Will man die Location im 23. Stock eines Hamburger Hochhauses als Statement sehen, dann könnte man den Eindruck gewinnen, Volker Herres will mit dem Ersten hoch hinaus. Tatsächlich liegt der Sender seit einigen Jahren schon ein ganzes Stück hinter dem ZDF, auch wenn es zuletzt gelungen ist, die Zuschauerakzeptanz etwas auszubauen, wie der ARD-Programmdirektor bei der Jahrespressekonferenz sagte. Zum wachsenden Erfolg trug nicht zuletzt die Primetime bei, in der man 2019 dank gestiegener Quoten sogar Marktführer ist.

"Lineares Fernsehen spielt allen Unkenrufen zum Trotz immer noch eine dominante Rolle im Markt", sagte Herres mit Blick auf die Quoten, unterstrich aber zugleich das Bestreben, fit zu werden für die zeitversetzte Nutzung. Mehr und mehr wolle man dazu übergehen, Sendungen vorab in der Mediathek veröffentlichen – diesen Plan hat die ARD schon vor einigen Wochen ausgerufen. Klar ist nun, dass die Offensive am 1. September starten soll. Jörg Schönenborn, der beim WDR unter anderem die Fiktion verantwortet, machte in Hamburg deutlich, wie das aussehen soll. "Wir machen Dinge, die wir so nur als ARD anbieten können", sagte er.

Gemeint ist etwa ein Bündel regionaler Comedyserien, für deren Produktion die Dritten Programme verantwortlich zeichnen. Da geht es unter anderem um ein Altenheim im Raum Heilbronn, das an eine junge Erbin geht, und eine Geschichte, die in der schleswig-holsteinischen Provinz spielt. Außerdem will man mit der Unterstützung der Degeto skandinavische Serien gezielt für die Mediathek kaufen sowie Filme und Serien vorab anbieten, darunter die für den Herbst geplante dritte Staffel von "Charité". 

Eine wichtige Rolle wird aber auch dem traditionellen FilmMittwoch zukommen, der in den vergangenen Jahren an Zuspruch verloren hat. Gerade weil fiktionale Produktionen in der Mediathek am beliebtesten sind, will sich die ARD hier ein Stück weit neu erfinden. "Wir haben uns ziemlich genau angeschaut, wie das goldene Serien-Zeitalter die Sehgewohnheiten verändert", sagte Schönenborn und stellte vier Reihen vor, die in der Mediathek in Form klassischer Serienfolgen veröffentlicht werden sollen. Dabei handelt es sich um "Unsere wunderbaren Jahre" nach dem Roman von Peter Prange, "Der Überläufer" mit dem iEmmy-Nominierten Jannis Niewöhner, "Oktoberfest 1900" über den erbitterten Kampf zweier Brauerei-Clans und "Das Geheimnis des Totenwalds", in dem es um eines der unglaublichsten Verbrechen der Nachkriegsgeschichte geht.

Zudem soll 2020 auch die neue "Babylon Berlin"-Staffel gezeigt werden – erst einmal wird jedoch Sky an der Reihe sein. Geplant sind zwölf neue Folgen, in deren Mittelpunkt erneut der von Volker Bruch verkörperte Kommissar Gereon Rath steht. Zudem steht 2020 das Comeback von "Pan Tau" bevor: Nach 50 Jahren kehrt der legendäre Magier mit einer 14-teiligen Serie ins deutsche Fernsehen zurück, diesmal verkörpert vom britischen Comedian Matt Edwards und produziert von Caligari Film. Daneben stehen mit "Der starke Hans", "Helene" und "Das Märchen vom goldenen Taler" im nächsten Jahr zu Weihnachten drei neue Märchenfilme auf dem Plan.

Neues "Tatort"-Team, Beethoven, Schirach-Event

Und dann ist da auch noch der "Tatort", der im nächsten Jahr seinen 50. Geburtstag feiern wird. Im Jubiläums-Monat November sollen die Teams aus München, Wien und Ludiwigshafen ermitteln, aber auch aus Dortmund und Köln – Letztere sogar in einem Doppel-"Tatort". Bei derart vielen Dauerbrennern braucht es aber auch Erneuerung. Und die soll aus Bremen kommen: Jasna Fritzi Bauer, die gerade in der Vox-Serie "Rampensau" die Hauptrolle spielt, wird zusammen mit Luise Wolfram und Dar Salim werden das neue Bremer "Tatort"-Team bilden. Ein launiger Auftritt des Trios in Hamburg machte bereits Lust auf mehr. 

