Wenn Schauspieler sich für wichtige Rollen in Serien verpflichten, kann das mitunter viel prägender sein, als wenn sie Kinorollen übernehmen. Serienverpflichtungen, das heißt: mindestens eine Staffel, wahrscheinlich ein paar Staffeln und hin und wieder auch zehn Staffeln oder mehr. Für uns, die Leute auf dem Sofa, bedeutet das: Wir verbinden diesen Schauspieler mit einer ganz bestimmten Rolle und dadurch mit besonderen Charaktereigenschaften. Das ist natürlich nicht schlimm, kann manchmal aber durchaus nachteilig sein - nämlich dann, wenn wir die Person wirklich nur aus einer wichtigen Rolle kennen und sie in einer anderen Serie plötzlich auftaucht. 

Ich hatte mir für die Sommerpause vorgenommen, ein paar Serien nachzuholen. Darunter: "The Affair". Aus drei Gründen: Erstens hatte ich schon von verschiedenen Seiten sehr viel Gutes über die Showtime-Serie gehört. Zweitens war ich auf Ruth Wilson gespannt. Ich kenne sie nur aus "Luther", wo sie die Psychopathin Alice Morgan spielt, die für John Luther zu einer wichtigen Bezugsperson wird. Spannende Figur, großartig gespielt. Drittens wollte ich Pacey wiedersehen - "Dawson's Creek"-Leute wissen, wen ich meine. ;-) Für alle anderen: Joshua Jackson, der eine wichtige Figur (die beste Figur, wenn man mich fragt!) in der Teenie-Serie spielte. 

Gleich am Anfang der ersten Folge stellte ich fest: Da sind noch zwei weitere Gesichter, die ich kenne. Den einen aus "The Wire" - mir fiel der Name nicht sofort ein. McNulty. Ach nee, das war ja der Rollenname. Und die andere, die kommt mir auch sehr bekannt vor. Verdammt, woher nur?!? Weil es mich wurmte, dass ich nicht mehr wusste, von wem McNulty gespielt wurde, googelte ich zumindest ihn: Dominic West. Bei der Frau wartete ich noch etwas, ob mir einfallen würde, woher ich sie kenne. Es dauerte tatsächlich eineinhalb Folgen, bis ich endlich draufkam: "Emergency Room". Da ich nur etwa ein Dutzend Folgen der Krankenhausserie kenne, versuchte ich gar nicht erst, selbst darauf zu kommen. Es ist Maura Tierney, die in "E.R." die Rolle von Abby Lockhart spielte. Eine der wenigen Figuren, die mir tatsächlich hängengeblieben sind. (Interessanterweise hatte ich komplett vergessen, dass sie ja auch mehrere Folgen lang in "The Good Wife" mitspielte - die Figur hat mich offenbar nicht beeindruckt.)

Hat die Tatsache, dass ich alle vier Hauptdarsteller sehr stark mit anderen Serien und damit mit ganz bestimmten Charakteren verknüpfe, mein Guckvergnügen beeinträchtigt? Ja und nein.

Ein klares Nein im Fall von Ruth Wilson (auf dem Foto oben die erste Frau von links): Ihre Rolle war von Anfang an so anders als die, in der ich sie kannte, dass es mir überhaupt nicht schwer fiel, mich von der Figur in den Bann ziehen zu lassen. Schon nach den ersten Minuten ihres Auftritts in Folge eins war ich fasziniert von diesem Charakter. Und als ich nach kurzer Zeit feststellte, dass sie quasi zwei Rollen spielt - nämlich einmal ihre Figur aus der Wahrnehmung der Dominic-West-Figur und dann ihre Figur aus der Selbstwahrnehmung heraus - war ich hin und weg von ihrem Schauspielvermögen und verschwendete keinen einzigen Gedanken mehr an Alice Morgan aus "Luther".

Ebenfalls ein Nein im Fall von Dominic West (auf dem Foto oben der zweite Mann von links): Auch seine Figur ist weit genug weg von McNulty aus "The Wire". Zumindest in der ersten Staffel habe ich nach dem Erkennen des Schauspielers keinen Gedanken mehr an die andere Serie verschwendet. Erst in Staffel zwei treten hin und wieder Charakterzüge zutage, die mich an McNulty erinnert haben. Aber das habe ich auf das Skript geschoben, nicht auf seine Schauspielkunst.

Bei Pacey äh Joshua Jackson war die Lage etwas schwieriger: Ich habe damals tatsächlich ein klein bisschen für Pacey geschwärmt und konnte nie verstehen, warum Joey so lange braucht, sich für ihn und gegen Dawson zu entscheiden. Und ich habe Joshua Jackson seitdem auch tatsächlich nur einmal kurz wiedergesehen, als ich zufällig in "Fringe" reingeschaltet habe. Also: Joshua Jackson hatte es wirklich schwer, gegen Pacey anzuspielen. Und erst in der zweiten Staffel, als seine Rolle größer und ambivalenter wird, ist ihm das in meinen Augen gelungen. Da sind Szenen dabei, die meiner Meinung nach große Kunst sind.

