Vorurteil der Woche: Freundlichkeit funktioniert im Privatfernsehen nicht (mehr).

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Wenn ein seriös aussehender Typ vor dem Ausgang eines Berliner U-Bahnhofs die Straße kehrt, einfach bloß, damit es dort sauberer wird; wenn er nicht dafür bezahlt wird und auch nicht dazu verurteilt worden ist – dann muss irgendwas faul sein.

Oder Jan Köppen ist in seiner "Mission Freundlichkeit" unterwegs.

Mission Freundlichkeit© Disney Channel

Für die ist der Moderator extra 100 Tage nach Berlin gezogen, die Hochburg der (ruppigen) Freundlichkeit, um dort auszuprobieren, wie die Menschen reagieren, wenn man grundlos nett zu ihnen ist und das auf Facebook dokumentiert: Wenn man also aus eigener Initiative den Kiez aufräumt; sein Sofa runter auf die Straße stellt, unbekannte Passanten grüßt, ihnen Gebäck anbietet ("Keks?") und sie zu einem Schwätzchen einlädt; und wenn man mit Kamerateam bei Fremden an der Tür klingelt, die Geduld der verdutzten Öffner dann aber gar nicht mit dem üblichen Quatschüberfall auf die Probe stellt, sondern bloß ein Blümchen vorbeibringt.

Es wäre so einfach gewesen, diese schöne Grundidee zu ruinieren, indem man sie durch den Fernsehfleischwolf gedreht und sie in einem der gewohnten Genres verbraten hätte:

Zum Beispiel als Rankingshow. Jan Köppen präsentiert die Top 10 der freundlichsten Kellner! Der hilfsbereitesten Nachbarn! Der sorgfältigsten Hundekotbeutelwegträger! Sehen Sie nach der Werbung auf Platz 5: den Studenten, der Herrn Müller immer den Kasten Wasser in den vierten Stock schleppt.

Oder als Quiz. Jan Köppen fragt: Wie verhält man sich Knigge-adäquat beim Alte-Damen-über-die-Straße-bringen? Linken Arm oder rechten Arm unterhaken? Unaufgefordert den angeleinten Dackel übernehmen? Drängelig werden bei drohender Rotphase? Wählen Sie aus folgenden Antworten: A, B, C, D.

Oder als Überraschungsshow. Jan Köppen überrascht Leute, von denen andere ihm geschrieben haben, dass sie dringend mal überrascht werden müssen. Dann kriegt die selbstlose Blumengießerin einen Traum erfüllt: einmal im Fernsehturm-Restaurant eine ganze Runde fahren und dazu Kaffee trinken!

Glücklicherweise ist "Mission Freundlichkeit" ganz und gar fleischwolfverschont geblieben. Und schon für die verdutzten Blicke der Passanten, denen Köppen breit lächelnd entgegentritt, und der Nachbarn, bei denen er sich nach dem Einzug einzeln vorstellt, hat sich das Experiment gelohnt. Happy Reality – statt Scripted Reality.

Mission Freundlichkeit© Disney Channel

"Ick gloob das nicht", berlinert der Müllmann, als der Moderator morgens um halb sieben mit frisch gebrühtem Kaffee auf dem Nierentischchen neben der Einfahrt steht und zu erkennen gibt, dass das Gedeck für ihn und seine Kumpels gedacht ist, die es gar nicht fassen können. "Sonst sind immer alle unfreundlich, weil wir im Weg rumstehen", erklärt einer. Köppen entgegnet: "Mit Milch und Zucker?" Und als die Müllabfuhr wieder weg ist, merkt er: "Fühlt sicht gut an, freundlich zu sein. Einfach so."

Zur Unterstützung schauen in jeder Folge Prominente im "Freundlichkeits-Headquarter" vorbei. Den Anfang macht Sänger Mateo von Culcha Candela, mit dem Köppen unten auf der Straße auf der Couch sitzt und die Nachbarschaft kennenlernt, zum Beispiel "die Monika", eine ältere Dame, die schon seit einer Ewigkeit im Kiez wohnt und bereitwillig ein paar Lebensweisheiten mit den jungen Herren teilt, kommt ja nicht so oft, vor, dass mal einer fragt.

"Bleib so wie du bist", verabschiedet sich Mateo nachher von Monika, anschließend ist man sogar bereit, ihm seine Ex-Jurymitgliedschaft bei DSDS zu verzeihen. Und Monika meint trocken: "Muss ick ja", während Köppen sich schlapp lacht.

Mission Freundlichkeit© Disney Channel

Für derzeitige Fernseh-Verhältnisse ist das TV-Experiment geradezu angenehm unspektakulär geraten. Es gibt nichts zu gewinnen, niemand muss irgendwas beweisen, keiner wird bloßgestellt. Und während sonst gerne weit weg gefahren wird, um Reportagen aus fremden Kulturen zu erzählen, schaut sich Köppen einfach an, wie das eigentlich mit unserer eigenen Kultur ist: unten auf der Straße.

Nebenbei stellt er möglicherweise auch den Rekord auf, inzwischen für fast jeden deutschen Privatsender einmal vor der Kamera gestanden zu haben – außer vielleicht "Juwelo TV", das kann ja noch kommen.

Kein Wunder: Köppen gehört zu den Leuten, die sich nicht festzulegen brauchen, weil man ihm die wirklich arg derben Gags aus Shows wie "Was wäre wenn?" nicht übel nimmt, wenn er bei der nächsten Gelegenheit im Nischen-Familienfernsehen auftaucht und dort glaubwürdig den Eindruck vermittelt, daran genauso viel Spaß zu haben.

"Mission Freundlichkeit" ist ein Fernsehen, wie es die Privaten sonst kaum noch hinkriegen, seitdem Sat.1 sich dazu entschieden hat, die Familientauglichkeit seines Programms auf die Ausstrahlung eingekaufter Animationsfilme zu reduzieren. Die Folgen laufen dienstags um 20.15 Uhr im Disney Channel. Wenn Sie freundlich sein wollen, schauen Sie mal rein.

Und das Vorurteil: stimmt nicht.