Arbeitsvergangenheit und Medienzukunft: Wenn es um die Gegenwart der Abertausend Meinungen über Abertausend Krisen auf Abertausend Plattformen geht, ist ein Industriedenkmal die angemessen dialektische Wahl. Seit 2019 finden Leipzigs Medientage Mitteldeutschland in der Baumwollspinnerei statt. Dort also, wo ab 1878 täglich 4000 Menschen werktätig waren, versammelt sich immerhin ein Viertel davon im Radical Chic längst vergangener Zeiten, um über die kommenden Tage ihrer Branche zu sprechen. Komplizierte Tage, da herrscht hier Einigkeit.

Es mag demnach Zufall sein, dass Markus Heinker von der Sächsischen Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien sein Publikum am Internationalen Tag der Pressefreiheit begrüßt. Aber als er nach einem Imagefilm voll Ballertechno die Breaking News verkündet, ARD und ZDF würden das „Mittagsmagazin“ ab 2024 von hier senden, bittet er zum ersten von fast drei Dutzend Panels an zwei Tagen, und schon der Titel „Im Krisenmodus: Mediennutzung und Glaubwürdigkeit“ zeigt, es geht ums Ganze.

Oder wie es Vivian Perkovic, bekannt aus Deutschlandradio und 3sat, zur Begrüßung der ersten Gesprächsrunde ausdrückt: „Wir sprechen über Medien und meinen Demokratie.“ Die eloquent meinungsstarke Moderatorin meint also unser politisches System, als sie mit vier Gästen spricht. MDR-Chefredakteurin Julia Krittian und ihre Kollegin von RTL News, Sonja Schwetje, die Bundestagsvorsitzende des Digitalausschusses Tabea Rößner und ZDF-Nachrichtenchef Thomas Heinrich.

Als einziger Mann auf dem Podium debattiert er im verwitterten Mauerwerk darüber, was zwei Geschlechtsgenossen zuvor empirisch unterfüttern: Das Vertrauen in seriöse Medien, referiert Prof. Quiring aus einer Langzeitstudie der Uni Mainz, nehme zwar ab, bleibe jedoch bei fast vier Fünftel der Menschen hoch bis solide. Und: während der öffentlich-rechtliche Rundfunk oder die Regionalpresse auf Vertrauensvorschüsse von 60 Prozent kämen, lägen sie bei Social Media deutlich unter zehn.

Das kann Florian Kumb nur bestätigen, als der ZDF-Abteilungsleiter Programm von einer Erhebung berichtet, der zufolge sich zwei Drittel aller Befragten durch traditionelle, in gebührenfinanzierter Logik also verlässliche Medien informieren, und zwar meistens linear. Noch. Denn natürlich sinken die Zahlen hier so kontinuierlich wie der Ruf des RBB. Für Oliver Quiering kein Problem. Nach den Skandalen des Vorjahrs „schauen die Leute ein bisschen genauer hin“, was der Kommunikationswissenschaftler, „als Hausaufgabe“ versteht.

Fast 20 Prozent Zuschauerinnen und Leser, neudeutsch: User zurückzugewinnen etwa, die „Medien“ generell vertrauensunwürdig finden, wie Moderatorin Perkovic fragt? Unhandlich, aber passend zum Veranstaltungsort mit echten Mikros versehen, hagelt es da zunächst mal Phrasen. Man müsse „Handlungsoptionen“ und „Lösungsansätze“ bieten, „Lokales stärken“ und „Bubbles verlassen“, rät die Privatfernsehgesandte Sonja Schwetje. Was ihr News-Kollege Thomas Heinrich mit dem Bedarf nach „journalistischen Basics“ oder „Dialog und Feedback“ garniert.

Ein Resonanzraum sachlicher Berichterstattung

Das Vertrauen in die Qualitätsangebote bleibe hoch, meint die Politikerin Rößner, aber die kritische Masse medialer Fundamentalopposition wachse eben schneller – wobei die Moderatorin den weißen Elefanten im Raum aller Populismus-Debatten zur Zeit von Krieg oder Klimakrise, Inflation und Energiemangel soufflieren muss: AfD. Um ihre Geister zu verjagen und das, was viele Nachrichtenmüdigkeit nennen, müsse man MDR-Chefredakteurin Krittian zufolge zweierlei beherzigen: „Transparenz und Fehlerkultur“, gepaart damit, was man nicht Service-Medien à la „Focus“ überlassen sollte: Konstruktives Erzählen.

In Thomas Heinrichs Schulranzen steckt deshalb die Hausaufgabe, „wir müssen Nachrichten verarbeitbar und verständlich für all jene machen, die darunter leiden, ohne sie zu verharmlosen“. Sein Angebot lautet: „Ein Resonanzraum“ sachlicher wie empathischer Berichterstattung, der – hier wird es knifflig – nicht zwingend identisch mit einer gemeinsamen Plattform sein müsse. Angebote wie dem deutsch-kanadischen Projekt „Public Social News“, das perspektivisch Social-Media-Portale mächtiger Tech-Konzerne von Instagram über TikTok und Telegram bis (immer noch irgendwie ja auch) Facebook Konkurrenz machen soll.

Für „angst- und hassfreie Debatten, die auch Spaß machen“ (Heinrich), müsse man in die „Lebenswirklichkeiten der Menschen“ (Krittian) hinein, dabei allerdings „eigene Marken erkennbar lassen“ (Rößner), die zudem „refinanzierbar bleiben“ (Schwetje), denn „guter Journalismus kostet Geld“, bedarf in unserer Epoche von Desinformation und Fake News, KI und ChatGPT aber auch der „Regulierung“, die man „nicht mit Verboten, sondern Regeldurchsetzung“ (Perkovic) verwechseln dürfe.

Um Mediennutzung und Glaubwürdigkeit (zurück zum Titel der Auftaktveranstaltung) auch künftig journalistisch, moralisch, ökonomisch, gesellschaftlich zu vereinbaren, bedürfe der Krisenmodus also – wenn schon keines Aufstandes, dann Schulterschlüsse der Anständigen. Auch darum geht es auf dem Netzwerktreffen einer selbstbewussten, aber verunsicherten und zutiefst fragmentierten Branche im Radical Chic eines heruntergekommenen, aber wunderschönen Industriedenkmals längst vergangener Tage.