Andreas Weinek© A&E
Seit mehr als 14 Jahren ist History inzwischen auch in Deutschland auf Sendung. Der Pay-TV-Kanal von A+E Networks bietet seit je her eine Mischung aus klassischen Dokumentationen und mehrheitlich populärem Factual Entertainment. Sowohl internationale als auch nationale Eigenproduktionen zu besonderen geschichtlichen Ereignissen oder Jahrestagen setzen immer wieder Akzente. Die neueste Eigenproduktion von History ist in vielerlei Hinsicht anders - und ungewöhnlich. „Ich glaube nicht, dass es den ‚alten Mann auf der Bank‘ in der jetzigen Form vor drei Jahren bei uns gegeben hätte“, sagt Andreas Weinek (Foto), Geschäftsführer von A+E Networks Germany im Gespräch mit DWDL.de. „Aber jetzt ist in den vergangenen drei Jahren etwas passiert, das uns alle sehr umtreibt. Eine politische Erosion in Europa, aber wenn wir an Trump in den USA, Putin in Russland oder Erdogan in der Türkei denken, auch darüber hinaus. Man reibt sich manchmal erschrocken die Augen: Wir sind im Jahr 2018 und erleben Situationen, die man lange hinter sich gelassen glaubte.“



„Der alte Mann auf der Bank“ ist eine Reihe von kurzen Animationsfilmen über die Begegnungen eines älteren Herrn mit je einem Mitmenschen. Der ältere Herr hat viel gesehen und erlebt und daraus einen reflektierten Blick auf die deutsche Geschichte und das Zeitgeschehen gewonnen. Seine Sitznachbarn auf der Bank wiederum sind entweder fremdenfeindlich, zeigen lieber mit dem Finger auf andere als sich selbst zu hinterfragen oder verleugnen Fakten. Es geht um Mitmenschen, die wenig oder  nichts aus der Geschichte gelernt haben. Erdacht und erschaffen wurde das Kurzformat von Peter „Bulo“ Böhling, der früher bei „W&V“ und dann lange bei „Clap“ als Medienjournalist unterwegs war und stetig seine Leidenschaft des Zeichnens vorangetrieben hat. Auch für History hat er schon Werbetrailer gezeichnet.

Peter Bulo Böhling© Gary Glotz
Jetzt aber das erste eigene Format, das auf ausführlichen Gesprächen mit einem realen Zeitzeugen basieren: Dem 93-jährigen Vater von Böhling (Foto links). „Er hatte die letzten Jahre immer mal wieder die Idee, ein Buch zu schreiben, weil er damals als Soldat in Kriegszeiten private Aufzeichnungen gemacht hat. Seine Schilderungen, seine Einstellung zu dem damals Erlebten, dient als Grundlage für die Geschichten des ‚Alten Mannes auf der Bank‘. Und das ist für mich übrigens ein Beispiel des zuletzt viel diskutierten Public Values – auf eine so noch nicht gesehene Art und Weise.“ Geschmiedet wurde das Projekt bei einer hitzigen Debatte, denn eigentlich war die Grundidee eine andere. „In meiner Vorstellung war das anfangs ein Jude, der die Zeit des Nationalsozialismus überlebt hat. Dann saßen wir mit History zusammen und Emanuel ist total der Appetit vergangen“, erinnert sich Böhling.

Emanuel Rotstein© A+E
Emanuel Rotstein (Foto rechts), Director Program A+E Networks Germany, erklärt: „Ich habe nicht verstanden, warum ein alter Jude dafür herhalten muss, diese Geschichte zu erzählen. Das hat auch einen ganz persönlichen Grund: Ich war in der Schule immer derjenige, der als der jüdische Junge Referate über die Konzentrationslager halten musste. „Warum ich?“, habe ich mich immer gefragt. Als wäre das kein Thema für die anderen Mitschüler. Deswegen haben Bulo und ich sehr hitzig darüber diskutiert, weil ich da keinen alten Juden auf der Bank sitzen sah. Aus einem kurzen Lunch wurde eine dreistündige Diskussion, die aber sehr wertvoll war, weil wir uns plötzlich alle persönlich bzw. familiär mit dem Thema auseinandersetzten, und ich glaube, ich habe irgendwann so lapidar zu Bulo gesagt „Dann setz doch deinen Vater da hin!“.

