Als im Frühjahr mehrere Vorwürfe wegen sexueller Belästigung im WDR öffentlich wurden, holte der WDR in einer Art Befreiungsschlag Monika Wulf-Mathies als unabhängige Prüferin, um untersuchen zu lassen, wie der WDR denn mit solchen Vorwürfen in der Vergangenheit umgegangen ist. Nun hat sie ihren Abschlussbericht vorgelegt. "Ich wusste, dass Sie kritisch sein würden. Sie sind dieser Erwartung gerecht geworden", sagte WDR-Intendant Tom Buhrow im Anschluss an die Vorstellung der Ergebnisse zu Wulf-Mathies. Und die fielen tatsächlich wenig schmeichelhaft aus, vor allem, weil sie sich nicht nur mit der Frage des Umgangs mit Belästigungsvorwürfen beschäftigte, die sich vor allem auf die Vergangenheit bezog, sondern auch mit einem offenbar bis heute ungünstigen Betriebsklima.

Doch zunächst Mal: Wer Erkenntnisse zu konkreten Fällen erwartet hat, der wurde enttäuscht. Stattdessen blieb Wulf-Mathies im Allgemeinen. Insbesondere bei den Fällen vor längerer Zeit bis zum Jahr 2010 wirft sie den Verantwortlichen, denen Beschwerden bekannt wurden, mangelnden Ermittlungseifer vor. Vorgesetzte hätten damals keine Maßnahmen zum Schutz der Frauen ergriffen. Es habe generell keine festen Regeln gegeben, wie mit solchen Vorwürfen umzugehen ist. Zudem fehlte den Betroffenen offenbar vielfach das Vertrauen, sich direkt an den Arbeitgeber zu wenden. Gefehlt habe damals häufig schon schlicht eine klare Ansage der WDR-Führung, dass solches Verhalten nicht gedultet und sanktioniert wird.

Dass sich laut Wulf-Mathies bis heute viele Opfer aus Angst vor negativen beruflichen Konsequenzen nicht direkt an den WDR gewandt haben, zeige ein großes Misstrauen gegenüber den Vorgesetzten. Als eine Konsequenz forderte sie, dass der WDR immer wieder deutlich machen müsse, dass er Betroffene vor Vergeltungsmaßnahmen schütze. Vor allem seien aber die inzwischen eingerichteten externen Beschwerdestellen wichtig, deren Unabhängigkeit viele Betroffene erst ermutigt hätten, sich zu öffnen.

Die aufgrund ihrer bis heute andauernden Führungspositionen in der Kritik stehenden Jörg Schönenborn und Tina Hassel, die damals schon mit Fällen betraut waren, griff Wulf-Mathies dabei nicht direkt an, wollte sie aber auch nicht von der Kritik ausnehmen. Sie habe das Gefühl, dass man damals mit mehr Aufklärungseifer auch mehr hätte erreichen können - aber damals sei die Sensibilität bei allen noch nicht so hoch gewesen wie heute, ausgelöst durch die Metoo-Debatte. Lob gab's dafür, dass die beiden sich heute sehr intensiv ihrer Verantwortung gestellt und bei der Aufklärung geholfen hätten. WDR-Intendant Tom Buhrow sprach beiden das Vertrauen aus. Er habe keine Informationen, dass sie die Aufklärung damals nicht gewissenhaft betrieben hätten.

Wulf-Mathies macht eine ganze Reihe von Vorschlägen, welche Konsequenzen zu ziehen sind. Besonders stellte sie die Abgabe einer Selbstverpflichtung des WDR heraus, also das klare Bekenntnis, dass sexuelle Belästigung, Diskriminierung und Machtmissbrauch nicht geduldet werden, Beschwerden ernst genommen und gründlich untersucht werden, Opfer vor Vergeltungsmaßnahmen geschützt werden und je nach Schwere des Fehlverhaltens abgestufte Sanktionen ergriffen werden. All das gelobte WDR-Intendant Tom Buhrow, der sich auch nochmal im Namen des WDR bei allen Opfern entschuldigte. Konkret schlug sie zudem die Einrichtung einer "Clearing-Stelle" vor, die Beschwerden entgegennehmen, prüfen und entsprechend weiterleiten soll. Damit sollen bisherige Kommunikationsprobleme im Beschwerdeverfahren gelöst werden.

