Klar habe ich mit 16 gerne Serie geschaut. Oder besser gesagt: hätte ich mit 16 gerne ganz viele Serie geschaut. Aber viele gab's ja nicht, damals. "Beverly Hills 90210" habe ich natürlich geguckt - und, ja, ich fand's toll. Ich liebte Brenda und Dylan - immer. Manchmal hasste ich Kelly, oft mochte ich sie aber auch gerne. Und natürlich habe ich sie allesamt bewundert - Brenda, Brandon, Dylan, Kelly, Donna, auch Andrea. Aber wenn ich mir heute überlege, welch eindimensionale Vorbilder da eigentlich gezeigt wurden, schaudert es mich ein bisschen. Damit meine ich: hier waren Geschlechterbilder zu sehen, die einengend und rollenkonform waren. Heterosexuelle Figuren, für die das Äußere und der Status eine enorme Rolle spielten, die prüde und konservativ waren.

Mich hat das damals nicht gestört, ich habe es nicht einmal gemerkt, so sehr war ich im Lieben und Leiden von Brenda, Kelly und Donna gefangen, so sehr habe ich den rebellischen und missverstandenen Dylan angehimmelt. Ob mich die Geschlechterdarstellungen und die vermittelten Werte beeinflusst haben, kann ich nicht sagen. Vermutlich hat es mich einfach nicht berührt, weil sich die amerikanische High-School-in-einem-wohlhabenden-Stadtteil-Welt noch weiter weg für mich anfühlte, als die 9000 Kilometer, die Beverly Hills tatsächlich entfernt war. Damals, mit 16 in dem 300-Seelen-Ort - 15 Kilometer entfernt von der nächsten Kleinstadt und 50 Kilometer entfernt von der nächsten Nicht-Kleinstadt und mittendrin in den Alles-an-meinem-Leben-ist-Scheiße-Pubertätsgefühlen - hätte ich vielfältigere Vorbilder gebrauchen können.

Umso mehr freue ich mich, dass die Serienlandschaft jetzt - 25 Jahre später - voll ist mit vielfältigen Vorbildern. "Sex Education", "Chilling Adventures Of Sabrina", "Everything Sucks", "One Day At A Time", "The End Of The F***ing World" - allein diese fünf sehr unterschiedlichen Serien bieten so viele spannende und wichtige Themen, dass ich mir wünschte, ich hätte die Serien schon mit 16 und nicht erst mit 40 gesehen.

"Sex Education" zum Beispiel geht so positiv, so offen und gleichzeitig so ehrlich mit dem Thema Sex um, dass ich mir vorstellen kann, dass es für viele Jugendliche und junge Erwachsene hilfreich ist. Hier werden Geschichten erzählt von Schülerinnen und Schülern, die Gefühlsprobleme und/oder Sexprobleme haben, die ihre eigene Sexualität noch finden oder gerade erst erkunden. Die Bandbreite ist groß, und eine der vielen Botschaften ist: Jede und jeder nach seinem oder ihrem eigenem Tempo und nach den eigenen Vorlieben. Und: Nicht jeder und jede ist das, was er oder sie vorzugeben scheint oder was über ihn oder sie erzählt wird.

Bei "Chilling Adventures Of Sabrina" freue ich mich über die ambivalente Hauptfigur Sabrina, die gegen das ankämpft, was ihr vorherbestimmt zu sein scheint. Und die es deswegen mit niemand Geringerem als dem Teufel aufnimmt. Sie will das System von innen verändern und muss dafür viele Kämpfe ausfechten und muss ertragen, dass sie sich unbeliebt macht. Damit tut Sabrina etwas, das dem widerspricht, was Frauen seit Jahrhunderten anerzogen wurde und von vielen immer noch erwartet wird: Dass man beliebt sein muss, es jedem recht machen muss, sich lächelnd unterordnen muss, egal, wie sehr es den eigenen Bedürfnissen widerspricht.

In "Everything Sucks!" und "One Day At A Time" stecken gefühlvoll erzählte, sehr unterschiedliche Coming-Out-Geschichten von lesbischen Mädchen. Während es bei Kate in "Everything Sucks!" eher darum geht, dass sie ihre Homosexualität langsam entdeckt und das Umfeld verständnisvoll reagiert, stößt Elena in der Sitcom "One Day At A Time" bei ihrem Vater auf großen Widerstand, der nicht akzeptieren will, dass seine Teenager-Tochter lesbisch ist. Das Ergebnis: Sie bricht den Kontakt zu ihm ab. In dem Zusammenhang unbedingt erwähnenswert: Elena verliebt sich in die nicht-binäre Figur Syd, und die Beziehung zwischen Syd und Elena wird zu einem wichtigen Handlungsstrang der Serie.  

Die Serie "The End Of The F***ing World" hat mit Alyssa eine besondere weibliche Hauptfigur und mit James eine ungewöhnliche männliche Hauptfigur. Beide sprengen alle Klischees. Die Schülerin Alyssa ist rebellisch und vorlaut, legt wenig Wert auf ihr Aussehen, ist eine Außenseiterin. Sie ergreift die Chance, die sich ihr bietet, um aus ihrem Leben auszubrechen - und haut von zu Hause ab, um sich mit James durchzuschlagen. James ist dünn und klein, wirkt zerbrechlich, redet fast nicht, hält sich für einen Psychopathen, hat psychische Probleme, was er sich aber nicht eingestehen will. Außerdem ist er nicht gut darin, Entscheidungen durchzuziehen - was Alyssa für ihn übernimmt.

Und damit komme ich wieder zu "Sex Education" zurück, denn auch hier geht es um männliche Rollenbilder, die den gängigen Vorstellungen widersprechen. Allen voran Otis, die Hauptfigur. Der Jugendliche lebt bei seiner Mutter, die Sex-Therapeutin ist. Er ist schmal, klein, blass, ein Außenseiter. Sein Freund: ist schwul. Otis schafft es nicht, zu masturbieren. Dennoch übernimmt er an seiner Schule selber die Rolle eines Sex-Therapeuten und nach einigen Anfangsschwierigkeiten gelingt es ihm tatsächlich, anderen Schülern und Schülerinnen hilfreiche Tipps bei ihren Gefühls- und Sexproblemen zu geben. Weil er empathisch ist, gut zuhören kann und weil er verstanden hat: Sowohl das Verhältnis von Frau zu Mann als auch das Verhältnis von Mann zu Mann hat sich grundlegend geändert.

Dass es diese Serien gibt, ist wunderbar. Und ja, mir ist klar, dass die Geschichten und die Figuren alle erdacht sind und die dargestellten Welten reine Fiktion. Dennoch: Ich hoffe sehr, dass Jugendliche und junge Erwachsene hier vielfältige Vorbilder finden, die ihnen ein bisschen Orientierung geben im schwierigen Prozess des Erwachsenwerdens, die ihnen dabei helfen, sich selbst besser zu verstehen und die eigenen Bedürfnisse zu erkennen und zu äußern.

"Sex Education", "Chilling Adventures Of Sabrina", "Everything Sucks!", "One Day At A Time" und "The End Of The F***ing World" sind bei Netflix verfügbar.