Vor allem, wenn man in die USA blickt, dann wird klar: Der Aufstieg der Streaming-Dienste wie Netflix, Prime Video & Co. und der damit verbundene Wandel der Nutzungsgewohnheiten hat in den letzten Jahren zu massiven Veränderungen der Medienlandschaft geführt mit Zusammenschlüssen und Übernahmen, die man noch vor wenigen Jahren kaum für möglich gehalten hätte. Selbst große Konzerne sehen sich plötzlich nicht mehr im Stande, allein in dieser neuen Streaming-Welt zu bestehen, der nächste Zusammenschluss steht mit Warner Bros. Discovery gerade vor der Tür.

Auch in Europa stehen die Zeichen längst auf Konsolidierung, angetrieben nicht zuletzt durch die RTL Group, wo man daran glaubt, dass in den einzelnen Ländern meist nur ein starker nationaler TV-Konzern überleben wird. Außerhalb Deutschlands wird daher kräftig fusioniert, verkauft, zugekauft. In Deutschland hat sich in der Hinsicht bislang wenig getan - doch Bertelsmann-Boss Thomas Rabe ließ in den letzten Monaten und Jahren nicht nur einmal wissen, dass ihm auch hier mittelfristig ein Zusammengehen mit ProSiebenSat.1 vorschwebt. Und daneben träumt man offenbar auch bei Berlusconis Mediaset, inzwischen größter Einzelaktionär von ProSiebenSat.1, von einer Allianz der beiden Konzerne, um sich gegen die Streaming-Riesen zu wappnen.

Doch bei ProSiebenSat.1 wehrt man all diese Avancen bislang entschieden ab. Das machte Vorstandschef Rainer Beaujean auch bei der Vorlage der Jahresbilanz fürs vergangene Jahr wieder deutlich - und die war ja auch ein ziemlich gutes Argument, schließlich lief das Geschäft blendend: Der Umsatz stieg auf Rekordhöhen, getrieben von Werbeerlösen, die inzwischen wieder das Vor-Corona-Niveau aus dem Jahr 2019 übertroffen haben. Die Frage ist nur: Wird ProSiebenSat.1 das bei weiter fortschreitendem Wandel hin zum Streaming auch so fortsetzen können - oder beharrt man mit Blick auf die Vergangenheit und Gegenwart am Ende zu lange auf dem Bisherigen, statt die mutige, aber ungewisse Flucht nach vorne anzutreten wie manch anderer Medienkonzern.

Die Rolle der "Braut, die sich nicht traut" will Beaujean sich in diesem Stück nicht zuschreiben lassen - schon eher die der "Braut, die das nicht braucht". "Wir brauchen, um in diesem Markt zu gewinnen, keine Hilfe. Wir sind sehr gut aufgestellt", sagte Beaujean auf der Pressekonferenz, angesprochen auf die Fusionsträume in Köln. Er könne die Situation von Herrn Rabe nicht beurteilen, ProSiebenSat.1 habe aber ein "sehr werthaltiges Geschäftsmodell". Wie hier die Säulen neben dem Entertainment - also das Dating und sonstige Beteiligungsgeschäft - sich gegenseitig stützen und befeuern, hatte er zuvor ausgiebig dargelegt, unausgesprochen vielleicht auch mit schönen Grüßen nach Italien, wo man von den Aktivitäten abseits des Entertainments weniger hält.

Beaujean verwies darauf, dass ein Zusammengehen mit RTL schon medienkonzentrationsrechtlich nicht möglich sei, da die beiden Konzerne den Großteil des TV-Werbemarkts beherrschen, es sei mit Blick auf die Meinungs- und Informationsvielfalt auch gesellschaftlich gar nicht wünschenswert. Und Beaujean glaubt auch, dass die beiden Konzerne kulturell gar nicht zusammenpassen: "Wenn Sie sehen, wie wir Fernsehen leben und machen, dann ist das vollkommen anders als das, was RTL macht." Beaujean hält insbesondere auch die Strategie, Programminvestitionen in erster Linie mit Blick auf die kostenpflichtigen Streaming-Dienste zu tätigen, wie man sie bei RTL, aber auch zahlreichen anderen Medienkonzernen verfolgt, für falsch.

Im Mittelpunkt der Digitalstrategie steht bei ProSiebenSat.1 Joyn, das zwar einen kleinen, kostenpflichtigen Bereich betreibt, dessen Schwerpunkt aber ganz eindeutig bei den kostenfrei zugänglichen, werbefinanzierten Inhalten liegt. Das spart Geld: Beaujean verwies auf andere Konzerne, die mal eben hunderte Millionen Zusatz-Investitionen für Streamingdienste ankündigen. "Wir haben für uns entschieden, dass wir diese Riesen-Investitionen nicht brauchen", so der ProSiebenSat.1-Chef. Acht bis neun der meistgesehenen Inhalte auf Joyn kämen ohnehin von den ProSiebenSat.1-Sendern, am gefragtesten sei derzeit "Germany's Next Topmodel".

Dazu profitiere man von der großen Expertise von Studio 71, das nicht nur sehr erfolgreich Inhalte auf YouTube produziert, sondern in richtiger Verpackung auch für Joyn. Tatsächlich mag man diese Inhalte häufig belächeln, sie sind für Joyn aber ein großer Erfolg. Er könne verstehen, dass Ältere beim Blick auf Joyn feststellen, dass das, was sie dort bekommen, nicht vergleichbar mit dem Angebot von Netflix sei - für die ganz junge Zielgruppe sei das Angebot aber sehr relevant, weil z.B. die Formate mit Slavik dort sehr gut funktionieren würden.

Dass ihm vor der Konkurrenz durch die US-Streamer nicht bange sei, erklärt Beaujean dann auch damit, dass man mit deren Abo-Modellen gar nicht in Wettbewerb tritt. In Deutschland seien die Menschen derzeit nicht bereit, für mehr als im Schnitt zweieinhalb Abos Geld auzugeben - und dafür dann auch nicht mehr als 17 Euro. Statt sich um diese Kundinnen und Kunden zu streiten und viel Geld in exklusive Streaming-Inhalte zu investieren, möchte man bei ProSiebenSat.1 also lieber die Werbegelder mit seinen ohnehin fürs TV produzierten Inhalten auch online abgreifen.

Das macht ProSiebenSat.1 aber natürlich auch weiterhin abhängig vom Werbemarkt, dessen Entwicklung weiter schwer vorauszusagen ist, neuerdings auch mit Blick auf den Ukraine-Krieg, die Sanktionen und die noch unklaren Auswirkungen auf die Konjunktur hierzulande. Immerhin: Bislang spüre man in Gesprächen mit Werbekunden keine Zurückhaltung oder weitere Auswirkungen. Und falls diese sich doch noch einstellen würden, dann zeige ein Blick in die Vergangenheit, dass solche Einbrüche immer recht schnell in darauffolgenden Quartalen wieder aufgeholt worden seien. Man habe allen Grund, selbstbewusst und optimistisch in die Zukunft zu blicken, so Beaujean. Sicher ist jedenfalls: So unterschiedlich ware die Strategien bei den einzelnen Medienkonzernen - auch hierzulande zwischen ProSiebenSat.1 und RTL Deutschland - selten. Um so spannender ist, wer am Ende mit seiner Einschätzung recht behalten wird.

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