Im vergangenen Jahr stand die Diskussion auf dem Mediengipfel der Kölner Breitbandmesse ANGA COM noch unter dem Eindruck des Netflix-Schocks: Die kurze Delle des jahrelang ungebremst scheinenden Abo-Wachstums führte dazu, dass plötzlich selbst jene, die ihre Streamingdienste bislang werbefrei gehalten hatten, plötzlich weltweit den Start von zumindest werbeunterstützten Tarifen ankündigten. Werbung, so schien es, soll das Allheilmittel sein. Ein Jahr später waren die Vorzeichen andere: Angesichts von Inflation und wirtschaftlicher Stagnation ist der Werbemarkt weltweit und insbesondere auch in Deutschland unter Druck.

"Die Stimmung ist nicht gut", räumte Matthias Dang, Co-CEO von RTL Deutschland und dort insbesondere für die Vermarktung zuständig, ein. Bei den Kunden spüre er eine "enorme Anspannung", auch wenn die Nachfrage nach Werbung im digitalen noch gut sei. Und Daniel Rosemann, Senderchef von ProSieben und Sat.1, unterstrich die Ernsthaftigkeit der Lage: "Es ist nicht so, dass das deutsche TV bislang eine Goldkammer war und jetzt ist es ein bisschen schlechter. Es ist wirklich serious." 

Matthias Dang spricht aus Erfahrung: Er habe in seinen 30 Jahren in der Branche drei große Krisen mitgemacht - und immer sei es so gewesen, dass Unternehmen, denen es nicht gut gehe, zuerst an der Werbung sparen. Bislang kamen sie aber immer zurück, daher hoffe man auf das zweite Halbjahr - auch wenn noch niemand sagen könne, ob es dann bereits wirklich wieder aufwärts gehe. Trotzdem bleibt Werbung das Pferd, auf das die Branche - auch notgedrungen - weiter setzen muss. Daniel Rosemann: "Der Markt hat gelernt, dass es eine natürliche Deckelung gibt, die in unterschiedlichen Ländern unterschiedlich hoch ist. Wenn wir unseren Markt betrachten, dann ist es kein Markt, der bereit ist, über 100 Euro im Monat für Inhalte auszugeben. Und dann ist werbefinanziertes Bewegtbild die Lösung und das Modell der Zukunft."

Werbeunterstützte Modelle als Einstiegsdroge

Ein Modell, das man ja eben längst auch als weiteres Standbei bei allen Streamern entdeckt hat - auch wenn nach dieser Diskussion unklar bleibt, wie viele Kundinnen und Kunden beispielsweise Netflix nun wirklich mit seinem werbeunterstützten Abo gewinnen konnte. Mehr als die übliche Aussage, dass man natürlich sehr zufrieden sei, ließ sich Katja Hofem Content-Chefin von Netflix in der DACH-Region, nicht entlocken, auch Christoph Schneider von Amazon blieb wie eh und je nach konkreten Zahlen stumm, ebenso wie Sabine Anger, die bei Paramount fürs Streaming-Geschäft in Zentral- und Nordeuropa zuständig ist. Einig sind sie sich wie üblich nur darin, sehr zufrieden zu sein.

Sie alle sehen aber weiter auch Wachstumsmöglichkeiten im Abo-Markt, schließlich habe erst die Hälfte der Haushalte ein kostenpflichtiges Bewegtbild-Abo - die kostengünstigeren Werbe-Modelle sind dabei ein Stück weit als Einstiegsdroge gedacht. Freevee, so der Name des kostenfreien Streaming-Angebots von Amazon, sei zwar ein eigenständiges Angebot, das bald endlich auch auf mehr Plattformen mit eigenen Apps statt nur Huckepack bei Prime Video vertreten sein soll. "Aber natürlich hoffen wir, dass ein Freevee-Kunde irgendwann mal ein Prime-Kunde wird", so Christoph Schneider.

Doch dass die einst mit Werbefreiheit lockenden Streamingdienste zunehmend auch auf Werbung setzen, ist nicht der einzige Aspekt, an dem man sich plötzlich stärker an klassischen Geschäftsmodellen des Fernsehens orientiert. "Ich glaube, dass sich Streamingdienste in den kommenden Jahren ändern und dem Free-TV ein Stück weit annähern werden", führte Christoph Schneider aus. Und das ist für die bestehende Kundschaft eigentlich keine schlechte Nachricht.

