"Es war gut und jetzt ist es auch mal gut": So kommentierte Günther Jauch vor anderthalb Jahren im Gespräch mit DWDL.de den Verkauf seiner Produktionsfirma i&u TV an das damals noch namenlose neue Medienhaus, das Fred Kogel derzeit mit Unterstützung von Finanzinvestor KKR formt. Das Produktionsgeschäft in Köln lief seitdem weitgehend unverändert weiter, auch weil Fred Kogel und KKR zunächst einmal weiter mit dem Aufbau von dem beschäftigt waren, was erst Monate später überhaupt Leonine genannt wurde.

Fred Kogel © Leonine Leonine-CEO Fred Kogel
Klar: Kogel kam schon zum Antrittsbesuch in die Domstadt, stellte sich dem Kölner Team und dem Team wiederum die neue Holding Leonine Studios in einem extra angemieteten Kino vor. Mit dabei war auch Christian Meinberger, der sich bei Leonine um die digitalen Geschäftsfelder kümmert und für Leonine den direkten Draht hält nach Köln. Die schon begonnene Entwicklung von Formaten für YouTube intensivierte i&u TV unter der Zugehörigkeit zu Leonine, aber davon abgesehen blieb bislang erst einmal vieles beim Alten.

Pocher brachte i&u TV an seine Grenzen

Doch das wird sich ändern. Es kommt Bewegung in „die Behörde“, ein Spitzname der immer wieder bei den Recherchen zu diesem Artikel von Künstlern und Geschäftspartnern zu hören ist. Gemeint ist das meist durchaus liebevoll. Verlässlichkeit in einer Branche voller Versprechungen und Flüchtigkeit wird geschätzt, aber es nimmt natürlich auch den Führungsstil und die Behäbigkeit aufs Korn. Die brachte jüngst sogar Oliver Pocher auf die Palme, der seit Jahren dank Fürsprache von und Freundschaft mit Günther Jauch mit i&u zusammenarbeitet.

Mit Leonine gründete er im Frühjahr die Produktionsfirma Pool of Brainz, um die spontan entwickelte LateNight „Pocher - gefährlich ehrlich“ für RTL zu produzieren. Ein eigenes Team hat die Firma noch nicht, de facto produzierte i&u TV. Pochers drängendes und oft sehr tagesaktuelles Sendungsbewusstsein sowie Comedy als Genre sind allerdings nicht gerade Stärken von i&u TV. Ein Beitrag wäre beinahe gar nicht rechtzeitig fertig geworden. Es kam zur Aussprache und der Sorge Pochers, dass die Show in den Händen von i&u TV nicht lange on air bleiben würde. Kein idealer Start für Pierre Uebelhack, der im Mai als SVP Entertainment Production genau dafür gekommen ist.

Pocher - Gefährlich ehrlich © RTL "Pocher - gefährlich ehrlich"
Seit Anfang September übernimmt nach DWDL.de-Informationen inzwischen Banijay Productions die Produktion von Einspielfilmen für „Pocher - gefährlich ehrlich“, steuert die Comedy-Expertise bei. Angesichts der Tatsache, dass Banijay kürzlich mehrheitlich beim Management von Oliver Pocher eingestiegen ist, sollte Leonine aufpassen, den gerade erst durch die Gründung von Pool of Brainz gebundenen Kopf auch zu halten. In München sei man enttäuscht gewesen darüber, dass „die Behörde“ das Projekt nicht allein gestemmt bekam.

Um zu verstehen, warum 2021 ein Jahr des Wandels für Günther Jauchs ehemalige Produktionsfirma wird, hilft ein Blick auf die Historie des Unternehmens mit aktuell rund 150 Mitarbeitern, das sich einerseits nur mit einem Gesellschafter wie Jauch über all die Jahre so unaufgeregt entwickeln konnte, sich andererseits aber genau deshalb jetzt neu erfinden muss. i&u TV, das ist bis heute wohl eine der unscheinbarsten Produktionsfirmen der deutschen Fernsehbranche, und das aus vielerlei Gründen.

