Cem Özdemir © Sedat Mehder (CC BY 3.0) Cem Özdemir
Vor ziemlich genau einem Jahr hat Ernährungs- und Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) einen Plan vorgestellt, durch den er nach eigenen Angaben das Problem der Übergewichtigkeit bei Kindern in den Griff bekommen wollte - und der gleichzeitig wohl zu großen Verwerfungen in der Medienbranchen führen würde. Özdemir will Werbung für ungesunde Lebensmittel, die sich an Kinder richtet, verbieten. Lebensmittel- und Medienbranche laufen seither Sturm gegen das geplante Gesetz und auch innerhalb der Regierung gibt es bislang keine Einigkeit. 

Das Problem aus Sicht der Kritikerinnen und Kritiker: Özdemirs Vorschlag gehe weit über das Ziel hinaus. Betroffen von dem Verbot wäre wohl nicht nur Werbung, die sich an Kinder richtet. Sondern zusätzlich auch Werbung für zahlreiche Lebensmittel ganz generell. Özdemir lenkte Mitte des vergangenen Jahres ein und schwächte den ursprünglichen Vorschlag ein wenig ab, indem er die geplanten Verbotszeiten der Werbung anpasste. Aber das ist vielen Gegnern noch nicht genug. 

Tatsächlich geht der aktuelle Gesetzesentwurf weit über das hinaus, was die Ampel-Parteien zu Beginn ihrer Zusammenarbeit im Koalitionsvertrag festgehalten hatten. Das ist eigentlich überraschend, denn damals war man schon recht konkret. So hielt man fest, dass die Regierung "an Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- und Salzgehalt" verbieten wolle - und das bei "Sendungen und Formaten für unter 14-Jährige". Das ist im Vergleich eine sehr konkrete Absichtsbekundung.

Aber auch im mittlerweile vierten Entwurf des Kinder-Lebensmittel-Werbegesetzes ist festgehalten, dass Werbung für ungesunde Lebensmittel auch dann verboten ist, wenn sie sich nicht nach Art, Inhalt oder Gestaltung an Kinder richtet, jedoch zeitlich von Kindern konsumiert werden kann. Konkret verboten werden soll die entsprechende Werbung im Fernsehen montags bis freitags zwischen 17 und 22 Uhr und auch an weiten Teilen des Wochenendes. Die Gegnern des Vorhabens fürchten dramatische Umsatzeinbußen in einer Zeit, in der die Einnahmen der Medien ohnehin nicht mehr sprudeln wie früher. 

Neben Kritik von Lebensmittel- und Medienbranche gibt es aber auch ein breites Bündnis aus Ärzten, Krankenkassen und anderen Gesundheitsverbänden, die die Pläne begrüßen und unterstützen. Wie umstritten das Gesetz von Cem Özdemir allerdings selbst innerhalb der Ampel ist, zeigt alleine schon die Tatsache, dass nun ein Jahr lang sehr wenig vorangegangen ist. Auf Anfrage des Medienmagazins DWDL.de heißt es aus dem zuständigen Ministerium, das Gesetz befinde sich nach wie vor in der Ressortabstimmung und man könne darüber hinaus nichts dazu sagen. 

Jetzt aber wirklich: Gesetz soll kommen

Zuletzt hat sich Cem Özdemir aber mal wieder auf einer Pressekonferenz zu einem eigentlich anderen Thema dazu geäußert. Und auch wenn er dabei wenig konkret wurde, kündigte der Ernährungsminister an, dass der Gesetzentwurf noch einmal angepasst und überarbeitet werden und dann kommen soll. "Man braucht Geduld bei dieser Arbeit. Die habe ich und gleichzeitig braucht man Hartnäckigkeit", erklärte Özdemir und fügte hinzu, dass sich die Bundesregierung dazu bekannt habe, dass es das Gesetz geben solle. Das ist eine bemerkenswerte Aussage, ist das geplante Gesetz doch auch schon als Vorhaben im Koalitionsvertrag festgehalten. 

"Man braucht Geduld bei dieser Arbeit. Die habe ich und gleichzeitig braucht man Hartnäckigkeit."
Bundesernährungsminister Cem Özdemir


Özdemir nannte weder einen Zeitplan noch Details zu den Veränderungen, die man noch vornehmen werde. Das Problem des Politikers: Während die FDP immer wieder ihre Ablehnung zum geplanten Gesetz kundtut, hat sich die SPD bislang öffentlich nicht klar positioniert. Die agrarpolitische Sprecherin der Sozialdemokraten, Susanne Mittag, lobte das Vorhaben zuletzt als "konkret und ambitioniert", Parteichef Lars Klingbeil jedoch kritisierte die konkrete Umsetzung im Herbst 2023 und sagte, man habe Gesprächsbedarf. Auch im Ernährungsministerium sind einige unzufrieden damit, dass jetzt lange nichts passiert ist. Und langsam drängt die Zeit: Die nächste Bundestagswahl findet im Spätsommer oder Herbst 2025 statt. Zieht man den mehrmonatigen Wahlkampf, in dem eher keine prestigeträchtigen Gesetzesvorhaben durchgebracht werden, davon ab, müsste Özdemir sein Gesetzesvorhaben bald spürbar voranbringen. 

