Das Oberlandesgericht Hamburg hat im Rechtsstreit zwischen dem "Spiegel" und dem ehemaligen Chefredakteur des Boulevardblattes "Bild", Julian Reichelt, pro "Spiegel" entschieden. Konkret geht um die "Spiegel"-Berichterstattung um Reichelt, die im März vergangenen Jahres begann und mögliche Verfehlungen des Journalisten gegenüber Frauen thematisierte. Reichelt wurde damals für einige Woche freigestellt, dann aber wieder zurückgeholt. Jener Artikel ("Vögeln, fördern, feuern"), der vom Verlag im November 2021 aus dem Internet genommen werden musste, ist vom "Spiegel" am Montag wieder verfügbar gemacht worden – die Entscheidung der Redaktion fußt auf dem Urteil des OLG Hamburg. Dabei hat das Gericht aktuell gar nicht darüber entschieden, ob diese Berichterstattung für sich genommen in dieser Form rechtmäßig ist oder nicht.



Vielmehr ging es nur darum, ob eine von Reichelt erwirkte Verbotsverfügung auch für einen Text gilt, den der "Spiegel" längst verändert – nämlich um einige Statements des ehemaligen "Bild"-Chefredakteurs angepasst – hatte. Im November war das Landgericht in Hamburg zur Auffassung gekommen, dass auch der aktualisierte Text nicht mehr verfügbar sein dürfe – und hatte dem "Spiegel" zudem ein Ordnungsgeld aufgebrummt. Exakt diese Frage haben die Richtenden des OLG nun anders bewertet.

Die fragliche Online-Berichterstattung sei nicht mehr – auch nicht im Kern – dieselbe Berichterstattung, die den Anlass für die Verbotsverfügung gegeben habe, urteilte nun das OLG. Schließlich habe das Landgericht in seiner Verbotsverfügung von vor rund zwei Monaten maßgeblich darauf abgestellt, dass der Standpunkt des Betroffenen nicht ausreichend berücksichtigt worden sei. In diesem wesentlichen Punkt weiche die inzwischen ergänzte Online-Berichterstattung maßgeblich ab, wertete das OLG. Somit sei die Kerngleichheit des Verstoßes zu verneinen, heißt es im Juristendeutsch. Anders gesagt: Der "Spiegel" hat die Berichterstattung um die Sicht des ehemaligen "Bild"-Chefredakteurs ergänzt und damit so erweitert, dass die Verfügung von Reichelt nicht mehr gelte.

Deshalb hat das OLG den Ordnungsgeldbeschluss aufgehoben. Dr. Marc-Oliver Srocke, der den "Spiegel" vertrat, erklärte gegenüber DWDL.de: "Das OLG Hamburg hat entschieden, dass die modifizierte Fassung des Artikels 'Vögeln, fördern, feuern' nicht gegen die zuvor erlassene einstweilige Verfügung des Landgerichts verstößt. Im Sinne der Pressefreiheit wurde dabei betont, dass entsprechende gerichtliche Verbote besonders eng auszulegen sind."



Dem Verständnis von Julian Reichelt, dass ein generelles Pauschalverbot erlassen worden sei, sei damit "eine klare Absage erteilt" worden, erklärte Srocke. Deshalb habe der "Spiegel" den Artikel am Montag wieder ins Internet gestellt. Reichelt selbst sprach am Sonntag in der ServusTV-Talksendung "Links. Rechts. Mitte - Das Duell der Meinungsmacher" über seinen Fall - und auch über die "Spiegel"-Berichterstattung. Die Überschrift "Vögeln, fördern, feuern" sei mittlerweile "rechtlich verboten, weil sie in keinster Weise der Wahrheit entspricht". Einen Tag später ist der Artikel nach dem OLG-Urteil wieder online, auch wenn über die tatsächliche Rechtmäßigkeit der Berichterstattung nicht entschieden wurde.