Auch Maura Tierney, die ich als Abby mochte, brauchte ein bisschen. Ihre Figur ist in der ersten Staffel sehr eindimensional: treusorgende Mutter von vier Kindern, aufgewachsen in einem sehr reichen Elternhaus. Wirklich spannend wird ihre Rolle erst in der zweiten Staffel. 

Was bleibt? Die Erkenntnis, dass das Schauspielvermögen allein nicht immer ausreicht, um gegen die Erinnerung an alte Figuren anzuspielen.

Ach so, und wer jetzt wissen will, ob sich "The Affair" lohnt: Wie der Titel schon nahelegt, geht es darum, wie eine Liebesaffäre das Leben der Beteiligten verändert, aus verschiedenen Sichtweisen erzählt. Und ja, die erste Staffel ist uneingeschränkt großartig. Ich war wie gefesselt und habe die zweite direkt im Anschluss geguckt - und fand sie während des Guckens auch sehr gut. Aber nach dem Bingen kamen die klareren Gedanken: Die zweite Staffel hat ein paar Mankos, ist dennoch sehenswert. Ich werde auf jeden Fall die dritte Staffel gucken, sie soll Ende November starten.

Warum in der Überschrift "Teil 2" steht? Weil ich über ein ähnliches Phänomen im Sommer 2015 schon einmal geschrieben habe: "Verdammt, woher kenn ich die denn?"

Und noch vier Gucktipps zum Schluss:

Apropos "Luther": Es gibt eine Ermittlerfigur, die mich stark an John Luther erinnert. Liese Meerhout heißt sie und ist die Hauptfigur der belgischen Polizeiserie "Coppers", die seit 31. August immer mittwochs auf ZDFneo in Doppelfolgen läuft. Wortkarg, mit einem eigenen moralischen Kompass auf dem schmalen Grat zwischen Legalität und Illegalität wandelnd und offenbar verfolgt von einem düsteren Geheimnis aus der Vergangenheit. Tolle Figur, ich bin gespannt, wie sie sich entwickelt. Aus Belgien ist ja in den nächsten Jahren einiges zu erwarten. "Coppers" ist ein vielversprechender Anfang. Wer noch einsteigen will - die ersten beiden Folgen liefen ja schon und sind leider nirgendwo legal im Netz nachholbar: Die Fälle sind abgeschlossen, es reicht vermutlich aus, wenn man sich die ausführliche Beschreibung der zwei Episoden durchliest und dann bei Folge drei einsteigt.

Die Comedy "You're the Worst" ist in den USA endlich weitergegangen. In Deutschland ist der Auftakt von Staffel drei bisher nicht zu bekommen, aber wer die Serie noch gar nicht kennt, dem empfehle ich sie hiermit. Eine zynische Beziehungscomedy, die näher an der Realität ist als viele andere Serien über Liebe und Partnerschaft. Die Dialoge sind schön bissig, die Charaktere liebevoll gezeichnet und herrlich schräg. Staffel 1 gibt's zum Beispiel bei Amazon Video, Maxdome und iTunes.

Und nochmal Comedy, die weh tut: Die Splatter-Serie "Ash vs. Evil Dead", ein Sequel der "Evil Dead"-Trilogie, verbreitet Angst und Lachen und ist seit Donnerstag auf Amazon Video (Prime) verfügbar. (Achtung, FSK 18.)

Ich bin zwar kein riesiger Fan von "Narcos", aber ich weiß, dass viele Menschen sehr begeistert sind von der Serie über den kolumbianischen Drogenboss Pablo Escobar. Daher der Hinweis: Staffel 2 ist seit Freitag auf Netflix zu sehen.

Jetzt zum wirklich Wichtigen: Wo kann man das gucken, über das ich schreibe?

"The Affair": Gibt's bei Amazon Video (Prime) und iTunes. Die erste Staffel ist auf DVD verfügbar.

"Luther": Lief im Sommer bei ZDFneo, wird dort regelmäßig wiederholt. Alle vier bisherigen Staffeln gibt's zum Beispiel bei Amazon Video (teilweise Prime), iTunes, drei Staffeln gibt's unter anderem bei Maxdome, Netflix und Watchever. Und auf DVD.

"Dawson's Creek": Ist derzeit mehrmals in der Woche im Bezahlsender RTL Passion zu sehen. Alle sechs Staffeln sind bei Amazon Video und Maxdome verfügbar. Und auf DVD.

"The Wire": Läuft derzeit leider auf keinem Sender, wird aber immer mal wieder im Pay-Sender Sky Atlantic wiederholt. Alle fünf Staffeln sind zum Beispiel bei Amazon Video, iTunes und Maxdome verfügbar. Gibt's auf DVD.

"Emergency Room - Die Notaufnahme": Läuft fast täglich auf Sixx. Alle 15 Staffeln gibt's bei Amazon Video, iTunes und Maxdome. Und auf DVD.

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