Unscheinbar aber stetig gewachsen

Schmuckloser Firmensitz, um mit dem Plakativen anzufangen, ist der Kölner Hohenzollernring, wo das stetig gewachsene Unternehmen immer wieder neue Büroflächen dazu genommen hat und sich inzwischen auf diverse Etagen in mehreren Häusern erstreckt. Allesamt im für Köln typischen Baustils des Ästhetisch-Anspruchslosen. Im Erdgeschoß des Stammhauses eine der berüchtigten Ring-Diskotheken von Köln mit gelegentlichen „Gangbang“-Parties, nebenan ein unscheinbares Hotel und ein Wettbüro. In weiterer Nachbarschaft einerseits das ehemalige Capitol-Theater ("Harald Schmidt Show"), das gerade als Supermarkt neu eröffnet wird, aber auch Unternehmen wie BBC Studios und DWDL.de.

Am Hauseingang hängt ein überschaubar großes Firmenlogo, bis vor einigen Wochen noch äußerst pragmatisch mit der Unterzeile "Wir produzieren Stern TV“ versehen - sinnbildlich für die langjährige Wahrnehmung und Selbstdarstellung des Unternehmens, denn genau dafür war i&u TV in der Branche lange bekannt: Die Firma, mit der Jauch seine RTL-Sendung am Mittwochabend selbst produzierte - dazu noch am Jahresende „Menschen, Bilder, Emotionen“.

Günther Jauch 2008 © imago images / Metodi Popow Günther Jauch (2008)
"Als wir mit der Firma anfingen, lag der Prozentsatz der Sendungen, die von mir moderiert wurden, bei 100 Prozent. In den vergangenen Jahren habe ich immer gesagt, dass die Zukunft und Entwicklung von i&u davon abhängt, inwieweit man sich von mir als Moderator emanzipieren kann", erklärte Günther Jauch 2008 in einem Interview mit dem Medienmagazin DWDL.de.

Das nahm sogar schon 2002 seinen Anfang, als Oliver Geissen "Die 80er Show" moderierte, gefolgt von einer Variation über die 70er mit Hape Kerkeling, bevor die 90er- und die DDR-Version wiederum von Geissen präsentiert wurden. Er ist auch bis heute Gastgeber der "Ultimativen Chartshow", die im Mai 2003 Premiere feierte und bis heute mit mehr als 150 Sendungen und ungleich viel mehr Wiederholungen zum RTL-Programm gehört. Diverse Formate mit diversen Köpfen folgten in den ersten Jahren, viele aber mit nur wenigen Ausgaben.

Am Ende aber war i&u TV nach den ersten zehn Jahren in der Wahrnehmung der Branche weiterhin vor allem eins: Jauchs Laden für "Stern TV" und "Chartshow". Zwei Formate von einer Beständigkeit, die sich viele Produzenten wünschen würden. Mit Frank Elstners "Unglaublichem Quiz der Tiere" und dem seit 2008 produzierten Jahres-Quiz mit Gastgeber Frank Plasberg hatte Jauchs i&u TV einen Fuß in der Tür bei der ARD, zu der er im zweiten Anlauf dann 2011 auch persönlich wechselte, um den Polittalk unter seinem Namen zu machen. Im Januar 2011 übergab er dafür "Stern TV" an Steffen Hallaschka.

Abenteuer in Berlin, Wachstum in Köln

Der Polittalk in Berlin - ein Kraftakt für die Firma und die aufregendste Expansion in der bisherigen Firmengeschichte. Die sonntägliche Gesprächssendung wurde in Berlin produziert, einem Standort, mit dem Jauch selbst immer geliebäugelt hat. Dass sein Herz privat für Potsdam schlägt, ist bekannt. "Es gab mal die Überlegung nach Berlin respektive Potsdam zu gehen. Da gab es sehr schöne Anreize mit i&u TV umzuziehen. Ich hätte das eigentlich auch nicht ungern gemacht, aber gerade bei unseren jüngeren Kolleginnen und Kollegen gab und gibt es eine erhebliche Lobby für Köln. Am Ende haben zwei Dinge den Ausschlag gegeben: Das Votum unseres Teams und die Nähe zu RTL, unserem wichtigsten Partner, die für uns entscheidend waren."