Über ihn sagt Böhling: „Er wurde damals wie jeder junge Mann zur Wehrpflicht eingezogen. Da hieß es dann ‚So, Sie sind also Kriegsoffiziers-Bewerber‘ und er dachte sich ‚Also, beworben habe ich mich nicht.‘ Wir haben mit ihm ein Video-Interview über seine Erinnerungen geführt, woraus sich auch noch ein dreiviertelstündiger Dokumentar-Film ergeben hat. Das war sehr aufschlussreich, weil heute ja oft behauptet wird ‚Man konnte damals nicht Nein sagen.‘ und mein Vater sagt: Doch, das war schon möglich.“ Produziert wurde die zunächst fünfteilige Reihe von Gary Glotz, der Produktionsfirma von Böhling und Geschäftspartner Markus von Luttitz. „Mit Humor und Pointe den Schrecken zu thematisieren, der Millionen Menschen das Leben gekostet hat – ist sicher gewagt, aber ohne Risiko macht so ein Projekt ja auch keinen Spaß“, erklären die beiden Produzenten.

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Die ersten drei Folgen feiern am Donnerstag bei den beiden Sendern von A+E Networks Germany, also History und A&E, ihre TV-Premiere, aber sollen nicht nur dort zu sehen sein. „Wie reagiert man mit dem Absender History schnell in einer Form auf aktuelle Ereignisse, die viele Menschen erreicht? Da spielen natürlich die sozialen Medien eine große Rolle, in denen wir ‚Der alte Mann auf der Bank‘ verbreiten wollen“, sagt Emanuel Rotstein. Die Video sind auch auf der Website www.deraltemannaufderbank.de zu sehen. Es gehe nicht darum, Quote zu machen mit diesem Projekt, das A+E Networks-Geschäftsführer Weinek persönlich sehr wichtig ist: „Wir als Medien haben eine gesellschaftspolitische Verpflichtung, und ein Geschichtssender wie History insbesondere. Wir dürfen nicht abwarten, bis uns eine Dokumentation rückblickend erklärt, wie das Unheil seinen Lauf nehmen konnte. Geschichte passiert täglich und mit diesem Format, das über Social Media auch viele junge Menschen erreichen wird, wollen wir aus unserem Markenkern heraus einen Beitrag zum Nachdenken leisten.“

Alle, die beim Interview am Konferenztisch in den Münchener A+E-Büros sitzen, vermeiden bewusst den furchtbaren Ausdruck vom viralen Video. Sie wissen, dass nichts bemühter wirkt als so etwas planen zu wollen. Aber freuen würden sie sich schon. Gemessen an der Kürze des Formats ist es wohl fair zu sagen: Keiner der Beteiligten hat je so kurzer Sendezeit mehr Aufmerksamkeit gewidmet. Teure, klassische Eigenproduktionen soll dieses Projekt nicht ersetzen. Wenn es am Ende auf die Marke History einzahle, sei viel erreicht. Rotstein: „Natürlich kann ein kurzer Clip das Thema nicht erschöpfend behandeln, aber er soll den Finger in die Wunde legen und nachdenklich machen. Unser Markenkern ist Relevanz und die muss man unserer Auffassung nach nicht nur im linearen Programm abbilden, weil eine Marke wie History mehr sein muss als eine Abspielstation. Wir verstehen Geschichte nicht als Vergangenheit, sondern als etwas, das jeden Tag geschrieben wird.“

Der alte Mann auf der Bank

Mit „Der alte Mann auf der Bank“ setzt sich eine Strategie fort: History hatte zuletzt damit begonnen, sein Genre aktueller zu definieren als in früheren Jahren. Mit der jüngsten klassischen Eigenproduktion „Total Control - Im Bann der Seelenfänger“ widmete man sich aktuellen gesellschaftlichen Themen. A+E-Kommunikationschef Sebastian Wilhelmi: „Die Kür für History hat begonnen, als wir unter Führung von Emanuel Rotstein Themen identifiziert haben, die gesellschaftliche Relevanz bergen. Wir wollen vor Augen führen, was in Deutschland und anderen europäischen Ländern passiert. Also, inhaltlich haben wir schon früher angefangen, in der Form allerdings ist ‚Der alte Mann auf der Bank‘ sicherlich ein Novum.“ Produzent Markus von Luttitz fast die Aussagen aller zusammen: „‚Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf‘ ist ein kluger Satz. Und wozu beschäftigt man sich mit Geschichte, wenn man keine Lehren daraus zieht? Der ‚alte Mann auf der Bank‘ greift die Verbindung zwischen damals und heute auf, um zu verhindern, dass die gleiche Rhetorik und gleichen Vorurteile wieder salonfähig werden.“