Ende September hat der Verfassungsgerichtshof in Österreich über die Bestellung und die Zusammensetzung der ORF-Gremien verhandelt. Neben dem Publikumsrat gibt es noch den mächtigen Stiftungsrat, der die Leitung des Senders wählt, das Budget bestimmt und auch über die Höhe der GIS-Gebühren entscheidet. Nun hat der Verfassungsgerichtshof entschieden, dass die Bestellung und Zusammensetzung der Gremien in Teilen verfassungswidrig ist.

Konkret bemängelt das Gericht, dass die Bundesregierung aktuell neun der insgesamt 35 Mitglieder des Stiftungsrates direkt bestimmt, der Publikumsrat aber nur sechs Mitglieder. Das verstoße gegen das Pluralismusgebot. Als unbedenklich eingestuft hat das Gericht dagegen die Bestellung von neun weiteren Stiftungsratsmitgliedern durch die Bundesländer sowie die Bestellung von sechs Mitgliedern durch die im Nationalrat vertretenen Parteien. Verfassungswidrig ist darüber hinaus die Tatsache, dass viele Stiftungsräte nach Neuwahlen einfach ausgetauscht werden können. Das verstoße gegen das Unabhängigkeitsgebot, heißt es in der Entscheidung des Gerichts. 

Der weitgehend zahnlose Publikumsrat besteht aktuell aus 30 Mitgliedern. 17 davon bestellt die Medienministerin, 13 weitere kommen durch im Gesetz festgelegte Organisationen. "Es verstößt gegen die verfassungsrechtlichen Gebote der Unabhängigkeit und pluralistischen Zusammensetzung des Publikumsrats, wenn die Medienministerin mehr Mitglieder bestellen kann als die anderen Stellen", hat der Verfassungsgerichtshof nun entschieden. Außerdem wird kritisiert, dass nicht genau geregelt ist, wie viele Mitglieder der einzelnen Gruppen genau zu bestellen sind und welche Vorschläge von welchen Organisationen zu berücksichtigen sind. 

Viel Kritik, aber nie Änderungen

In dem mächtigen ORF-Stiftungsrat hat aktuell die ÖVP die alleinige Mehrheit, eine überwältigende Mehrheit in dem Gremium ist staatsnah bestellt. Das sorgte zwar immer wieder für Kritik, geändert hat sich daran aber nie etwas - bis jetzt. Der Verfassungsgerichtshof hat dem Gesetzgeber nun bis März 2025 Zeit gegeben, um nachzubessern und das ORF-Gesetz entsprechend anzupassen. Und das dürfte sich noch als spannend erweisen, schließlich wird voraussichtlich in Österreich erst im Herbst 2024 ein neuer Nationalrat gewählt. Eine Reform bis dahin ist nicht ausgeschlossen, wäre aber sicherlich herausfordernd. Bei der Neugestaltung des ORF-Gesetzes wollen naturgemäß alle ein Wörtchen mitreden. 

In Deutschland entschied das Bundesverfassungsgericht bereits vor fast zehn Jahren, dass höchstens ein Drittel der Mitglieder in den Gremien der Öffentlich-Rechtlichen staatsnah sein dürfen. Dadurch wird der Einfluss von der Politik auf die Gremien - und damit auch auf die Sender selbst - gedämpft. Das Urteil in Österreich ist zwar ein Meilenstein, es heißt aber nicht unbedingt, dass die Politik in Zukunft deutlich weniger Einfluss haben wird. Im Gegenteil: Auch in Zukunft hat die Politik bei der Bestellung der Stiftungsräte ein gewichtiges Wort mitzureden. Eine harte Grenze für staatsnahe Bestellungen wie in Deutschland hat der Verfassungsgerichtshof nicht vorgegeben. Festgestellt hat das Gericht lediglich, "dass keinem staatlichen Organ ein einseitiger Einfluss auf die Zusammensetzung" zukommt. 

Der Verfassungsgerichtshof hat damit nun zum zweiten Mal innerhalb weniger Jahre das ORF-Gesetz in Teilen als verfassungswidrig erklärt. Die letzte Entscheidung aus dem Jahr 2021 betraf die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Hier hatte der Gesetzgeber gerade erst nachgebessert, Anfang 2024 tritt daher die Neufassung in Kraft. Österreicherinnen und Österreicher zahlen künftig einen Rundfunkbeitrag und nicht mehr eine geräteabhängige Abgabe. 

SPÖ-Landeschef ging gegen Regelung vor

Hintergrund der Tatsache, warum sich der Verfassungsgerichtshof ausgerechnet jetzt mit dem Thema beschäftigt hat, ist ein sehr österreichischer. Die Landesregierung aus dem Burgenland, geführt von Hans Peter Doskozil (SPÖ), hatte Verfassungsbeschwerde eingelegt, Doskozil selbst bot sich als Zeuge an. Als viele Jahre lang die SPÖ das Sagen im Stiftungsrat hatte, ging Doskozil bzw. seine Partei nicht dagegen vor. Sein Sprecher nannte unter anderem bekanntgewordene Sideletter von ÖVP und FPÖ sowie ÖVP und Grünen über die Besetzung des ORF-Stiftungsrats und Führungspersonen im Sender als Grund für den Schritt. Doskozil selbst soll 2021 auf die Bestellung des langjährigen Chefredakteurs im ORF-Landesstudio Burgenland zum Landesdirektor gedrängt haben - scheiterte damit allerdings. Kurz danach erfolgte die Verfassungsbeschwerde. 

Und auch ORF-Journalist und Anchor Armin Wolf sorgte im vergangenen Jahr an einflussreichen Stellen für Aufsehen, als er in einem Blogeintrag das ORF-Gesetz rund um die Bestellung des Stiftungsrates "offenkundig verfassungswidrig" nannte. Wolf bezog sich damals auf einen Aufsatz des Verfassungsgerichtshofspräsidenten Christoph Grabenwarter, der sich darin aber mit einem gänzlich anderen Thema beschäftigte.

Als das Burgenland im vergangenen Jahr Beschwerde einreichte, konnte Wolf die juristische Argumentation verstehen - zeigte sich aber dennoch überrascht von der Klage des SPÖ-Politikers. Nur die Politik selbst könne juristisch gegen ihren eigenen Einfluss auf den ORF vorgehen. "Gelernte Österreicher·innen wissen: Nicht sehr wahrscheinlich", so Wolf damals. Nun muss die Politik abermals reagieren. Wie sehr sie ihren Einfluss auf den ORF beschneiden wird, bleibt vorerst aber abzuwarten. Es ist nicht davon auszugehen, dass man mehr Macht abgibt als unbedingt nötig - und vom Verfassungsgerichtshof gefordert. 

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