Auch wenn Jauchs Ausflug in den öffentlich-rechtlichen Polittalk in der Erinnerung präsenter ist, so entwickelte sich i&u TV parallel dazu in diesen Jahren zu einer festen Größe im non-fiktionalen Unterhaltungsfernsehen und wurde endgültig mehr als die Firma hinter "Stern TV" und "Chartshow". Mit "5 gegen Jauch" (seit 2009 für RTL), Kai Pflaumes "Klein gegen groß" (seit 2011 für Das Erste) und seit 2013 "Die 2" bzw. nach Relaunch "Denn Sie wissen nicht was passiert“ (gerade mit einem Deutschen Fernsehpreis für die Moderation ausgezeichnet) kamen große und immer noch laufende Unterhaltungsshow dazu.

Andreas Zaik © getty images / Franziska Krug Andreas Zaik, Steffen Hallaschka (2012)
Diese stetige Entwicklung des Unternehmens unter Geschäftsführer Andreas Zaik erfolgte in einer für den heutigen medialen Zirkus ungewöhnlich stillen Art und Weise, weil Inhaber Günther Jauch mit dem Unternehmen keine Profilierung am Markt suchte, so wie es die meisten anderen Marktteilnehmer tun. i&u TV machte keine Schlagzeilen mit spektakulären Personalien, kaufte selten internationale Formatideen und beteiligte sich nie an Branchendebatten.

Selbst das nüchterne Firmenlogo ist eher Ausdruck von Notwendigkeit als gewolltem Branding.  Geschäftsführer Andreas Zaik hat in 20 Jahren kein recherchierbares Interview gegeben. Inhaber Jauch übernahm die PR-Arbeit. Selbst Fotos vom Lenker des Unternehmens sind eine echte Seltenheit. So blieb die Strategie des Hauses oft ein Rätsel - bis jetzt. Nach der Leonine-Übernahme hat i&u TV besonders die Entwicklungen im Digitalen ausgebaut, hat im schwierigen Corona-Jahr viel entwickelt - und kommuniziert diese Ambitionen im Zweifel am Geschäftsführer vorbei.

"Zusammen mit Christian Meinberger und dem i&uTV-Team haben wir das i&u TV-Produktionsportfolio im letzten Jahr um neue Shows sowie die Digital Originals und den Aufbau von Web-Channels erfolgreich erweitert. i&u TV ist in den vergangenen Monaten in diesem Bereich signifikant gewachsen. Wir haben hier noch Einiges zusammen vor", erklärt Fred Kogel, CEO von Leonine auf Anfrage von DWDL.de zur Rolle von i&u TV.

Kogel weiter: "Wir sind im Non-Fiction Bereich mit dem hervorragenden Team bei i&u TV und auch mit unserer Münchner Produktionsfirma Odeon Entertainment sehr gut und komplementär aufgestellt, sowohl was große Primetime-Shows wie auch Informationssendungen und Dokusoaps und Daytime-Formate anbelangt." Künftig werden beide Firmen dann von Nina Etspüler koordiniert, die nach DWDL.de-Informationen 2021 als Head of Unscripted zu Leonine kommt.

Digitale Marken und Events: i&u verändert sich

Vom klassischen Auftragsproduzenten zum Thinktank für digitale Ideen, die erstmal entwickelt und später erst finanziert werden - das ist ein radikales Umdenken für ein auch personell beständiges Produktionshaus wie i&u TV. Bestes Beispiel: Geschäftsführer Andreas Zaik hat mit Jauch zusammen vor 30 Jahren "Stern TV" aus der Taufe gehoben. Was Leonine verlangt, ist die Lust am kalkulierten Risiko, per se keine Stärke für ein Unternehmen mit dem Ruf einer Unterhaltungsbehörde.