Um die Wartezeit bis zum ersten Fall im Jahr 2021 zu verkürzen, wird es im kommenden Jahr eine sechsteilige Serie in der Mediathek geben, die auf satirische Weise zeigen soll, wie das neue "Tatort"-Team gecastet wurde. "Ein bisschen schräger als sonst" soll es darin zugehen, kündigte Radio-Bremen-Programmdirektor Jan Weyrauch an, und versprach mit Blick auf den eigentlichen "Tatort" eine "Mischung aus '4 Blocks' und 'Schimanski". Die Dreharbeiten hierfür sollen im Herbst beginnen. 

Neues Bremer Tatort-Team

Ingo Zamperoni im Gespräch mit dem neuen Bremer "Tatort"-Team

Als weiteren Höhepunkt soll im zweiten Quartal 2020 ein Beethoven-Schwerpunkt folgen. Anlass ist der 250. Geburtstag des Komponisten, der zunächst mit dem Historienfilm "Louis van Beethoven" (AT) gefeiert wird. Erzählt wird die Lebensgeschichte aus zwei unterschiedlichen Perspektiven – aus Sicht des jungen Genies und aus Sicht des tauben und einsamen, alten Mannes. Das Kind Louis wird vom Jungpianisten Colin Pütz gespielt, während Tobias Moretti den Beethoven am Ende seines Lebens verkörpert. Nach den "Tagesthemen" folgt außerdem eine Jubiläumskonzert-Show, die zeitversetzt aus Beethovens Geburtsstadt Bonn gesendet wird.

Spannend auch ein fiktionales Projekt, hinter dem die Degeto und Produzent Oliver Berben stehen. Besonders ist "Der Feind – Recht oder Gerechtigkeit" nicht nur deshalb, weil Ferdinand von Schirach das Buch geschrieben hat, sondern auch wegen der Programmierung. Gezeigt werden nämlich zwei Filme mit Klaus Maria Brandauer und Bjarne Mädel, die sich um das gleiches Thema drehen, aber unterschiedliche Perspektiven einnehmen. Die Zuschauer sollen "darüber nachdenken, ob das festgefahrene Bild wirklich so richtig ist", sagte Berben und Degeto-Chefin Christine Strobl ergänzte: "Wir müssen die Fakten liefern, aber wir müssen die Zuschauer vor allem zum Diskutieren bringen."

Dokumentation, Unterhaltung und Sport

Um Relevanz geht es auch bei den anstehenden Dokumentationen. "Wir haben eine verdammte Verantwortung für den Geisteszustand der Republik", sagte Programmdirektor Volker Herres. Gleich am 13. Januar wird sich ein Film mit der Geschichte der Grünen beschäftigen, eine Woche später folgt mit "Das Forum" eine Dokumentation über das Weltwirtschaftsforum. Darüber hinaus will Stefan Lamby der Frage nachgehen, wie Angela Merkels Satz "Wir schaffen das" das Land veränderte, und "Tagesthemen"-Moderator Ingo Zamperoni möchte anhand seiner eigenen Familie aufzeigen, welche Spaltung durch Amerika geht.

Im Unterhaltungsbereich durften Maren Kroymann, Kai Pflaume und Florian Silbereisen für ihre Formate trommeln – wirklich Neues hatte der Sender hier allerdings nicht im Gepäck, was auch daran liegt, dass hier quasi kaum Schwachstellen im Programm existieren – hier geht es vor allem um eine Weiterentwickelung des Bestehenden. Angesichts der guten Quoten von Shows wie "Klein gegen Groß" oder den Schlagerpartys verwies Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber zugleich darauf, dass das viel beschworene Fernseh-Lagerfeuer noch immer fackle. 

Lagerfeuer erhofft sich die ARD aber auch von den beiden sportlichen Großereignissen, den Olympischen Sommerspielen und der Fußball-EM. Dreh- und Angelpunkt der EM-Berichterstattung wird erstmals das Kölner "Sportschau"-Studio sein, kündigte Sportkoordinator Axel Balkausky an. Gleichzeitig werde man aber auch vor Ort sein und sich dort die Produktionsmittel mit dem ZDF teilen. "Es ist das höchste Maß an Synergie, die wir erzielen können", so Balkausky. In der Vorrunde wird man mit dem Spiel gegen Portugal übrigens nur eine Partie der Nationalmannschaft zeigen – bleibt aus Sicht des Senders zu hoffen, dass trotz der harten Gruppengegner noch weitere folgen werden.