Ein Schelm wer sich dabei etwas denkt: Einen Tag bevor die Finanz- und Medienwelt mit Spannung auf die neuen Geschäftszahlen vom zuletzt etwas gebeutelten Rivalen Netflix schaut, verpasst sich Amazons Streamingdienst Prime Video eine neue Benutzeroberfläche, was bei einem zu navigierenden Angebot durchaus mehr ist als nur eine kosmetische Design-Veränderung und adressiert den wunden Punkt des Streamingdienstes, der bislang in vielen Vergleichen zu Punktabzügen führte: Die Benutzerfreundlichkeit.
Seit dem Start von Prime Video gab es keine maßgebliche Überarbeitung dieser Benutzeroberfläche, die bis zuletzt mit einer unübersichtlichen Kleinteiligkeit die Herkunft aus einem Online-Shop offenbarte und noch aus Zeiten stammt, in denen Streaming über Notebooks und Tablets dominierte. Längst haben die Streamingdienste aber das Wohnzimmer erobert, damit auch deutlich größere Bildschirme und dem soll der Relaunch von Prime Video Rechnung tragen.
Eingeführt wird die neue Benutzeroberfläche ab heute, zunächst auf der Amazon-eigenen Hardware für Fernseher sowie der Android-App. In den kommenden Wochen sollen dann alle anderen Plattformen inklusive iOS und Web-Applikation folgen, so das Unternehmen. "Amazon gestaltet das Prime Video-Erlebnis neu, um die breite Auswahl an Inhalten hervorzuheben und es für Kund:innen einfacher zu machen, die Inhalte zu finden, die sie lieben", heißt es in einer Mitteilung.
Was ändert sich konkret? DWDL.de durfte vor einigen Tagen bereits einen Blick auf die Benutzeroberfläche werfen, die auf den ersten Blick nicht wirkt wie eine Revolution. Sie orientiert sich in vielen Punkten an dem, was man auch von Rivalen Netflix kennt: Eine viel größere Bühne für Fotos und Videos des jeweils hervorgehobenen Programms hebt sich ab vom einerlei der kleinteiligen Kacheln des bisherigen Prime Video-Designs. Dazu ein Top10-Karussell und eine verbesserte Suche, was auch keine Revolution darstellt.
Prime Video strukturiert sein Angebot stärker
An anderer Stelle wird es schon spannender: Das Menü findet sich jetzt am linken Rand und offenbart die vielleicht wichtigste Änderung. Mit den Rubriken "Für mich kostenlos", "Shop", "Channels", "Live TV", "Kategorien" und "Mein Bereich" strukturiert Prime Video sein Angebot künftig deutlich rigoroser als bisher. Häufig geäußerte Kritik war in der Vergangenheit, dass nicht gut genug erkennbar war, welche Inhalte bereits im Prime-Abo enthalten sind und welche zusätzlich zu erwerben sind.
Das lässt sich einerseits über das Menü nun trennen und ist sonst z.b. in der Suche durch visuelle Hinweise zu unterscheiden: Ein blaues Häkchen markiert Inhalte, die inklusive sind. Eine Shopping-Bag signalisiert zu erwerbende Inhalte. Diese Herausforderung in der Darstellung unterschiedlicher Content-Arten unterscheidet Prime Video von All-Inclusive-Wettbewerbern, ebenso wie die Anbindung zubuchbarer Channels und das Live-Sport-Angebot wie die Champions League, welche künftig einfacher zu erreichen sind.
Damit ist dieses Redesign der Benutzeroberfläche mehr als nur eine dringend nötige Anpassung an einen optischen Standard unter Streamingdiensten, dem man bisher hinterher lief. Es soll Prime Video grundsätzlich besser aufstellen als Aggregator. Einerseits für lineare TV-Angebote, ob nun von extern - wie schon heute die öffentlich-rechtlichen Sender - oder mit weiteren eigenen Sport-Rechten. Prominenter ist auch die Integration der sogenannten Amazon Channels, also zubuchbarerer Abo-Pakete anderer Anbieter wie in Deutschland z.B. Starzplay.
Das macht den Zeitpunkt des optisch dringend benötigten Redesigns kurz vor den Netflix-Geschäftszahlen umso mehr zu einer Kampfansage. Die beiden Dienste stehen zwar inhaltlich immer wieder im direkten Wettbewerb, unterscheiden sich aber in der Refinanzierung und immer deutlicher auch in der Positionierung. Amazon setzt neben eigenen Inhalten deutlich sichtbarer als bisher auf das Aggregieren von Inhalten aus Partnerschaften mit Dritten.