Seit eineinhalb Jahren brütete man beim Hessischen Rundfunk unter Intendant Manfred Krupp über einer neuen Strategie und der Frage, wie man den HR für die Zukunt fit machen will. Bei einer Strategie-Klausur wurde nun die Richtung, in die der HR entwickelt werden soll, beschlossen und in der vergangenen Woche auch den ersten Mitarbeitern präsentiert. Was zunächst mal wie die üblichen Sonntagsreden seit vielen Jahren klingt - Digitales stärken, Jüngere erreichen - gewinnt dadurch an Wucht, dass man beim HR auch klar benennt, dass es dazu nötig ist, Althergebrachtes wirklich über Bord zu werfen.

"Um Neues zu tun, müssen wir bereit sein loszulassen", macht Manfred Krupp seinem Haus klar und stimmt darauf ein, dass der lineare Bereich zunehmend an Bedeutung verliert - und zwar vor allem in den jüngeren Altersgruppen, die der Hessische Rundfunk nicht kampflos aufgeben will. "Wir richten den HR für die digitale Zukunft aus, indem wir uns noch stärker an den Bedürfnissen der Nutzerinnen und Nutzer orientieren und auf jüngere Zielgruppe konzentrieren", so der Intendant vor seinen Mitarbeitern. Der Schwerpunkt könne nicht mehr länger allein auf älteren Zielgruppen liegen. Fernsehdirektorin Gabriele Holzner erläutert den Gedanken dahinter so:  "Wenn ich die Älteren im Blick habe, sammle ich in aller Regel die Jüngeren nicht ein, umgekehrt geht das dagegen schon".

Die angekündigte "Fokussierung" im linearen Fernsehen etwa hat konkrete Konsequenzen für althergebrachte Formate. Das "hessenquiz" etwa wird ebenso wie "Dings vom Dach" zum Jahresende eingestellt, auch die Samstag- und Montagsausgaben des "Heimspiels". In der Sportredaktion arbeite man stattdessen an nutzerorientierten neuen Ideen auf Basis eines Publikumsgesprächs. Auch der "hessenreporter" steht vor einer Komplett-Überarbeitung. Was neu entwickelt wird, soll die "jüngeren Perspetivzielgruppen" bedienen, die der HR so verortet: Moderne Etablierte, Familienorientierte, Eskapisten. Dass eine solche Verjüngungskur aus Quotensicht zunächst durchaus schmerzhaft werden könnte, scheint den Verantwortlichen klar: "Wir richten uns auf jüngere Zielgruppen aus, selbst wenn wir dabei riskieren, Ältere weniger zu erreichen", sagt Krupp.

Da man die angepeilten jüngeren Zielgruppen zunehmend on demand statt im klassischen Fernsehen erreicht, wolle man neue Produkte konsequent für die non-lineare Ausspielung entwickeln. "Weg von der linearen Fernseh- hin zu einer Videostrategie", erläutert die Fernsehdirektorin. Das Fernsehen wäre für solche Formate dann nur noch eine Zweitverwertungs-Bühne. Um bei der linearen Verbreitung Geld zu sparen, will man zum Einen zudem auf einen zeitnahen Abschaltung der SD-Verbreitung drängen, sofern die KEF dem öffentlich-rechltichen Rundfunk nach 2020 dafür ohnehin kein Geld mehr zuerkennt. Innerhalb der ARD wird hier generell das zweite Halbjahr 2020 angepeilt, voraussichtlich der November. Das wird viel Geld sparen bei vergleichsweise geringem Risiko: Nur rund zehn Prozent empfangen den HR aktuell noch in SD - und sogar 97 Prozent haben einen HD-Fernseher, müssen also nur auf den Umstieg hingewiesen werden.Zum Anderen möchte man mit anderen ARD-Häusern über mögliche Kooperationen reden. Der HR bringt hier eine "Zusammenschaltung von Sendestrecken" zu Randzeiten ins Gespräch. Tatsächlich stellt sich ja schon lange die Frage, ob jedes Dritte ein 24-Stunden-Programm mit Inhalten, die über weite Strecken gar nicht regional sind, bestreiten und dieses deutschlandweit verbreiten muss.

