Er werde „ganz sicher nicht länger als ein Jahr“ die Geschäfte von RTL Deutschland führen, sagte Bertelsmann- und RTL Group-CEO Thomas Rabe im Interview mit der „FAZ“, als er im August nach der Trennung von Stephan Schäfer vorübergehend den Vorsitz der Geschäftsführung von RTL Deutschland übernahm. Die Suche nach einer geeigneten Führungsfigur war damit eröffnet. 

Bernd Reichart © MG RTL D / Marina Rosa Weigl Bernd Reichart
Die zwischenzeitliche artikulierte Hoffnung innerhalb der Belegschaft von RTL, der ehemalige RTL-Chef Bernd Reichart möge zurückkehren, sollte sich mehr als Wunsch denn Wirklichkeit entpuppen. Geschmeichelt haben soll ihm der Zuspruch der ehemaligen Kolleginnen und Kollegen durchaus. Reichart und Rabe haben den freundschaftlichen Kontakt auch nie abbrechen lassen, waren sogar zuletzt im intensiven Dialog.

RTL-Mitarbeiterinnen und die Belegschaft einer in Köln ansäßigen Produktionsfirma sahen Reichart beim Dinner mit Rabe in einem Restaurant im Kölner Rheinauhafen - und das ausgerechnet am Vorabend des Rauswurfs von Stephan Schäfer Mitte August. Das war es, was kurzzeitig die Spekulationen weckte. Spätestens mit der Entscheidung Reicharts für die Super League wissen wir, was er macht. Ob es die leichtere oder schwerere Aufgabe ist, wird sich noch zeigen.

Welche Qualitäten braucht der neue Kopf?

RTL-Flaggen © IMAGO / Future Image
Zurück zu RTL Deutschland: Zu wünschen wäre dem Unternehmen und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern angesichts des intensiven Wettbewerbs und eines sich rasant verändernden Marktes eine Führungspersönlichkeit mit Kenntnis der Branche und keine allzu fachfremde Finanzexpertise. Und für ein Haus, das sich selbst zwar zunächst einmal als größtes Unterhaltungsunternehmen präsentiert, aber nach der Einverleibung von Gruner+Jahr auch mehr Journalistinnen und Journalisten denn je beschäftigt, wäre die Kenntnis der deutschen Sprache wichtig. 

Wenn aus einem nationalen Fernseh-Wettbewerb ein zunehmend internationaler Streaming War wird, kann eine Kenntnis des internationalen Geschäfts und die Fähigkeit, dort zu navigieren und agieren, sicher nicht schaden. Das kann auch beim dringend nötigen Weckruf helfen, alte Denkmuster einer vornehmlich linearen Fernsehwelt aufzubrechen. Wenn Werbebuchungen im elementaren Kerngeschäft einbrechen, werden AVoD und SVoD als Perspektiven umso bedeutender.

Matthias Dang © Mediengruppe RTL Matthias Dang
Bis zur Trennung von Stephan Schäfer war der TV-Experte und leidenschaftliche Werbeverkäufer Matthias Dang an dessen Seite Co-CEO von RTL Deutschland. Nach der Notbremse durch Bertelsmann-CEO Thomas Rabe hat der 55-jährige gebürtige Mainzer jetzt jedoch Rabe nicht an seiner Seite, sondern viel mehr vor der Nase - als neuen Vorsitzenden der Geschäftsführung. Weil alle Aufmerksamkeit auf der Trennung von Schäfer lag, fiel weniger auf: Dang trägt unverändert den Titel Co-CEO, steht derzeit aber in der zweiten Reihe. Kann es für ihn ein Comeback geben? 

Geschätzt wird Dang intern wie extern als TV-Kenner, der übrigens zuletzt noch näher ans Programm rückte und auf kurzem Dienstweg die Basketball-EM der Herren zu RTL holte. Aber würde seine Benennung einen erhofften Impuls auslösen? Dang allein eher nicht, aber der Kenner des Hauses könnte erneut Teil einer Doppelspitze werden, um neben neuen Impulsen auch Kontinuität zu vermitteln. Ein Name der auch hin und wieder fiel: Andreas Bartl, derzeit Geschäftsführer von RTLzwei.

Andreas Bartl © RTLzwei Andreas Bartl
Die Expertise von Bartl weiß auch Thomas Rabe zu schätzen. Einen beratenden Austausch gab es in den vergangenen Wochen und Monaten offenbar. Doch dass es Bartl, der im Dezember seinen 60. Geburtstag feiert, nach einem Leben in München nochmal nach Köln ziehen würde - das gilt als unwahrscheinlich. Langjährige Konzernerfahrung bei ProSiebenSat.1 hat er natürlich und wird auch branchenweit geschätzt, aber einerseits kämpft RTLzwei mit ungelösten Herausforderungen und andererseits wäre seine Personalie kaum ein Aufbruchsignal.