Christian Meinberger © TMG Leonine-CDO Christian Meinberger
Wenn Leonine-Chief Digital Officer Christian Meinberger jetzt sagt "Wir erweitern unsere Formatmarken, wie 'stern TV' und 'Klein gegen Groß' auf digitalen Plattformen und erreichen so auch neue Zielgruppen, die Inhalte nicht mehr linear konsumieren", dann ist das nur die naheliegende Art und Weise vieler Produzenten mal irgendetwas ins Netz zu verlängern. Die Ambitionen aber sind größer. Meinberger arbeitet von München aus mit Henrik Wittmann, Digital-Chef von i&u TV, und dem Kölner Team auch an eigenständigen Digital-Marken und -Events.

Ambitioniertestes Projekt ist Youtopia, ein viertägiges YouTube Live-Event rund um den Klimaschutz, das kommende Woche in Köln realisiert wird. Meinberger erklärt gegenüber DWDL.de: "Gemeinsam mit weiteren Top Creators wird Moderator Jacob Beautemps unter einer künstlichen Kuppel leben und dort Vertreter aus Wissenschaft und Gesellschaft zu interessanten Talks und faszinierenden Experimenten begrüßen. Wir möchten mit dem Format auf unterhaltsame Weise Wissen über den Klimawandel, Naturschutz und neue Technologien zu vermitteln."

Aber auch der YouTube-Kanal "Breaking Lab" ist ein "schönes Beispiel für die Factual-Kompetenzen bei i&u. Durch kluges Channel-Management aber zu allererst natürlich durch die beliebten Inhalte ist der Kanal gewachsen", führt Meinberger aus. "Neben Formaten mit aktuellem Bezug, wie 'Wir gegen Corona', gelang es uns, zusammen mit der Hans Riegel Stiftung die MINT-Livestreams ins Leben zu rufen, eine wertvolle digitale Bildungsoffensive in Zeiten von coronabedingten Schulschließungen. Auch Branded-Content ist inzwischen ein Bestandteil des i&u TV-Leistungsspektrums. Derzeit entsteht für eine führende Handelskette ein wöchentliches Branded-Content Format mit bekannten YouTubern, das ab Oktober über verschiedene Digital-Kanäle ausgewertet wird."

Die stillen Jahre unter Jauch sind vorbei

So viel Öffentlichkeitsarbeit gab es zur Strategie von i&u TV noch nie, obgleich das Kerngeschäft natürlich weiter die Produktion großer TV-Formate bleibt. Der neue Besitzer Leonine braucht aber anders als Günther Jauch nicht nur ein solides Jahresergebnis, das sich aus Auftragsproduktionen mit bestehenden Geschäftsbeziehungen speist. Unter Jauch war sich i&u TV lange selbst genug - was im Übrigen schon schwierig genug und eine Errungenschaft im Wettbewerb weitaus kurzfristiger denkender Konkurrenz ist. Die Kontinuität ist rückblickend bemerkenswert.

Leonine © Leonine
Zur Wahrheit, egal ob nun bequem oder unbequem, gehört aber die Erkenntnis: Leonine muss mit Finanzinvestor KKR im Rücken Wachstumsfantasien im Markt wecken und dafür Schlagzeilen generieren. Das kann mit neuen Geschäftsfeldern passieren oder mit einem Ausbau der Genre-Vielfalt. Beides bedarf einerseits inhaltlich bei i&u TV den Willen und die Fähigkeit zur Veränderung, andererseits aber auch eine aktivere Kommunikation. Die stillen Jahre sind vorbei. Bleibt abzuwarten, wer den Aufbruch über 2020 hinaus an der Spitze von i&u TV verkörpern wird.

"Mit Geschäftsführer Andreas Zaik habe ich ein außergewöhnlich gutes Verhältnis. Wir sind uns einig, dass wir auch bei i&u TV einen Wachstumskurs verfolgen wollen", sagte Kogel im Herbst 2019 in seinem ersten großen Interview zu Leonine bei DWDL.de. Im gleichen Gespräch betonte Kogel allerdings auch, wie freundschaftlich er Kai Blasberg verbunden sei und wie wertvoll Tele 5 ist. Verkauft wurde der Sender trotzdem - oder in Corona-Zeiten gerade deshalb.