Während sich die Kritik hier auf die Vergangenheit bezog und das Handeln des WDR in den vergangenen Monaten auch von Wulf-Mathies gelobt wurde, liest sich der zweite Teil des Berichts für den heutigen WDR unangenehmer. "Es hat sich sehr schnell gezeigt, dass das Thema sexuelle Belästigung nur die Spitze des Eisbergs ist, hinter dem sich Machtmissbrauch, vielfältige Diskriminierungserfahrungen und eine Unzufriedenheit mit dem Betriebsklima verbergen", so Wulf-Mathies. "Sexuelle Belästigung ist eine sehr hässliche Form von Machtmissbrauch. Trotz aller Gleichstellungsbemühungen besteht noch immer ein strukturelles Machtgefälle zwischen in der Regel männlichen Chefs und weiblichen Untergebenen, das Raum für Grenzüberschreitungen lässt."

Das ist ein Problem, das keineswegs nur den WDR betrifft, dort allerdings findet sich offenbar ein reicher Nährboden dafür: "Das hohe Maß an Dezentralität begünstigt die Entwicklung eines Eigenlebens in den Direktionen", sagte sie bei der Vorstellung des Berichts. Die Folge seien Abschottung, Silo-Strukturen und die Bildung von Seilschaften. Ungünstig sei auch, dass es gar keine WDR-weiten Auswahlkriterien für Führungskräfte gebe. Das Hauptgewicht liege heute in der Regel auf journalistischen Fähigkeiten - während soziale Kompetenzen und Miterabeiterführung viel zu wenig Beachtung fänden.

Generell hätten viele ihrer Gesprächspartnerinnen und -partner ein wertschätzendes und respektvolles Betriebsklima vermisst. Eine Verbesserung dessen müsse Buhrow aus ihrer Sicht nun zur Chefsache machen. Dazu müsse mehr Wert auf Dialog und offenes und konstruktives Feedback gelegt werden, die Führungskräfteentwicklung müsse einheitlichen Grundsätzen folgen, auch verbindliche praxisorientierte Trainingsprogramme auch und gerade für Führungskräfte seine nötig. Solche Programme gebe es zwar zahlreich - doch die, die sie besonders nötig hätten, gingen schlicht nicht hin, so Wulf-Mathies. "Es braucht ein deutliches Signal, dass die Führungsspitze verstanden und den festen Willen hat, einen nachhaltigen Kulturwandel anzustoßen. Und der Intendant sollte sich an die Spitze stellen". Das sei kein in kurzer Zeit umzusetzender, sondern ein langwieriger, aber notwendiger Prozess, an dem sich nicht nur die Führung, sondern alle Mitarbeiter beteiligen müssten. "Kosmetische Korrekturen werden nicht ausreichen."

Konkrete Maßnahmen wollte Buhrow am Mittwochnachmittag nicht versprechen - er müsse sich jetzt erstmal eingehend mit dem Bericht befassen. Eine Clearingstelle sei in jedem Fall aber eine sehr gute Idee, die Verbesserung des Betriebsklimas wichtig. "Ich möchte einen WDR, in dem wir angstfrei miteinander umgehen. Wir können und werden nicht die Hierarchien abschaffen. Aber eine gute Führungsverantwortung bedetuet, dass man sich auch unangenehmens anhört - so wie ich heute. Auch wenn ich ein paar Mal schlucken musste, ist das ein sehr notwendiger Prozess." Gelinge der, dann gewinne der WDR insgesamt. "Wertschätzung schafft Wertschöpfung", fasst Wulf-Mathies zusammen, bei Tom Buhrow klingt es ganz ähnlich: "Gute Leistung und gute Laune gehören zusammen".