einschmelzen. Zusammen mit einem Berliner Metallarbeiter will er aus der Skulptur einen "passenderen Kopf" formen, so Appelbaum am Abend. "Dieser Kopf wird dann die wichtigste Figur des investigativen Journalismus darstellen: die anonyme Quelle."
Mehr zum Thema