"Willst du immer weiter schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah. Lerne nur das Glück ergreifen, denn das Glück ist immer da", reimte einst Goethe in seinem Vierzeiler "Erinnerung", und wenn ich Sie kurz bitten dürfte, die Vorbereitungen für den sonntäglichen Adventsschmaus zu unterbrechen, bevor Sie den Liebsten gleich Geräuchertes vom Wild mit Birne und schwarzer Walnuss, Rehbäckchen an Rosenkohl mit Kartoffelplätzchen und Tannenhonigparfait mit Zwetschgenmus aus der SWR-Landfrauenküche auftischen, dann hätten wir kurz Zeit, die Begeisterung des deutschen Fernsehens fürs Bilderbuchleben auf dem Land zu reflektieren.

Mag ja sein, dass sich jeden Januar aufs Neue für zwei Wochen alles darum dreht, was irgendwelche Wannabe-Wallabys im australischen Dschungel anstellen. Viel intensiver allerdings zelebriert das Bewegtbildmedium unserer Herzen jedoch eine Heimatverbundenheit, die im Kontrast zum hektischen Stadtleben Übersichtlichkeit und Erdung verspricht.

Und die sich, noch dazu, statistisch belegen lässt: Eine "neue Landlust" haben die Autor:innen einer aktuellen Studie des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung bei den Deutschen ausgemacht und zahlreiche Dörfer auch jenseits der Speckgürtel großer Städte zu "Wanderungsgewinnern" erklärt – einzige Zuzugsvoraussetzung: ein gut gehütetes Geheimnis aus der Vergangenheit muss mitgebracht werden! (Wie wir seit kurzem aus dem Sat.1-Ratgeberformat "Die Landarztpraxis" wissen.)

Liebesglück oder Alltagszick?

Wer nicht direkt wegzieht, träumt sich erstmal hin – mit Hilfe des Fernsehens, dessen Ausstattungsromantik in vielen Produktionen allerdings gleich auf mehreren Ebenen spektakulär mit der Realität kollidiert.

Zum Beispiel im Kuppelklassiker "Bauer sucht Frau", von dem an diesem Dienstag das Finale der bereits 19. (!) Staffel läuft – und zwar: mit ungebrochenem Erfolg. Fast 17 Prozent der 14- bis 49-Jährigen hatten zuletzt eingeschaltet – "Jahresbestwert", diagnostizierte DWDL.de daraufhin. Und vielleicht liegt das auch daran, dass das Format seinen Zuschauer:innen keine überfordernde Modernisierung zumutet, sondern über weite Strecken immer noch so aussieht wie vor etlichen Jahren.

Erst Scheunenfest und Hofwochen, dann Liebesglück oder Alltagszick, am Anfang jeder Episode läuft Inka Bause anmoderierend für 30 Sekunden auf die Kamera zu und verspricht "Ganz viel liebe – jetzt hier bei RTL", und zum Schluss wird abgereist oder zusammengezogen.

Ein klitzekleines bisschen ist zwar auch "Bauer sucht Frau" mit der Zeit gegangen: zu den seit jeher eher rustikalen Protagonist:innen gesellen sich zunehmend jüngere sportlichere Typen; manche suchen gleichgeschlechtliche Partner:innen; und einige gehen, damit RTL nicht der Nachschub wegbricht, jenseits der Hofarbeit sehr viel unromantischeren Hauptberufen nach. (Wobei "Metzger, Feuerwehrmann oder Immobilienmakler suchen Frau" als Titel freilich zu sperrig klänge.)

Partnerinnen-Probefahrt mit Berufspraktikum

Nicht geändert hat sich in all den Jahren, dass das Gros der gewählten Kandidaten – in der Regel weiter vor allem Männer – die Romantikbörse vor allem als eine Art Partnerinnen-Probefahrt mit angeschlossenem Berufspraktikum verstehen: "Heit musste mol a bissje mithelfe", "die Marion soll schon sehen, was für Arbeiten auf dem Hof anfallen" bzw. "wichtig ist, dass sie mit anpackt". Damit sind die Hauptkriterien für die Partner:innenwahl seit jeher erschöpfend beschrieben.

Wobei es, wenn's wie in der aktuellen Staffel tatsächlich gefunkt hat, nur ein ganz kurzer Weg sein kann von "So, Elke, hier ham wir ne Schubkarre stehen" bis zu "Du bist mir wichtig geworden in meinem Leben, Hans".

Schnurstracks wandeln sich Fachgespräche über das, was man alles aus Kartoffeln machen kann, und wie der Borkenkäfer im Wald agiert, nach erledigter Arbeit in Freizeitbelohnungen von der Massage im Pool, übern Scheunentanz zur "Rock around the Clock" bis zu Grillbanane mit Schokolade und Sektchen im Strohballenherz. Und alle anderen stellen halt fest: "Bei mir geht das gerade eher in eine freundschaftliche Richtung" oder "Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich heute schon abreise".

