"Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" ist wahrlich eine große Nummer. Das gleichnamige Buch aus 1978 gilt als das erfolgreichste Sachbuch der deutschen Nachkriegszeit, die Verfilmung zog Anfang der 80er fast fünf Millionen Menschen in die Kinos. Buch und Film stießen damals aber auch gesellschaftliche Debatten rund um den Umgang mit Drogen an. Doch bei Constantin Television und Amazon hält man das Thema offenbar noch nicht für auserzählt. Bereits 2017 wurde bekannt, dass Oliver Berben an einer Serien-Adaption des Stoffes arbeitet - nun werden die acht Folgen von "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" bei Amazon Prime Video veröffentlicht. 

Oliver Berben © IMAGO / Gartner Oliver Berben
Das Team hinter der Serie ist durchaus prominent. Berben hat für das Projekt unter anderem die Autorin Annette Hess ("Weissensee", "Ku’damm") engagiert, als Regisseur agiert Philipp Kadelbach ("Unsere Mütter, Unsere Väter", "SS-GB"). Die meisten Macher im Hintergrund kannten Buch und Film natürlich schon lange vor der Serie. "Der Einschlag der Geschichte war bei mir immens", sagt Oliver Berben. Der im beschaulichen Bayern aufgewachsene Produzent kannte die im Buch beschriebene Welt der Drogenexzesse nicht. Für ihn gehe es bei der Geschichte nicht nur um Drogen und den Downfall, den die Jugendlichen erleben. "Es geht darum, wie junge Menschen ihren Platz in der Welt finden". 

Als Hess vor einigen Jahren vorgeschlagen hatte, die Geschichte rund um Christiane F. noch einmal als Serie zu verfilmen, habe sich für ihn ein Kreis geschlossen, so Berben. Doch die Serie wird sich merklich unterscheiden von Film und Buch, das liegt schon an der Länge. Mit acht Folgen hat man deutlich mehr Zeit als in dem Film von Uli Edel, der nur etwas mehr als zwei Stunden lang war. Und so wird die Amazon-Serie nicht nur aus Sicht der Jugendlichen erzählen, sondern auch die Erwachsenen und das gesamte Umfeld mit einschließen. "Das ist eine neue Dimension", sagt Sophie von Uslar, neben Berben ebenfalls Produzentin der Serie. 

Wir machen kein Erziehungsfernsehen. Wir schaffen ein Kunstwerk.
Oliver Berben

Natürlich ist vieles Fiktion - darauf weisen die Macher am Anfang der Serie übrigens auch noch einmal hin. Und dennoch beruht eben einiges auch auf den wahren Erlebnissen von Christiane F. Dafür hat man auch mit den beiden Journalisten Kai Hermann und Horst Rieck gesprochen, die in den 70er Jahren die Geschichte rund um Christiane F. erstmals im "Stern" veröffentlichten. Rieck und Hermann stellten den Filmemachern auch ihre Kassettenaufnahmen aus der damaligen Zeit zur Verfügung. Die waren schon Basis für den Film - vieles konnte da aber nicht genutzt werden. Und so zieht die Amazon-Serie auch viel Energie aus den mehr als 40 Jahre alten Aufnahmen, die sich Berben und seine Kollegen anhörten. 

Autoren mussten Briefe schreiben

Annette Hess © ZDF/Sascha Baumann Annette Hess
Für das Autorenteam um Annette Hess waren die Bücher zur Serie eine besondere Herausforderung. Ihr sei schnell klar gewesen, dass sie diese in einem Writers Room habe schreiben wollen, so Hess. Sie habe verschiedene, auch jüngere Perspektiven auf den Stoff haben wollen. Bei der tatsächlichen Umsetzung des Writers Rooms griff man allerdings auf eine ungewöhnliche Methode zurück, so veranstaltete man ein Autoren Casting. Hess bat Autorinnen und Autoren, einen persönlichen Brief zu schreiben. Darin sollten sie erklären, was sie mit Christiane F. und den "Kindern vom Bahnhof Zoo" verbinden. Die daraus entstandenen Briefe sind so gut, dass Oliver Berben schon überlegt, sie separat zu veröffentlichen. "Als ich die Briefe gelesen habe, war völlig klar, was wir vor uns haben uns was das sein kann", so der Produzent. 

Gedreht wurde dann auch in Berlin, allen voran aber in Prag. In der tschechischen Hauptstadt sind große Kulissen aufgebaut worden, um den Bahnhof Zoo möglich detailgetreu und nah am Original abzubilden. Mit den jungen und meist noch recht unerfahrenen Schauspielern habe man vorher viele Gespräche geführt, sagt Regisseur Philipp Kadelbach. Mit insgesamt fast 300 Sprechrollen ist "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" eine Mammut-Produktion und ohne Zweifel das bis dato größte Amazon Original, das aus Deutschland kommt. Und auch wenn die Serie bei Amazon nur im deutschsprachigen Raum verfügbar sein wird, soll sie laut Oliver Berben weltweit zu sehen sein. Über Abnehmer gibt es bis dato noch keine Informationen. Aber die Marke ist so bekannt, dass man davon ausgehen kann, dass Fremantle beim Weltvertrieb genügend Interessenten finden. 

"Das halte ich für einen kompletten Unsinn"

Berben jedenfalls zeigt sich selbstbewusst und sagt: "Die Serie wird auf der ganzen Welt laufen". An einem Buyout habe man bei einem so großen Serienprojekt kein Interesse. "Bei einem Buyout wird man dafür belohnt, günstig zu produzieren. Das halte ich für einen kompletten Unsinn." Man dürfe nicht so günstig wie möglich produzieren, sondern müsse die bestmögliche Serie abliefern. Und dabei helfen eben mehrere Partner, die die finanzielle Last stemmen. Neben Constantin und Amazon Studios sind bei "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" auch Wilma Film (Tschechien) und Cattleya (Italien) mit an Bord. 

Philip Pratt © Amazon Philip Pratt
Für Amazon ist die Serie natürlich trotzdem ein Meilenstein. Und deshalb will man rund um die Veröffentlichung ein "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo"-Universum aufbauen, in das die Zuschauer eintauchen können. So gibt es neben der Serie auch den Soundtrack bei Prime Video, hinzu kommen noch Originalaufnahmen von Christiane F. bei Audible oder auch ein Dokumentarfilm zum Thema. "Das ist für uns nicht einfach nur eine Serie", sagt Philip Pratt, Head of German Originals bei Amazon Studios.

Verherrlichung von Drogen? 

Bleibt die Frage, wie sehr die Serie Drogen verherrlicht. Ein Vorwurf, der immer wieder aufkommt, wenn Filmemacher entsprechende Themen aufgreifen. "Das ist eine Frage der Erzählung", sagt Oliver Berben. "Wenn Sie sich alle acht Folgen anschauen, werden Sie sehen, dass es eine Bewegung ist." Nach Neugier, Euphorie und Glück folge Absturz und Tod. Einzelne Szenen könne man nicht getrennt voneinander betrachten. Man habe eine Serie machen wollen, bei der Jugendliche sagen, es ist "ihre", so Berben. "Wir machen kein Erziehungsfernsehen. Wir schaffen ein Kunstwerk." Und auch Philip Pratt sagt, man könne heutzutage nicht mehr fragen, ob man das Thema Drogen in einer Serie aufgreifen könne. "Natürlich kann man das."

"Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" ist ab dem 19. Februar bei Prime Video zu sehen.