Mehr als 50 Jahre nach der "Spiegel"-Affäre sehen sich Journalisten in Deutschland wieder dem Vorwurf des Landesverrats und der Veröffentlichung von Staatsgeheimnissen ausgesetzt. Konkret hat der Generalbundesanwalt Ermittlungen gegen die Journalisten André Meister und Markus Beckedahl vom investigativen Blog Netzpolitik.org aufgenommen. Nach Informationen von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" fiel die Entscheidung zu Ermittlungen nach Prüfung einer Strafanzeige, die der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, zuvor beim Landeskriminalamt in Berlin gestellt hatte. Diese war dann an die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe weitergeleitet worden.

Es geht um zwei Artikel, die aus einem als "Verschlusssache - vertraulich" eingestuften Berichts des Verfassungsschutzes für das Vertrauensgremium des Haushaltsausschusses im Bundestages zitierten. "Wir sind keine Zeugen, sondern sollen als Mittäter ebenso haftbar gemacht werden wie unsere unbekannte(n) Quelle(n)", schrieb André Meister am Donnerstag auf Netzpolitik.org. "Wir sehen das als einen Angriff auf die Pressefreiheit! Es ist lange her, dass in Deutschland so gegen Journalisten und ihre Quellen vorgegangen wurde." Gleichzeitig kündigte er an, sich nicht einschüchtern lassen zu wollen.

Meisters Kollege Markus Beckedahl bezeichnete die Ermittlungen im Deutschlandfunk als "absurd" und sprach gegenüber Tagesschau 24 von einem "Einschüchterungsversuch". Es sei in den vergangenen Monaten immer deutlicher geworden, "dass unsere Bundesregierung knietief im Sumpf von NSA und Co. drinsteckt" und "dass wir es womöglich mit einem kalkulierten Verfassungsbruch zu tun haben".

Der Generalbundesanwalt verweist in seinem Schreiben an die Journalisten unterdessen auf Paragraph 94 des Strafgesetzbuches. Darin heißt es: "Wer ein Staatsgeheimnis […] an einen Unbefugten gelangen lässt oder öffentlich bekanntmacht, um die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen, und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft."

Die Ermittlungen wurden inzwischen von vielen Seiten teils scharf kritisiert, darunter von der Vorsitzenden des Bundestags-Rechtsausschusses, Renate Künanst (Grüne). "Mich ärgert das Missverhältnis", sagte sie dem "Kölner Stadt-Anzeiger". "Auf eine Anzeige hin prüft er nicht lange. Da geht das zack, zack." Da werde auch nicht die Verhältnismäßigkeit abgewogen. "Auf der anderen Seite hat man ein massenhaftes Ausspähen und Abhören durch die NSA. Und da passiert gar nichts. Das erbost mich und ist rechtsstaatlich eine Blamage." Künast fügte mit Blick auf die NSA-Abhörmaßnahmen hinzu: "Wenn es keinen investigativen Journalismus gäbe, dann wüssten wir gar nichts."Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner sprach via Twitter von einem "schlechten Scherz".

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Auch "Monitor"-Chef Georg Restle äußerte Kritik. "Dass die Generalbundesanwaltschaft ernst macht, hat mich schon überrascht. Das zeigt auch, dass sich der Generalbundesanwalt zum verlängerten Arm der Politik machen lässt", sagte Restle am Freitag im "ARD-Morgenmagazin". Es gehe darum, all diejenigen, die an der Aufklärung des NSA-Skandals beteiligt waren, einzuschüchtern. "Der gleiche Generalbundesanwalt, der den Skandal nicht aufklären will, geht also jetzt gegen Journalisten vor, die diesen Skandal mit öffentlich gemacht haben. Das ist der eigentliche Skandal und das macht einen Journalisten natürlich wütend." Es sei jedoch die Aufgabe von Journalisten, "überall da aktiv zu werden, wo der Schutz von Staatsgeheimnissen dazu führt, dass Freiheitsrechte von Bürgern eingeschränkt werden", so Restle.

In den vergangenen Jahren erhielt Netzpolitik.org zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Grimme Online Award. Bereits in der kommenden Woche steht die nächste Preisverleihung auf dem Plan: Dann nämlich wird der investigative Blog von "Deutschland - Land der Ideen" als "Ausgezeichneter Ort" geehrt. Dabei handelt es sich übrigens um eine "gemeinsame Standortinitiative der Bundesregierung und der deutschen Industrie", deren Schirmherr der Bundespräsident ist.