Ist die Aufgabe in Köln verlockend genug, nochmal seinen Lebensmittelpunkt zu verlagern? Auch die Antwort von Susanne Aigner darauf wäre spannend. Die langjährige Discovery-Managerin hat sich seit der Neuaufstellung von Warner Bros. Discovery in Deutschland vorerst in eine Auszeit verabschiedet. Sie gehört zu den wenigen erfolgreichen Top-Managerinnen der deutschen Medienbranche (neben Katharina Behrends, die jetzt für MFE in München wirkt) und ist deshalb gerade nicht ohne Grund bei fast jeder zu besetzenden Führungsposition im Gespräch.

Ist Bertelsmann-Nähe ein Kriterium?

Susanne Aigner © Discovery Susanne Aigner
Was ihr allerdings fehlt, ist die Erfahrung innerhalb von Bertelsmann. Der frühere RTL-Stallgeruch brachte jetzt auch den Kurzzeit-Prime Video-Chef Kaspar Pflüger ins Gespräch. Ob Bertelsmann-Erfahrung ein relevantes Kriterium bei der Suche einer neuen Führungskraft für RTL Deutschland ist, weiß nur Thomas Rabe selbst. Doch nicht wenige Beobachterinnen und Beobachter sehen eine gewisse Nähe zu Bertelsmann oder Rabe als vorteilhaft an. Dass die Mentalität des Hauses und seine Firmenkultur bekannt sind und gepflegt werden, spiele für Rabe durchaus eine Rolle. Aber woher könnte dann Ms. oder Mr. RTL Deutschland kommen? Dass jemand innerhalb von RTL Deutschland an Matthias Dang vorbei aufsteigt, steigert das Risiko, Dang ganz zu verlieren - und das muss man sich leisten können.

Auf den Straßen von Cannes kam während der MIPCOM vor wenigen Tagen eine Spekulation auf, die sich verselbstständigte - und den Blick nach London richtet: Seit Januar 2015 arbeitet dort Jens Richter als CEO von FremantleMedia International daran, den Programmkatalog der RTL-Produktionstochter international zu vermarkten. Zehn Jahre lang war er für ProSiebenSat.1 tätig und baute dort das Produktions- und Distributionsgeschäft der Red Arrow Entertainment Group auf, bevor er zu Fremantle Media International wechselte.

Jens Richter © Fremantle Jens Richter
Als inzwischen langjähriger Teil der Bertelsmann-Familie mit Führungserfahrung dort wie auch bei ProSiebenSat.1 und einer durch seine aktuelle Tätigkeit sehr ausgeprägte Kenntnis des internationaler gewordenen Fernsehmarktes, bringt Richter einige durchaus hilfreiche Qualifikationen zur Führung eines Unterhaltungskonzerns mit, der stärker denn je über den Tellerrand schauen muss. Ob es ihn jedoch aus London nach Köln ziehen würde? Da war man sich auch beim Spekulieren während der MIPCOM uneins.  

Die Liste der spekulierten Namen ist lang. Da wäre auch Hannes Heyelmann, der gerade aber erst zu Mr. Warner Bros Discovery in Deutschland aufgestiegen ist. Oder Johannes Züll, einst in Köln ntv-Chef und seit vielen Jahren an der Spitze von Studio Hamburg. Marcus Wolter, auch ein Name der schon fiel, ist bei Banijay Germany gerade auf Expansionskurs und noch dazu persönlich als Gesellschafter involviert. Zu oft schon zeigte sich in der Vergangenheit allerdings: Manchmal kommt die Lösung aus völlig ungeahnter Ecke. So wie damals Bernd Reichart aus Spanien heraus zum neuen Vox-Chef wurde. 

Ob es nun am Ende doch ein branchenfremder Kopf wird oder jemand aus der Branche, den niemand auf dem Zettel hatte - oder eine der eben spekulierten Persönlichkeiten sich für einen Umzug nach Köln erwärmen kann: Die Entscheidung dürfte spätestens im ersten Quartal 2023 fallen, damit der dann von Thomas Rabe neu auf die Gleise gesetzte Zug unter neuer Führung an Fahrt aufnehmen kann, bevor man sich üblicherweise im Juni den fürs Kerngeschäft so wichtigen Werbekunden präsentieren möchte.