Wiederkehrende Formate werden wichtiger

Denn zunächst sei es vor allem darum gegangen, mit seinen Eigenproduktionen neue Kundschaft anzulocken. Dies habe dazu geführt, dass man lieber lieber viele Produktionen mit einer oder wenigen Staffeln produzier hat, weil spätere Staffeln nicht zusätzliche Leute anlockten. Jetzt geht es - vor allem auch angesichts der immer höheren Anzahl an Konkurrenten - immer stärker darum, die Kundschaft zu halten. Es sei daher immer wichtiger, dass es Formate gibt, die jährlich wieder kommen - eigentlich müsse man jeden Monat etwas haben, das verlässlich zu diesem Zeitpunkt starte, ähnlich wie man im klassischen TV im Januar das Dschungelcamp erwarte etc.

Es besteht also die Chance, dass es doch auch mal wieder mehr Serien gibt, die über die wenige Folgen langen Miniserien hinaus reichen. "Natürlich ist es immer ein Wunsch, Programme zu finden, bei denen man sich auf fünf oder sechs Staffeln freut", so Katja Hofem von Netflix - sie räumt aber auch ein: "Viele Ideen geben das nicht her." Und sie gibt zu bedenken, dass es sehr schwierig werden dürfte, eine neue, fiktionale, langlebige Serie zu finden. Dass teils jahrzehnte laufende Formate auch für Streamer einen besonderen Wert haben, kann man aber am Beispiel von "Neighbours" sehen: Als die Serie nach 37 Jahren vom australischen Seven Network eingestellt wurde, sprang Amazon Freevee ein.

Und noch in einem weiteren Aspekt nähern sich klassisches TV und Streamer immer weiter an: Während Netflix und Co. zunächst fast nur mit hochwertiger Fiction punkten wollten, ist man längst auch in den Doku wie auch den Reality-Bereich vorgedrungen. Einen Nichtangriffspakt wollte Katja Hofem mit den deutschen Konzernen jedenfalls in keinem Bereich eingehen. "Ich bleibe angriffslustig", so Hofem. Man habe mit "Too Hot to Handle" ja gerade den ersten großen Erfolg mit Reality in Deutschland gehabt - und generell sei die große Bandbreite auch Teil des Erfolgsrezepts von Netflix.

Kein Genre ist tabu

ProSieben- und Sat.1-Chef Daniel Rosemann will sich davon nicht bange machen lassen - er wolle jedenfalls kein Genre generell nur Streamern überlassen. "Ich würde nie ein Genre totreden oder abschreiben" - schon allein, weil es ja nur eine begrenzte Anzahl davon gebe. Und das heißt auch, dass Fiction für Sat.1 wieder ein Thema sein wird - was sich in den letzten Monaten noch deutlich zurückhaltender angehört hatte. Dass es hier in den letzten Jahren wenig Neues gegeben habe, liege daran, dass man sich gut überlegen müsse, ob und was man in diesem Bereich mache - schließlich müsse man beim Production Value mit Öffentlich-Rechtlichen und Streamern mithalten können und Stoffe finden, die nicht so unviersal seien, dass sie auch bei Netflix laufen könnten. "Wir haben uns Zeit genommen, was wichtiger und besser ist, als einfach loszubestellen", so Rosemann.

Um so spannender wird, was aus dem langen Nachdenkprozess letztlich herauskommen wird - und ob es vielleicht schon auf den Screenforce Days im Juni Neuigkeiten dazu geben wird. Dass es trotz langem Nachdenken keine Erfolgsgarantie gibt, ist aber ebenfalls klar - denn trotz aller vorliegender Daten hat sie auch keiner der großen Streamer bislang gefunden. "Wir sind alle in einem Risiko-Business. Was der Zuschauer am Ende anschauen möchte, ist immer noch eine Blackbox", sagt Katja Hofem von Netflix. Sabine Anger verspricht trotzdem, weiter risikofreudig zu bleiben und nicht allein auf große Franchises zu bauen. "Man macht idealerweise beides", erklärt die Paramount-Managerin.