"Lucie. Läuft doch" könnte zu keinem besseren Zeitpunkt starten als jetzt, so viel ist sicher. Zur besten Sendezeit lädt Vox seine Zuschauerinnen und Zuschauer ein, die Sorgen der Welt hinter sich zu lasen und in vier Doppelfolgen einzutauchen in die Welt von Lucie (Cristina do Rego), einer jungen Berlinerin, die sich durch ihren ausgeprägten Gerechtigkeitssinn wiederholt in Schwierigkeiten gebracht hat und zu Sozialstunden verdonnert wird. Die soll sie im idyllischen Waldschloss Kleeberg ableisten, einer Einrichtung für Kinder und Jugendliche in Not. Mit ihrer gewinnenden Art und ungezügeltem Temperament wirbelt sie auch dort Einiges durcheinander, beweist gleichzeitig aber ein Händchen als Betreuerin, was Heimleiter Gleis (gespielt von Robert Schupp) dazu verleitet, ihr auch ohne Ausbildung einen Job anzubieten. Herzlich Willkommen bei "Lucie. Läuft doch", einer Feel-Good-Serie, die ernste Probleme von Jugendlichen mit viel Tempo und Zuckerguss zu einfach lösbaren Problemchen verklärt, dabei aber furchtbar charmant wirkt - und das im wahrsten Wortsinn.

Vieles an "Lucie. Läuft doch" (produziert von Eikon Media) kennt man, im Zweifelsfall sogar aus der eigenen Serienhistorie von Vox. Es beginnt mit der Prämisse "Großstadtkind zieht es aufs Land", einer "Fish out of the water"-Situation die keine Auszeichnung für Originalität mehr gewinnt - verzweifelter Suche nach Handyempfang und Umgewöhnung an Lebensumstände und Verkehrsanbindung. Dazu eine patente weibliche Hauptfigur, die mit ihrer frechen Art aneckt aber im Herzen doch eigentlich Gutes will. Das ist nicht verwerflich, macht die Serie aber im Setting sehr gewöhnlich. Ein Umstand an dem auch Hauptdarstellerin Cristina do Rego nicht viel ändern kann, die nach jahrelanger Präsenz bei "Pastewka" beispielsweise in "Arthurs Gesetz" bei TNT Comedy mal eine andere Seite von sich zeigen konnte. Die Figur der Lucie jedoch ist Cristina do Rego auf den Leib geschrieben. Gutes Casting, kann man sagen. Aber es limitiert auch das Spiel von do Rego, lässt keine neuen Facetten erkennen. So wie in "Lucie" kennt man sie bereits - als resoluten aber charmanten Wirbelwind, der oft unterschätzt wird und es dann allen zeigt.

Denn Lucie ist einfach so perfekt! Allein in Folge 1 setzt sie sich selbstlos für ihre belästigte Kollegin ein, kümmert sich fürsorglich um ihren dementen Opa, rettet nebenbei einen Jungen vor dem Selbstmord und kann dann auch noch die komplizierte Kaffeemaschine ohne Einweisung bedienen. Potzblitz, Lucie, du kannst aber auch alles! Zur Dramedy gehört es wohl, wenn jede vorlaute Aktion der patenten Lucie von anderen Charakteren der Serie mit einem etwas zu dick aufgetragenem "Tja, so ist sie, unsere Lucy"-Move bestehend aus kurzem Kopfschütteln und wohlwollendem Mundwinkel-Grinsen quittiert wird, sobald sie sich umdreht. Lucie, du weißt einfach wie's geht. Im Handumdrehen hat sie auf dem Land eine Romanze angefangen und den Chef der Anstalt überzeugt, ihr einen Job zu geben. Aus einer mehrfach vorbestraften jungen Frau, die Sozialstunden ableisten soll, um einen Knastaufenthalt zu verhindern, wird "Unsere Lehrerin Dr. Lucie". Man könnte die viel zu flotten Sprünge der Logik, die mehrfach im Nichts landen, ja noch verzeihen, wäre es ein seichter Sat.1-Dienstagsfilm von vor zehn Jahren, in dem die Zeit drängt.

Lucie © Vox/TVNow Lucies (Cristina do Rego) neue Kollegen: Psychologe Bartels (Kai Albrecht) und Heimleiter Gleim (Robert Schupp)

"Lucie. Läuft doch" hat aber mehr Zeit, könnte glaubwürdiger sein und will sich eigentlich ernsten Themen widmen: Vor dem Hintergrund der in Folge 1 etablierten Rahmenhandlung steht in den weiteren Folgen jeweils ein Jugendlicher im Mittelpunkt, dessen Problem von Lucie oft erstmal ungewollt verschlimmbessert wird, bevor die patente Lucie den Case of the Week am Ende doch zum Guten dreht. Eine ganze Reihe ernster Probleme werden so verniedlicht. Am Ende soll es schließlich Wohlfühlfernsehen sein. Realismus und eine Tiefe der Charaktere, die Mitgefühl entwickeln lässt, fehlen. Das war einst die Stärke des Vox-Hits "Club der roten Bänder". Dass die Charaktere neben Lucie allesamt überzeichnet sind, angefangen beim Leiter der Einrichtung, der auf dem Land - und ohne wichtige Termine - natürlich mit Hemd und Anzug herumläuft, hilft auch nicht. Und eine zehn Zentimeter lange Schnittwunde am Unterarm des ersten Falls der Woche, die tief ins Fleisch gegangen ist, wird natürlich nicht versorgt. Stattdessen hat der junge Mann später sogar Sex mit seiner Freundin, der die riesige Wunde erst danach auffällt. Dabei war es gar kein Blind Date.

Ohne Logik und Glaubwürdigkeit ist es allein das Tempo von "Lucie. Läuft doch", das berauscht. Maßgeblich getrieben von Cristina do Rego, die ihre Rolle mit einer solchen Energie spielt, dass tatsächlich mitunter ein Hauch von Screwball-Komödie mitschwingt, wie Rainer Tittelbach in seiner (deutlich positiveren) Kritik zur Serie umschreibt. Immerhin: Es gibt auch ruhige Momente, in denen do Rego glänzen darf. Eine starke Frauenfigur, die so schnell redet und handelt wie sie denkt, hatte Vox übrigens schon mit "Rampensau" im Programm - eine Serie, die mehr Zuschauerinnen und Zuschauer und eine zweite Staffel verdient gehabt hätte. Auch da dominierte schon ein hohes Tempo, doch Jasna Fritzi Bauers Figur der Shiri war ungewöhnlicher und im positiven Sinne eine Zumutung. Dagegen ist "Lucie. Läuft doch" gewöhnlicher, wirkt mit so viel Zuckerguss und Unzulänglichkeiten wie aus der Zeit gefallen. Aber vielleicht ist der hier angebotene, flotte Eskapismus in eine überzeichnete Welt mit großem Wohlfühlfaktor und reichlich Gerechtigkeitssinn in einem Jahr wie 2020 auch einfach der benötigte Balsam für die Seele.