Große Veränderungen kommen auch auf die Kulturberichterstattung zu, die man künftig "grundsätzlich digital first denken" wolle. Konkret bedeutet das das Aus für die Kulturwelle hr2-Kultur in ihrer bisherigen Form. hr2 soll - nach aktuellen Plänen schon bis April kommenden Jahres - zu einem reinen Klassik-Sender umgebaut werden. Die kulturelle Berichterstattung, die sich auf die Region fokussieren soll, wird man im Hörfunk künftig stattdessen bei hr-iNFO finden, wo sie naturgemäß aber weniger Platz einnehmen wird als auf einem eigenen Kanal. Online soll die regionale Kulturberichterstattung in hessenschau.de - das zentrale Portal des HR, das man weiter ausbauen will - integriert werden, zudem sollen Kultur-Formate für die Mediathek entwickelt werden. Was das konkret für die einzelnen Inhalte und Formate bedeutet, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch unklar, Arbeitsgruppen mit allen Beteiligten sollen sich ab August damit beschäftigen. Soziale Härten für feste wie freie Mitarbeiter wolle man vermeiden. "Klar ist aber: Es wird auch Dinge geben, die es nicht mehr geben wird", so Hörfunkdirektor Heinz Sommer.

Im Zuge dieser Neuausrichtung von hr2 müsse man aber auch die Ausrichtung der anderen Hörfunk-Wellen überdenken. Bei hr1 und hr4 wolle man Investitionen auf den Prüfstand stellen, konsequent stärken wolle man hr3 als "klares Flaggschiff der Hörfunkflotte". YouFM spiele eine "herausragende Rolle, die junge Zielgruppe mit Angeboten des HR zu erreichen". Das würde man gerne besser auf die digitale Welt übertragen und prüft daher eine "digitale Weiterentwicklung". Konkrete Pläne sind hier aber noch nicht spruchreif. Auch bei den digitalen Angeboten will sich der HR stärker als bislang fokussieren und etwa die bisherige Programmbegleitung auf das "notwendige Maß" reduzieren, um so Kapazitäten für Neues zu schaffen, so Multimedia-Leiter Tilo Barz. Im Fokus stehen bei neuen digitalen Produkten dabei stets die Unter-35-Jährigen. Und: Es gehe darum, die Gesellschaft besser in ihrer Diversität abzubilden. Generell wolle man sich hier lieber auf weniger, aber erfolgversprechende Produkte konzentrieren.

All das stellt den Hessischen Rundfunk mit seinen althergebrachten Strukturen fraglos vor große Herausforderungen. Es gehe bei den Plänen nicht um einen Sparkurs, aber um Mittelumschichtungen, die noch deutlich stärker ausfallen müssten als bislang. Vor allem aber gilt es, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit ins Boot zu holen. Wer seit Jahrzehnten lineares Programm macht, wird nicht ohne Weiteres zur Online- und Social-Media-Fachfrau bzw. -mann. Es gehe also jetzt auch um weitreichende Qualifizierungsmaßnahmen. Inwieweit die verfangen und langjährige Mitarbeiter bereit sind, sich darauf einzulassen, wird maßgeblich über den Erfolg entscheiden - nicht nur in anderen ARD-Häusern kann man ein Lied von den Widerständen singen, auf die man bei solchen Veränderungen trifft. Immerhin: Die Stimmung beim ersten Termin sei schonmal gut gewesen. "Viele haben schonlange auf diese Schritte gewartet. Sie bringen Chancen mit sich, lösen aber natürlich auch Bedenken aus", sagt Manfred Krupp und macht nochmal die Tragweite klar: "Uns allen muss bewusst sein: Veränderung betrifft das ganze Haus."