Nach 22 Jahren hört Richard Gutjahr als fester freier Mitarbeiter des Bayerischen Rundfunks (BR) auf, das hat er jetzt in einem Blogpost angekündigt. In einem Offenen Brief an den BR-Intendanten Ulrich Wilhelm wirft er diesem nun vor, ihn in den vergangenen Jahren allein gelassen zu haben, als er immer wieder aus dem Netz von rechts angefeindet wurde. Darüber hinaus wirft er Wilhelm vor, die Gremien des BR belogen zu haben. "Dass der Intendant und seine engsten Mitarbeiter später versucht haben, das Kontrollgremium des Bayerischen Rundfunks zu täuschen und hinter verschlossenen Türen immer wieder die Wahrheit zu verbiegen, kann ich so nicht stehen lassen", schreibt Gutjahr. 

Gutjahr war 2016 zufällig in Nizza, als sich dort ein Terroranschlag ereignete. Er filmte das und stellte das Material der ARD zur Verfügung. Wenige Tage später war er auch beim Anschlag am Olympia-Einkaufszentrum in München vor Ort und berichtete als einer der ersten Journalisten. Verschwörungstheoretiker warfen ihm daraufhin immer wieder vor, selbst in die Anschläge verwickelt zu sein und behaupteten, die Anwesenheit an den beiden Orten könne nicht zufällig sein. Das, und viele weitere Bedrohungen aus dem Netz, begleiten Gutjahr und seine Familie seit nun schon drei Jahren. 

Damals wandte sich der Journalist dann auch in einem Brief an den BR-Intendanten Ulrich Wilhelm und führte daraufhin ein Gespräch mit ihm. Das Fazit dieses Gesprächs beschreibt Gutjahr in seinem Offenen Brief nun so: "In unserem darauffolgenden Gespräch hatten Sie mich vertröstet, ich hatte damals den Eindruck Sie konnten oder wollten die Dimension dieser Attacken nicht nachvollziehen." Noch beim Verlassen des Büros habe er an das Mitgefühl Wilhelms appelliert und darum gebeten, ihn aktiv zu unterstützen, so Gutjahr. "Meine Bitte blieb ungehört. Stattdessen verwiesen Sie persönlich und Ihre juristische Direktion immer wieder darauf, dass der BR freien Mitarbeitern keine Rechtsberatung geben dürfe."

"Was wir in disruptiven Zeiten wie diesen brauchen, ist kein öffentlich-rechtliches Google oder Facebook, sondern vor allem Führungskräfte mit Rückgrat, Herz und moralischem Kompass."
Richard Gutjahr

Gutjahr begann daraufhin auf eigene Faust, gegen Verschwörungstheoretiker und rechte Hetzer zu prozessieren, seine Rechtsschutzversicherung kündigte ihm aber nach eigenen Angaben nach rund einem Jahr und so wuchsen ihm die Kosten über den Kopf. Vom BR bekam er damals nach eigenen Aussagen lange keine Unterstützung. "Erst als ich mich in der Folge an den Ombudsmann sowie an den Rundfunkratsvorsitzenden des BR wandte, ließen Sie mir finanzielle Beihilfe zukommen, eine einmalige Zahlung, weniger als ein Monatsgehalt."

Gutjahr wirft Wilhelm aber nicht nur vor, nicht geholfen zu haben, der BR-Intendant soll die Gremien des Senders auch belogen haben. So soll Wilhelm behauptet haben, die Prozesskosten des Journalisten beglichen zu haben. Auch eine angebliche Entschuldigung bei Gutjahr hat es laut ihm nicht gegeben. Wilhelms jüngste Aussagen über die Verantwortung des BR in Zeiten von Fake News und Hate Speech seien nur "schwer zu ertragen" gewesen, so Gutjahr. "Wie kann man sich auf Bühnen stellen und von Werten reden, wenn man diese im Tagesgeschäft aber auch gegenüber dem eigenen Rundfunkrat so eklatant vermissen lässt?"

Wilhelm habe als BR-Intendant und ARD-Vorsitzender helfen und sich vor ihn stellen können, so Gutjahr. "Stattdessen haben Sie weggeschaut – und das obwohl Sie als einer der Wenigen schon frühzeitig über alle Details, insbesondere über die antisemitischen Motive unserer Angreifer, bestens informiert waren." Ulrich Wilhelm spricht seit zwei Jahren von einer europäischen Supermediathek, die es geben müsse, um den Giganten aus dem Silicon Valley etwas entgegenzusetzen. Dazu schreibt Richard Gutjahr: "Was wir in disruptiven Zeiten wie diesen brauchen, ist kein öffentlich-rechtliches Google oder Facebook, sondern vor allem Führungskräfte mit Rückgrat, Herz und moralischem Kompass. Führungskräfte, die nicht nur auf Medienkongressen und in Interviews über Werte und Verantwortung reden, sondern diese Tag für Tag vorleben." Die Art und Weise, wie Wilhelm sich gegenüber ihm und seiner Familie verhalten und zudem versucht habe, "die Rundfunkräte für dumm zu verkaufen" lasse nur einen Schluss zu: "Sie und Ihre Berater haben die Wucht des digitalen Wandels noch immer nicht verstanden."

DWDL.de hat den BR um eine Stellungnahme von Intendant Ulrich Wilhelm gebeten. 

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Update (13:30 Uhr): Zunächst haben wir in diesem Artikel von "rechten Pöblern" geschrieben. Wir haben das in "rechte Hetzer" geändert.

Update (14:45 Uhr): Der BR hat sich nun zu den Vorwürfen von Richard Gutjahr geäußert. Ein Sprecher sagt, die "wiederkehrende öffentliche Kritik" von Gutjahr erhalte keine neuen Aspekte und sei nicht zutreffend. "Der BR weist insbesondere den Vorwurf der Lüge und Täuschung durch den Intendanten strikt zurück." Der Hass, der Richard Gutjahr seit drei Jahren im Netz entgegenschlage, sei beschämend. Die Verschwörungstheorien bezeichnet der BR als "absurd" und die Drohungen als "erschütternd". Der BR-Sprecher: "Die Geschäftsleitung und der Vorsitzende des Rundfunkrats des BR haben sich in den letzten drei Jahren mehrfach und intensiv mit allen Facetten des Falles beschäftigt. Der Rundfunkrat hat ausführlich über den Fall beraten. Herr Gutjahr erhielt finanzielle Unterstützung auch im Hinblick auf ihm entstandene Prozesskosten."

Darüber hinaus heißt es vom BR, man habe Gutjahr eine Weiterbeschäftigung "in einem interessanten, auf seinen Themenbereich zugeschnittenen Bereich" angeboten. Da der Journalist das aber nicht wollte, habe man sich bereits im März 2019 auf einen Aufhebungsvertrag geeinigt, seitdem sei Gutjahr nicht mehr für den BR tätig gewesen. "Die Entwicklungen im Netz, wie sie auch Richard Gutjahr beschreibt, haben dazu geführt, dass der BR zusammen mit dem Bayerischen Justizministerium, der BLM und vielen weiteren Medien eine Initiative gegen Hass im Netz gestartet hat. Mit dieser Kooperation können Hass-Angriffe gegen Journalisten in Bayern nun einfacher an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet und dort verfolgt werden."