Eigentlich gab es noch nie so viele Kommunikationsmöglichkeiten wie heute - und doch steht es um die Kommunikations- und Diskussionskultur in diesem Land offensichtlich nicht allzu gut. Die Meinung, man dürfe seine Meinung ja ohnehin nicht mehr sagen, ist weit verbreitet. Weil der öffentliche Diskurs allzu schnell eskaliert, bewegt man sich lieber bequem in seiner eigenen Blase. Und so wirken schon die ersten kurzen Ausschnitte, die man von der Inititative "Weil Hessen mehr verbindet" in einem ersten Trailer sehen kann, wohltuend. Menschen mit unterschiedlichen Meinungen und unterschiedlichem Hintergrund diskutieren darin zu unterschiedlichsten Themen, offenbar engagiert und teilweise persönlich angefasst, zugleich aber auch unaufgeregt und zivilisiert.

Für das groß angelegte Vorhaben, das der Hessische Rundfunk ab dem kommenden Montag auf all seinen Kanälen auswerten wird, hat man knapp 40 Personen, die sich vorher nicht kannten, an einem Wochenende in einem Raum zusammengebracht, um diese dort unter der Überschrift "Was bewegt euch, Hessen?" über all die Themen sprechen zu lassen, die sie bewegen. Dabei habe man versucht, einen Querschnitt der hessischen Bevölkerung abzubilden, hinsichtlich Alter, Herkunft, Wohnort, Bildungsgrad, Einkommen, Beruf, Geschlechts, sexueller Identität, Religion, Interessen  und Haltung zu verschiedenen Themen, erläutern die Macherinnen und Macher. Parteipräferenz habe dabei übrigens nicht zu den abgefragten Punkten gehört. Voraussetzung sei lediglich gewesen, dass sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf einer demokratischen Grundlage bewegt hätten.

Mit allen seien ausführliche Vorgespräche geführt worden, aus denen sich auch die Themen ergeben haben, die dann in die Diskussion gegeben wurden. In Abgrenzung zum ARD-Format "Die 100" geht es hier nicht um ein zugespitztes Thema, stattdessen ist die Themenpalette groß und reicht von der Frage, wovor man Angst hat, über die Themen Meinungsfreiheit und Demokratie, Medienkritik, gesellschaftlichen Zusammenhalt und den Umgang mit der Corona-Pandemie bis zur Frage, was eigentlich Heimat ist. Die Diskussion habe dann ohne Vorgaben und ohne jegliche journalistische Eingriffe stattgefunden, geleitet wurde sie von einem Psychologen, der Themen in die Diskussion gab, diese dann aber sich habe entwickeln lassen.

Dabei steht die Entscheidung, nicht über ein einzelnes Thema diskutieren zu lassen, mit im Kern des Konzepts - schließlich gehe es auch darum, die Vielschichtigkeit der Menschen zu zeigen und schon allein damit auch mehr Verständnis füreinander zu wecken. "Ein Mensch ist mehr als eine Meinung zu einem Thema", fasst Regisseur Sergej Moya zusammen. Letztlich sei das Verbindenden bei den meisten stärker als das Trennende gewesen. "Der HR möchte der Vielfalt unterschiedlicher Meinungen zu gesellschaftlichen Themen Raum geben und gleichzeitig für einen respektvollen Dialog sensibilisieren. denn beides ist möglich: Unterschiedliche Haltungen und wertschätzender Umgang. Im Zuhören Gemeinsamkeiten finden und Verständnis für andere Positionen entwickeln", heißt es vom Sender.

Für die 39 Teilnehmerinnen und Teilnehmer mag das eine schöne Erfahrung gewesen sein - die Frage ist nun aber, ob es zum Einen gelingt, das für weit mehr Publikum sehenswert aufzubereiten. Und ob damit dann auch das anvisierte große Publikum zu finden ist. Versuchen wird man das wie erwähnt ab dem kommenden Montag auf allen Ausspielwegen. Egal ob man ein HR-Radioprogramm oder das HR-Fernsehen einschaltet, egal ob auf der Website, in der Mediathek sowie den YouTube- und Social-Media-Kanälen: An "Was bewegt euch, Hessen?" wird man als HR-Nutzerin und -Nutzer nicht nur am kommenden Montag kaum vorbei kommen, ausgewertet werden sollen die Inhalte nämlich über einen längeren Zeitraum.

Im HR Fernsehen wird u.a. in "Hallo Hessen", "Maintower", "Die Ratgeber" und der "Hessenschau" berichtet, außerdem zeigt man am Montag um 20:15 Uhr zunächst ein "Hessenschau Extra" zum Thema "Meinungskampf statt Dialog - Demokratie in Gefahr?", gefolgt ab 20:45 Uhr von dem einstündigen Film "Was bewegt euch Hessen, den Sergej Moya aus der über zwei Tage angelegten Diskussion angefertigt hat. Danach gibt es ab 21:45 Uhr noch ein Making-of des Projekts, in der Autorin Dominik Nourney zeigt, wie die Teilnehmerinnen und Teilnehmer das Wochenende erlebt haben und was abseits der Gesprächssituation passierte. Deutlich mehr Material steht online ab 5 Uhr morgens in der Mediathek zum Abruf bereit.

Dass ein solch exemplarisches Format dazu beitragen kann, die Diskussionskultur allgemein wieder zu verbessern erscheint freilich etwas zu ambitioniert. Wenn der ein oder andere nochmal darüber nachdenkt, sich vielleicht doch wieder auf eine Diskussion einzulassen und anderen vor allem auch wieder zuzuhören, wäre aber vielleicht auch schon etwas erreicht. Ob man "Was bewegt euch, Hessen?" fortsetzen wird, lässt HR-Intendant Hager übrigens offen. Nun gelte es erstmal zu beweisen, dass nicht nur das Schaffen eines solchen Begegnungsortes geklappt habe, sondern es auch gelingen kann, das dem großen Publikum zu vermitteln. Aber wenn das gelänge, dann werde man diesen Weg in dieser oder ähnlichen Formen weiter gehen.