Wer im deutschen TV-Markt mit halbwegs bekannten Kinderprogrammen handelt, dürfte in letzter Zeit neben den üblichen Sendern und Streaming-Plattformen von neuen Interessenten gehört haben. Die Berliner Gründer Adham El Muntasser, Philipp Hartmann und Steinunn Arnardottir haben ihre Fühler ausgestreckt, um möglichst viele bei Vorschulkindern populäre Sendungen einzukaufen. Sie wollen damit ihr Produkt füttern, das Anfang 2023 auf den Markt kommen soll: ein Tablet namens Lottie mit Video-, Audio- und Gaming-Inhalten für die Zielgruppe der Zwei- bis Sechsjährigen.

Verhandlungen mit Rechteinhabern haben bereits im vorigen Herbst begonnen, dem Vernehmen nach unter anderem mit ZDF Enterprises, WDR Mediagroup, RBB Media, Studio Hamburg, NBC Universal, Sony Music, Leonine, Studio 100 oder Kiddinx. Zu den Titeln, die Lottie zum Abruf anbieten will, zählen "Sandmännchen", "Sesamstraße", "Biene Maja", "Wickie", "Shaun das Schaf" oder "Janoschs Traumstunde". Geht es nach den Lottie-Chefs, sollen Eltern das frisch entwickelte, werbefreie Tablet künftig herkömmlichen Bildschirmmedien vorziehen.

"Nicht nur von unseren frühen Testnutzer-Familien, auch gerade von sämtlichen nationalen und internationalen Content-Partnern erhalten wir starke positive Signale und ein großes Einverständnis bezüglich der Notwendigkeit, eine solche integrierte, kinderzentrierte Lösung am Markt anzubieten", sagt El Muntasser im Gespräch mit dem Medienmagazin DWDL.de. "Wir haben die Entwicklung von Lottie gestartet, um ein Problem zu adressieren, das jede Familie mit kleinen Kindern kennt: Der Zugang zu digitalen Medien ist noch immer unnötig kompliziert und unsicher."

Adham El Muntasser © Lottie Lottie-Chef Adham El Muntasser
Ende vergangenen Jahres hat Lottie einen ersten Prototyp gebaut, im laufenden Jahr soll die Plattform entwickelt und getestet sowie zweijährige Content-Lizenzverträge für die Zeit ab 2023 geschlossen werden. Während die TV-Inhalte komplett zugekauft werden, entstehen interaktive Apps mit edukativen Spielen sowie ein Teil des Audioangebots mit Hörgeschichten, Sing-alongs und Schlafliedern inhouse. "Wir wollen Vorschulkindern ermöglichen, die digitale Welt kindgerecht, selbstständig und spielerisch zu betreten, und zwar in einem sicheren, geschützten Raum, dem die Eltern rundherum vertrauen können, ohne erst hundert Apps und Services zu screenen, kuratieren und Freigaben einstellen zu müssen", so El Muntasser.

Die Medienpsychologen der Uni Würzburg haben im Auftrag von Lottie erforscht, dass etwa 30 Prozent der Kinder im Vorschulalter eigene Endgeräte haben und dass die Bereitschaft der Eltern, in digitale Kindermedien zu investieren, stetig wächst. Vom Gros der Digital-Start-ups unterscheidet Lottie der Umstand, dass es sich nicht nur auf Software-Entwicklung oder eine Streaming-Plattform beschränkt, sondern auch die zumeist kapitalintensivere Hardware-Entwicklung angeht. Ansonsten könne man sich nicht ausreichend abheben, glaubt El Muntasser: "Wir halten es für wichtig, eine Hardware zu entwickeln, die Kinder als ihre eigene empfinden – anders als beim ausgeliehenen iPad der Eltern. Nur eine App anzubieten, würde nicht ausreichen, weil man eine App ja schließen kann und dann die gewünschte Sicherheit und Kontrolle nicht gewährleistet wären." Das Geschäftsmodell sieht vor, Content-Abo und Hardware-Lease im Paket für rund 15 bis 20 Euro im Monat anzubieten. Im ersten Jahr rechnet das Unternehmen mit etwa 50.000 verkauften Abonnements.

Mit ihrem Engagement in der Medienbranche betreten die Lottie-Gründer Neuland: El Muntasser war Investmentbanker, Immobilienentwickler und Head of M&A bei Zalando; Hartmann hat Stationen als Produktchef des Fintechs Raisin, Principal des VC-Gebers Index Ventures und COO des Software-Entwicklers Pitch hinter sich; Arnardottir war Technikchefin des Musiktechnologieunternehmens Native Instruments. Auf Fernsehkompetenz müssen sie dennoch nicht verzichten: Unter den Investoren befindet sich Ex-Sat.1-Chef Kaspar Pflüger, der inzwischen das Produktionsgeschäft von ProSiebenSat.1 steuert; als Berater ist Carsten Göttel, langjähriger Programmdirektor von Super RTL, an Bord. Eine Seed-Finanzierungsrunde in Höhe von 4,5 Millionen Euro wurde Ende 2021 mit dem Berliner Venture-Capital-Fonds BlueYard als Lead Investor abgeschlossen. Zudem haben einige Business Angels aus dem Gründer- und Managerkreis von Zalando, Zoom, SoundCloud oder Simfy investiert.