Spricht man mit Vertretern diverser Medienverbände, sind diese nicht unglücklich damit, dass sich das ganze Verfahren so sehr in die Länge zieht. Gleichzeitig sind alle in einer Art Habachtstellung, weil sie angespannt auf den neuesten Gesetzentwurf warten. Offiziell will sich niemand zu den neuesten Aussagen Özdemirs äußern, stattdessen verweisen alle Personen, mit denen DWDL.de gesprochen hat, auf bereits veröffentlichte Stellungnahmen. Im Oktober 2023 etwa kritisierten 34 Verbände der Lebensmittel- und Werbewirtschaft die Pläne

Aus dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag

  • Unter Paragraph 6 (Jugendschutz in der Werbung und im Teleshopping), Absatz 7, heißt es:

    Die Anbieter treffen geeignete Maßnahmen, um die Einwirkung von im Umfeld von Kindersendungen verbreiteter Werbung für Lebensmittel, die Nährstoffe und Substanzen mit ernährungsbezogener oder physiologischer Wirkung enthalten, insbesondere Fett, Transfettsäuren, Salz, Natrium, Zucker, deren übermäßige Aufnahme im Rahmen der Gesamternährung nicht empfohlen wird, auf Kinder wirkungsvoll zu verringern.

Hinter vorgehaltener Hand sagen die Vertreterinnen und Vertreter der Verbände auch jetzt noch: Man versperre sich keiner Initiative, bei der es um eine Regulierung von Werbung, die sich an Kinder richtet, geht. Aber dieses Gesetz müsse sich an dem Koalitionsvertrag orientieren und dürfe nicht über das Ziel hinausschießen. Es wird auf bestehende Selbstregulierungen, gesetzlich und selbstregulativ, verwiesen und auch darauf, dass der weitgehende Vorstoß von Cem Özdemir aus wissenschaftlicher Sicht auf wackeligen Beinen stehe. 

Ein Stück weit sieht man sich auch als Bauernopfer, weil man als in Deutschland ansässige Branche am einfachsten für den Gesetzgeber zu greifen sei, heißt es gegenüber DWDL.de. Die Politik müsse an anderer Stelle ansetzen. "Es erklärt sich nicht, Produkte, die regulär ohne Altersbeschränkung im Handel zu erwerben sind, mit einem Werbeverbot in den Medien zu belegen. Es gehört zur Freiheit dazu, den Menschen bzw. dem Verbraucher das Recht auf Eigenverantwortung einzuräumen", sagte Uwe Esser, Geschäftsleiter TV bei ARD Media, schon im März 2023 gegenüber DWDL.de. Ansetzen könnte man aber auch in der Bildung: Eine Studie der Uni Ulm hatte zuletzt gezeigt, dass gesundheitsbezogene Risiken vor allem bei solchen Familien auftreten, in denen es ein geringes Bildungsniveau gibt.

Gespanntes warten, aber die Skepsis ist groß

Und dann ist da ja auch noch die Frage, ob der Bund überhaupt die nötige Gesetzgebungskompetenz in dieser Sache hat. Medienpolitik ist in Deutschland traditionell die Aufgabe der Bundesländer. Verbände vor allem aus der Medienbranche verweisen immer wieder darauf. Und auch die Rundfunkkommission der Länder hatte im März 2023, kurz nach den von Özdemir vorgestellten Plänen, erklärt, dass das geplante Gesetz in einen Bereich falle, in dem die Länder zuständig seien. Außerdem forderte man das Bundesministerium dazu auf, das Gespräch mit der Rundfunkkommission zu suchen.

Aus der zuständigen Staatskanzlei Rheinland-Pfalz heißt es jetzt gegenüber DWDL.de, dass inzwischen ein Austausch mit dem Ministerium auf Staatssekretärsebene stattgefunden habe. Aber: "Eine offizielle Beteiligung der Länder am Gesetzgebungsprozess erfolgte bisher nicht." So wirklich glücklich mit dem Vorhaben scheinen also auch die Bundesländer noch immer nicht zu sein. Und sie könnten es sein, die Cem Özdemir das Gesetz in den kommenden Monaten noch kräftig erschweren. 

Von verschiedenen Medienverbänden heißt es gegenüber DWDL.de, es werde nun darauf ankommen, wie genau der nächste Gesetzentwurf von Cem Özdemir aussehe. Klar ist: Für Cem Özdemir wäre ein Scheitern des Projekts ein Gesichtsverlust, den er wohl um jeden Preis verhindern will. Entspannt zurücklehnen will sich nach den jüngsten Aussagen des Ministers aber niemand. Das letzte Jahr habe gezeigt, dass zwischen den Ankündigungen und den tatsächlich im Gesetzentwurf enthaltenen Regelungen große Unterschiede bestanden hätten. Die Skepsis ist groß. Da die Verbände in der Sache aber nicht in einem regelmäßigen Austausch mit Cem Özdemir oder dem Ministerium stehen, blicken auch sie (an)gespannt auf die kommenden Wochen und werden sich überraschen lassen müssen, ob ihnen der Minister tatsächlich entgegenkommt. 

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