Später als ursprünglich geplant hat ProSiebenSat.1 am Freitag doch noch seine Hauptversammlung über die Bühne gebracht. Der Medienkonzern hatte das Datum ebenso wie die Vorlage der Geschäftszahlen für 2022 zu Jahresbeginn verschieben müssen, nachdem das Geschäft mit dem Tochterunternehmen Jochen Schweizer mydays überraschend Unklarheiten hevorgerufen hatte - inzwischen befasst sich bekanntlich sogar die Münchner Staatsanwaltschaft mit dem Fall.

Vor dem Hintergrund der noch immer laufenden Untersuchungen wurde auf der digitalen Hauptversammlung beschlossen, die Entlastung des Vorstands auf die Hauptversammlung im kommenden Jahr zu verschieben. Die Mehrheit der Aktionärinnen und Akionäre folgte damit dem neuen Aufsichtsratschef Andreas Wiele. Der Aufsichtsrat behalte sich vor, mögliche Schadenersatzansprüche gegen Vorstandsmitglieder gegebenenfalls zu prüfen, erklärte Wiele zuvor.

Bemerkenswert: Dessen Vorgänger Werner Brandt wurde von den Aktionärinnen und Aktionären nicht entlastet. Auf der Hauptversammlung stimmten nur 47,19 Prozent für seine Entlastung, gegen die Entlastung votierten 52,81 Prozent. Es ist ein bemerkenswerter Vorgang, schließlich kommt es nur selten vor, dass ein Vorstand oder Aufsichtsrat nicht entlastet wird. Die Verweigerung hat zwar rechlich gesehen zunächst keine großen Auswirkungen, ist aber mindestens Ausdruck der Unzufriedenheit mit Brandts Arbeit.

ProSiebenSat.1-Hauptversammlung 2022 © ProSiebenSat.1 Die Hauptversammlung von ProSiebenSat.1 fand auch in diesem Jahr wieder digital statt.

Der langjährige Aufsichtsratsvorsitzende von ProSiebenSat.1 hatte den Einstieg des Medienkonzerns Mediaforeuropa (MFE) stets kritisch gesehen und in der Vergangenheit unter anderem erklärt, "keinen Mehrwert" in Form einer Fusion erkennen zu können. Sein Nachfolger Andreas Wiele ist im Umgang mit den Italienern ebenso wie der neue Vorstandsvorsitzende Bert Habets, der vor einem halben Jahr überraschend auf Rainer Beaujean folgte, deutlich offener. Und das ist wohl auch nötig, schließlich ist der Einfluss der Medienholding, die sich an eine Beteiligung von 30 Prozent heranpirscht, zuletzt deutlich gewachsen. 

Dieser Einfluss schlägt sich auch mit Blick auf die künftige Besetzung des Aufsichtsrats nieder: Wie erwartet nimmt MFE nun zwei Sitze in dem Gremium ein. Neben der ehemaligen NBCUniversal-Managerin Katharina Behrends, die inzwischen als General Managerin für die deutschsprachige Region bei MFE fungiert, wurde am Freitag auch der Markenmanager Thomas Ingelfinger, der ebenfalls dem italienischen Konzern zugerechnet wird, in das Gremium gewählt. Beide erhielten jeweils mehr als 99 Prozent der abgegebenen Stimmen. Neu im Aufsichtsrat sind darüber hinaus auch Katrin Burkhardt und Cai-Nicolas Ziegler.

"Nicht enden wollende Serie aus Komik und Horror"

Zuvor war ProSiebenSat.1 auf der Hauptversammlung von Aktionärinnen und Aktionären stark kritisiert worden. "ProSieben macht den Eindruck einer schlecht produzierten Reality-Show - eine nicht enden wollende Serie aus Komik und Horror", erklärte Andreas Thomae von der Fondsgesellschaft Deka Investment. "Wir Aktionäre sind gezwungen, uns alles in voller Länge anzuschauen und am Ende müssen wir auch noch die Zeche bezahlen." Thomae kritisierte, dass es in dem Unternehmen zugehe "wie im Taubenschlag" und verwies auf fünf Vorstandschefs und vier Finanzchefs in fünf Jahren.

Tatsächlich sind die Herausforderungen immens - nicht nur mit Blick auf die weiter unsichere Lage bei Jochen Schweizer mydays, sondern auch hinsichtlich des noch immer schwächelnden Werbemarktes. CEO Bert Habets hatte am Freitag in seiner Rede auf der Hauptversammlung erklärt, dass sich die Belastung auch im zweiten Quartal fortsetzen werde, "wenngleich bereits etwas weniger ausgeprägt" (DWDL.de berichtete). Mit Blick auf den weiteren Verlauf des Jahres gab sich Habets aber betont optimistisch. So habe man im Juni bereits "wesentlich Verbesserungen in den Werbebuchungen im Vergleich zu den Vormonaten gesehen", sagte er. Für die zweite Jahreshälfte rechne ProSiebenSat.1 daher mit einer "spürbaren Erholung" des Werbegeschäfts.