In einem langen "Spiegel"-Interview hat Mathias Döpfner über die Meinungsfreiheit in Deutschland sowie die Debattenkultur im Land gesprochen. Der Springer-Chef stand nach dem Anschlag in Halle selbst in der Kritik, weil er in einem Artikel Medien und Politik vorwarf, zu oft zu beschwichtigen und verharmlosen, wenn es beispielsweise um Flüchtlinge gehe. Dafür bekam er auch von Rechtsaußen Applaus. Im "Spiegel" sagt er dazu: "Auch das muss man aushalten. Einmal Applaus von der falschen Seite, und man ist raus, die ganze Argumentation diskreditiert? [...] So geht es nicht! Das ist Antidebatte."
Grundsätzlich vermisse er "lebendige Debatten und überraschende Positionen", so Döpfner, der meint, der "Diskurs ist politisch korrekt sediert". In Deutschland könne jeder das sagen, was sie oder er denkt. Das würden sich aber immer weniger Menschen trauen. "Meine paradoxe Beobachtung: Je weniger Mut es kostet, seine Meinung zu sagen, desto weniger Mut ist vorhanden. Unter Hitler und Stalin haben Menschen ihr Leben riskiert. In Deutschland 2019 riskiert man einen Shitstorm. Und kaum einer traut sich. Das ist nicht gut. Widerspruch ist der Humus einer demokratischen, offenen Gesellschaft."
Derzeit erlebe man einerseits eine maximale Polarisierung und Verrohung der Sitten - "vor allem in den sozialen Netzwerken". Die Sprache vieler Politiker, Journalisten, Wirtschaftsführer, Künstler im öffentlichen und veröffentlichten Raum werde dagegen immer vorsichtiger und steriler. "Es wird immer riskanter, unvorbereitet und ungescripted etwas zu sagen", so Döpfner. Die Menschen würden aber merken, dass immer mehr Politiker und auch Medien eine Sprache benutzen würden, "die an Saft und Kraft und Ehrlichkeit verliert". Der Springer-Chef: "Der öffentliche Diskurs folgt den rhetorischen Regeln der Political Correctness. Man beschreibt Dinge eher so, wie sie sein sollten, und vor allem so, dass jeder Anstoß vermieden wird. Das sorgt gerade im politischen Raum dafür, dass Menschen das Gefühl haben: Die sagen nicht, was sie denken, und tun nicht, was sie sagen."
Zuletzt hat die "Bild"-Zeitung eine große Kampagne gefahren und darin auch Politikern wie Claudia Roth Antisemitismus unterstellt. Roth traf sich mit dem iranischen Parlamentspräsidenten, der den Holocaust relativiert. Dazu sagt Döpfner, Roth unterstütze damit indirekt Antisemitismus. Roth habe keinen Grund gehabt, diesen Termin wahrzunehmen und es sei die Aufgabe von Journalisten, darauf hinzuweisen, dass damit Antisemitismus verharmlost werde. "Auch die indirekte Verharmlosung oder Relativierung von Antisemitismus ist für mich außerhalb des demokratischen Konsenses."
Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) hat Roth übrigens in Schutz genommen und erklärt, es sei üblich, "am Rande internationaler Konferenzen auch Anfragen ausländischer Delegationen zum bilateralen Gespräch anzunehmen und dabei mit gebotenem Nachdruck unsere Wertmaßstäbe zu vertreten." Roth habe die iranischen Vernichtungsdrohungen gegenüber Israel aufs Schärfste verurteilt und deutlich gemacht, dass sich Deutschland der Verteidigung des Existenzrechts Israels verpflichtet sieht.
Die Verschärfung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes ist für Döpfner der falsche Weg, um den Diskurs im Netz wieder in richtige Bahnen zu lenken. Das habe das Potenzial dazu, die Meinungsfreiheit zu beschränken, warnt der Springer-Chef. "Wenn demnächst ein Algorithmus entscheidet, welche Formulierung verletzend, beleidigend oder falsch ist, finde ich das problematisch. Die Hauptursache für Hate Speech, für Fake News und für die zunehmende Emotionalisierung und Polarisierung der Gesellschaft ist doch die Existenz anonymer Accounts." Wenn eine Person im Netz identifizierbar sei, sei es Aufgabe der Staatsanwaltschaft zu entscheiden, ob Grenzen überschritten worden seien oder nicht. "Ich finde, ein Account muss auch Accountability, also Verantwortlichkeit, bedeuten", sagt Döpfner.