An die Wäsche oder an die Gurgel

Das ist, zusammengefasst, offensichtlich wirklich alles, was das Publikum von diesem Format erwartet, wenn es weiter so zahlreich einschaltet, auch wenn das vom Sender versprochene Bauernhofparadies kaum weiter von der Realität entfernt sein könnte: Statt hübsch gedecktem Tisch im Kornfeld, Welpenstreicheln und Zottelrinderfüttern im Vorspann und auf Pressefotos gibt's eher Pferdemist und Hühnerdreck bei späterem Ausspannen vor Fliesentisch und Pressspanschrankwand auf Klicklaminat.

Aber immerhin hat sich Barkeeperin Valentina dazu entschlossen, ihrer Scheunenfesteroberung Daniel in Hotpants beim Ölwechsel für den Traktor zu assistieren!

Mit dieser biederen Harmlosigkeit hebt sich "Bauer sucht Frau" maximal ab von der gerade angelaufenen Krawall-Reality "Forsthaus Rampensau Germany", mit der Aufhol-Streamer Joyn gerade das übliche Genre-Personal für zwei Wochen in einen "Hüttenzauber der anderen Art" gesperrt hat, um auch mal ein bisschen Aufmerksamkeit abzukriegen.

In ein österreichisches Landhaus hineinversiegelt dürfen sich die Protagonist:innen zur Publikumsbelustigung gegenseitig an die Wäsche oder an die Gurgel gehen, bestenfalls natürlich sogar beides – bevor sich beim "Großen Absägen" dann ein Kandidat:innenpärchen nach dem anderen aussortiert, nachdem alle einander gesagt haben, was sie für ein falsches Spiel spielen oder ab wann sie als Single "mal wieder 'ne Wartung" brauchen.

Kein Sinn fürs Alpenutopia

Joyn feierte den Auftakt in der zurückliegenden Woche als erfolgreichsten Reality-Start seiner Geschichte (ohne konkreter zu werden), und abgesehen davon, dass man den Verantwortlichen durchaus Respekt dafür zollen kann, aus soviel gequirltem Nichts mehrere anderthalbstündige "Episoden" zu schneiden, ist das vom Format präsentierte Alpenutopia auf ähnliche Weise bloß Kulisse wie beim Kuschelkuppeln der Konkurrenz.

Die Insassen:innen, bei denen man als ehemaliges Komiker-Duo schon zur Edelprominenz zählt, sitzen zwar in einer einer hübschen 360-Grad-Holzvertäfelung mit Kachelofen, Eckbank und Karomustertischdecken zwischen sattgrünen Hängen; letztere werden aber nur bestiegen, wenn zu neuen Challenges auf die von grasenden Kühen eingerahmte "Spielwiese" mit Dosenwerfen übern Heuballen geladen wird.

Die restliche Zeit sind die Eindringlinge maximal abgeschirmt von den Einheimischen, die ihr SUVs sonst vermutlich mit Mistgabeln bewaffnen würden, um den Realityparasiten wieder loszuwerden.

Wann schlägt das Land zurück?

Statt handgemachtem Käse und frischem Quellwasser gibt es für alle Cola und Billigbier aus Discounter-Einwegplastikflschen nebst Tabaktüten mit riesigen Warnhinweisen. Den meisten geht das Traumland vor der Haustür ohnehin so weit am Arsch vorbei, dass man ihnen selbst den Gag erklären muss, was denn ein "Oberförster" ist, als den sich der täglich wechselnde Teamchef bezeichnen darf – sowas "wie ein Bauer im Wald"! Oder wie's "Rampensau"-Anwärter Matthias Mangiapane zwischendurch formuliert hat: "Man muss ja immer mit dem arbeiten, was man angeboten kriegt."

Das ist, in diesem Fall, erschreckend wenig – aber, hey, im Januar darf sich ProSieben mit dem Mist nochmal linear die Hände schmutzig machen, nachdem das für den Sender vorher schon zweimal mit der "Alm" so gut funktionierte.

Es ist im Laufe der Jahre zu einem beliebten Motiv filmischer und serieller Erzählungen geworden, die Natur auf mysteriöse Weise zurückschlagen zu lassen, um sich für Klimawandel und Umweltverschmutzung beim Menschen zu revanchieren – dabei lautet die viel drängender Frage: Wann schlägt endlich das Land zurück und rächt sich für all das, was ihm das Fernsehen so alles angetan hat?

Und damit: zurück nach Köln.

"Bauer sucht Frau" läuft am Montag und Dienstag ab 20.15 Uhr bei RTL, Joyn publiziert neue Folgen von "Forsthaus Rampensau" immer freitags.