Elf Jahre, ein Monat und das Aus: VIVA nimmt Abschied
Vor zwei Wochen war es noch ein Scherz: Bei der fünfzigsten Sendung von „Sarah Kuttner – Die Show“ ratterte die wortgewaltige Gastgeberin Zahlen und Fakten zur Sendung herunter. Dann ein kleiner Seitenhieb, dessen Bedeutung jetzt, nur wenige Tage danach, deutlich wird: Kuttner scherzt: „Wieviel eine Sendung kostet? Nee, nein das sagen wir nicht. Aber da könnt ihr Catherine Mühlemann von MTV fragen, die rechnet gerade"
Frau Mühlemann hat in der Tat gerechnet - und für sie rechnet sich Kuttner offenbar nicht. Ab Januar fliegt Sarah Kuttner mit ihrer erfrischenden PrimeTime-Show ebenso aus dem Programm, wie alle anderen VIVA-Formate, die dem Sender sein Gesicht gaben.
„Interaktiv“, die große Nachmittagsshow der 90er Jahre? Sie fliegt. Die täglichen „VIVA News“? Sie fliegen. Anlässlich der fünfzigsten Kuttner-Sendung hatte VIVA die wortgewandte Moderatorin noch als „große Hoffnung des deutschen Fernsehens“ gefeiert. Frau Mühlemann sieht das offenbar anders.
Roche und Kuttner: Zwei Aushängeschilder abgesägt
Dabei geht es nicht nur Sendungen an den Kragen, die eine große Redaktion benötigen. Bereits am Sonntag rechnete Charlotte Roche in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ mit VIVA und MTV ab. Obwohl für ihre Show „Fast Forward“ neben ihr nur zwei Mitarbeiter tätig waren, wurde sie aus Kostengründen eingestellt.
Darüber hinaus habe man ihr oft erklärt, dass ihre Stunde „Fast Forward“ die Tagesdurchschnittsquote des Senders drücke, welche im Kampf zwischen MTV und VIVA die harte Währung war. Nach der Übernahme gab es in der neuen Senderfamilie aber offenbar keinen neuen Familiensinn.
Frau Mühlemann hat auch hier entschieden: Ein VIVA-Gesicht muss gehen. Erst Tage nach der Entscheidung und dem verheerenden Presse-Echo, wird man in Berlin ganz kleinlaut. Von neuen Sendungen für Roche und Kuttner, vielleicht Specials - höchstens wöchentlich - ist in MTV-Kreisen die Rede.
Eisiges Verhältnis zwischen Köln und Berlin
Schon beim Aus für „Fast Forward“ wollte ein VIVA-Sprecher in Köln nicht viel sagen: „Entscheidungen werden in Berlin getroffen“. Das schlechte Klima innerhalb der so perfekten Senderfamilie wird spätestens dann klar, wenn die Berliner fast schon sarkastischerweise beim Thema VIVA nach Köln verweisen. Dort allerdings, in der Schanzenstraße in Köln-Mülheim, wird es ab Januar recht einsam: Die Anzahl der Entlassungen ist noch nicht bekannt, aber sie dürfte beachtlich ausfallen.
Was Dieter Gorny vor elf Jahren als deutsche Alternative zum damals noch englischsprachigen MTV gestartet hatte, wird von Frau Mühlemann derzeit sehr effektiv zerschlagen. Ein Konzept in ihrem Handeln lässt sich nicht erkennen. Für den deutschen Fernsehmarkt kann man nur hoffen, sie besitzt eines. Derzeit jedenfalls lässt sich für keinen der vier Kanäle der Senderkette eine Perspektive erkennen, die Hand und Fuß hat.
Der Untergang der Marke VIVA
Die Marke VIVA, mit der Gründer Dieter Gorny in den 90er Jahren einen großen Anteil an der deutschen Musik-Kultur hatte, verkommt zum Aufkleber auf einem Abspielkanal für Musikclips und „Big Brother“-Wiederholungen, die künftig zur besten Musik-Sendezeit um 16 Uhr zu sehen sein werden. VIVA als Triebfeder der Musikmesse Popkomm, VIVA als Gastgeber des Medienpreises Comet, VIVA als Inbegriff für Jugendfernsehen, VIVA als Sprungbrett für Heike Makatsch, Stefan Raab und Oliver Pocher?
Für Frau Mühlemann ist dies keinen Cent wert. Sie soll die Erlöse der Sender optimieren. Da mag man keine Kuttners, keine Roches, die nur Kritiker-Lob aber keine Kohle bringen. Und so geht es ab Januar nicht nur VIVA an den Kragen, auch MTV verliert einige Sendungen, für die es bekannt wurde: „MTV Spin“ mit Markus Kavka und „Select MTV“ tauchen im Programm für 2005 nicht mehr auf.
Von Nilpferden und Fröschen oder: Was Mühlemann wichtig ist
„Vorläufig“ seien diese Programmpläne, die in diesen Tagen die Werbetreibenden erreichen. Damit allerdings verkauft man seine Zuschauer für dumm: Man wird kaum diejenigen mit falschen Plänen informieren, die mit den Buchungen von tausendfachen Werbespots wichtiger sind als der Geschmack der Zuschauer.
MTV, der Sender, der sich immerhin „Music Television“ nennt, wird dann also 2005 zwischen 13:30 Uhr und 23 Uhr nicht viel mehr Musik im Programm haben als ein paar Klingeltöne in der Werbung. Stattdessen laufen englischsprachige Trashformate. Man könnte denken Frau Mühlemann würde, wenn sie könnte, ihr Programm gleich ganz von einem debilen Nilpferd und einem bekloppten Frosch moderieren lassen. Vielleicht sagt dies am Meisten aus, über den neuen Kurs einer Senderfamilie, in der so gar nichts familiär ist.