Beim Pfennigpfeifer: Der Ausverkauf von "Anke Late Night"
Alice Schwarzer ist geübt in politischer Konfrontation. Die Über-Emma der Nation, die es regelmäßig und gewollt in frauenkämpferischer Verve übertreibt, fehlte nicht bei der Aufräum- und Abrechnungssendung von Anke Engelke. Den Bürostuhl, auf dem die verhinderte Latenight-Queen zu ihren Aufzeichnungen Platz genommen hatte, rief sie aus als „heiß wie der einer Parteichefin Angela Merkel“ und weckte damit den Intrigen-Verdacht: Ihre Frage nach dem Unterhaltungschef im Publikum blieb unbeantwortet. Weder Matthias Alberti noch der Roger Schawinski, den sie wohl gemeint hatte, hatten den Mut, zur Studio-Auktion zu kommen.
Dabei hätte alles zusammengepasst, denn Roger Schawinski hat sich in den letzten Monaten nicht nur als Laie der deutschen Fernsehlandschaft erwiesen, was viel schwerer wiegt: Er hat Ausverkauf gehalten auf einem Sendeplatz, mit einem Unterhaltungstalent. Anke Engelke, das wusste das Feuilleton, war überfordert mit einer Late-Night-Show. Geeignetere Personalvorschläge wie Roger Willemsen, Barbara Schöneberger oder Christian Ulmen konnten noch so fein und perspektivisch begründet sein – der einmalige Dekonstruktionsplan in der Sat.1-Chefetage umfasste nicht nur den Mythos Schmidt, der mit der gleichsam billigen wie unattraktiven Verramschung „legendärer“ Folgen aufwartete. Das Projekt Anke Late Night, da half alles Bitten nicht (Sendungsbewusstsein vom 06.05.), wurde mit Vehemenz gegen die Wand gefahren, und am Ende war Anke Engelke nichts anderes als Andrea Kiewel und „Kämpf um deine Frau“ oder der gute Nachrichtensprecher Thomas Kausch, der im Nirvana eines aufgeblähten virtuellen Nachrichtenstudios untergeht. Wie aus Kiewel und Kausch wurde aus einem großen Talent ein Crash Test Dummy.
Dabei hat es Schawinski viel Kraft gekostet, die meistbeachtete Sendung des Post-Schmidt-Unterhaltungsfernsehens so konsequent in eine Mission Impossible zu verwandeln. Zunächst war da die Personaldiskussion, aus der er mit der kühnen Entscheidung hervortrat, Engelke in eine Talkerin, eine Stand-Up-Comedian, eine Nachrichtenvermittlerin und –managerin zu verwandeln. Dass all diese Fähigkeiten notwendig sind, um das Publikum „ins Bett zu bringen“, muss wohl sogar er verstanden haben. Dass seine Übersicht nicht dazu ausreichte, eine Überforderung zu erkennen, erklärt sich wohl auch aus der Learning-By-Doing-Philosophie, mit der Roger Schawinski ins Fernsehgeschäft gekommen ist. Dass er den deutschen Fernsehmarkt damit penetriert, Testballons aufwendig mit heißer Luft zu füllen und lärmend platzen zu lassen, gehört zum Deal, den man mit dem Schweizer eingegangen ist. Vielleicht stehen zwischen TeleZüri und Sat.1 nicht nur ein Reichweiten-, sondern auch ein Qualitätstunterschied: In der Bereitschaft, den Collateral Damage der Selbstfindungsprojekte zu ertragen.
In ihrer letzten Late Night saß Engelke am Schreibtisch, vor ihr ein kleiner Holzhammer, um sie herum Plakate wie „Räumungsverkauf“ und „Alles muss raus“. Ungesendete Einspieler waren zu ersteigern, teures Mobiliar – zu einem guten Zweck. Alice Schwarzer und Barbara Schöneberger erschienen zur Beerdigungszeremonie ganz in schwarz – und folgten der unsäglichen Gender-Diskussion, die Anke Late Night von Anfang an begleitet hat, die ihr übergestülpt wurde, unter der eine autonome Entwicklung einer Unterhaltungssendung nicht mehr möglich war: Die Mär von der Frau ohne Humor, dem Mann, der nicht über Frauen lachen kann, der Frauensendung, dem kleinen Studio, den Bildungsreisen in Fußballstadien kreiste über den dreien, von den eine in vielen Fällen das Gegenteil beweist – Barbara Schöneberger.
Und eine weitere Frau, über die viele Männer oft und gerne lachen und die dafür gerade den Deutschen Fernsehpreis bekommen hat, Hella von Sinnen, bellte Anke ihre Überzeugung entgegen, der Late-Night-Crash-Test sei ein „voller Erfolg“ gewesen. Schön, wenn Frauen zusammenhalten, mag der geneigte Zuschauer denken, warum haben sie es nicht gleich getan. Warum funktioniert die Zielgruppenstrategie von der kaufkräftigen Sex and the City-Erfolgsfrau nicht? Warum turnen schmierige Moderatoren und reuige Ehemänner umsonst herum, auf der Suche nach dem letzten Kompliment, der letzten Anbiederung? „Who cares?“ ist einer seiner berühmten Aussprüche – „Chawi“ wird sich den Kopf nicht zermartern.
Es gibt noch genug Felder, auf denen man wirksam Talente verscheuern, Sendungen verramschen, Sendeplätze zumüllen kann. „Das Ego-Projekt - - Lebenslust bis 100“ lautet der Titel eines Buches von Roger Schawinski. Vielleicht sollte er mal wieder eines schreiben.