Markus Koch über Mentalitäten, Märkte und Medien

Wir sitzen in der New York Stock Exchange, seit dem 11. September ein noch besser bewachter Ort als je zuvor – das ist beim Betreten des Gebäudes klar geworden. Haben sie das auch in der täglichen Arbeit zu spüren bekommen?

Die Sicherheitskontrollen sind schärfer geworden, aber es ist nicht so, dass es nicht vorher auch schon welche gegeben hätte. Metalldetektoren gab es auch schon vor dem 11. September, neu ist die weiträumige Absperrung vor der Börse und die gründliche Untersuchung der Taschen durch einen Sicherheitsbeamten vorab, bevor man überhaupt ins Gebäude und zum bisherigen Securitycheck kommt. Dramatisch geändert hat sich in meiner Wahrnehmung allerdings nichts.

Also stört es nicht, wenn sie mehrfach täglich von ihrem Büro auf der anderen Straßenseite in die Börse müssen? Wie oft geht es überhaupt hin und her zwischen Büro und Parkett an einem normalen Arbeitstag?

Drei- bis viermal am Tag. Meine Informationen kriege ich weniger von den Händlern als von den Analysten und auf dem Parkett darf ich nicht telefonieren, von daher geht es immer wieder rüber ins Büro. Für Besucher der Börse hat sich übrigens natürlich etwas geändert insofern, dass es keine Besucher mehr gibt, da die Besuchergalerie seit dem 11. September geschlossen ist.

Wie sieht der Arbeitstag des Markus Koch aus – abgesehen vom Pendeln zwischen Büro und Börse?

Wir beginnen mit der Arbeit morgens um 07 Uhr mit den vorbörslichen Nachrichten und gerade in den letzten Tagen kamen durch die Ertragssaison relative viele Meldungen. Es gibt ein paar Research-Häuser die ich bevorzuge, mit denen ich dann vormittags telefoniere. Um 10 Uhr geht es dann los mit der Aufzeichnung der Internet-News für das Nachrichtenportal von Ish, dem NRW-Kabelprovider.

Dann geht’s weiter mit Berichterstattung für „Klassikradio“ und der Vorbereitung auf die erste n-tv-Schaltung um viertel nach eins New Yorker Zeit, dann die nächste Schaltung um viertel nach drei und die letzte um viertel nach fünf, so dass der Nachmittag komplett für n-tv reserviert ist. Wenn nach der letzten Schaltung noch etwas Großes reinkommt, machen wir noch die ein oder andere Internetmeldung und dann ist Feierabend.

Foto: Markus KochSie sind im neunten Jahr der n-tv-Berichterstattung. Wie lange läuft ihr Vertrag?

Ich habe meinen Vertrag gerade zum zwei Jahre verlängert. Mein alter Vertrag lief Ende August letzten Jahres aus, danach habe ich mir zwei Monate Auszeit genommen und mich meinem Hobby der Jazz-Musik gewidmet. Seit Ende Ende Oktober bin ich jetzt wieder bei n-tv vertreten bis Ende 2006.

Man kann sich schwer vorstellen, dass jemand der Nachrichten verschlingt und immer informiert ist, zwei Monate völlig abschalten kann…

Ich mach den Job für n-tv jetzt seit 1996 und bin an der New Yorker Börse seit 1992 und beschäftigte mit Aktien seit ich sechzehn bin. Da kommt eine gewisse Routine rein und das ist ähnlich wie bei Ihnen sicher auch. Wenn Sie eine Woche nicht da sind, kommen sie auch recht schnell wieder auf den Stand der Dinge.

Natürlich steige ich dann nicht sofort von einen auf den anderen Tag wieder voll ein, es dauert schon zwei drei Tage bis man nach zwei Monaten Auszeit wieder in den Arbeitsfluss reinkommt, aber es war ganz angenehm, mal etwas anderes zu machen. Zumal ich gegangen bin als der Dow bei 10.200 stand und er dort ebenfalls stand als ich wiederkam. So viel ist in der Zwischenzeit dann wohl nicht passiert (lacht).

Ihre eigene Firma, die Wallstreet Correspondents, hat eine sehr kurzweilige bewegte Geschichte…

Ja, da haben wir turbulente Zeiten hinter uns, aus gleich mehreren Gründen. Nicht nur wegen den Aktienkursen, auch weil unser Büro direkt gegenüber des World Trade Center war und wir salopp gesagt aus dem Büro herausgebombt wurden. Einen Monat danach sind wir dann zu dem Ergebnis gekommen, dass es zwar nett ist, ein Büro zu haben, aber wenn man es nicht nutzen kann, brauchen wir auch keine Miete zu zahlen – aber nicht unter US-Gesetz.

Wir wurden kurz nach den Anschlägen vom 11. September vom Vermieter auf Vertragsbruch verklagt. Wir haben uns dann im August letzten Jahres außergerichtlich geeignet, auch weil es vor US-Gerichten wahrlich kein Spaß ist, große Konzerne oder Organisationen gegen sich zu haben.

Foto: DWDLSeit 2000 war die Verlagsgruppe Handelsblatt mit 25 Prozent an ihrer Firma beteiligt, die mittlerweile aber wieder vollständig Ihnen gehören. Bestand kein Interesse mehr?

Nein, es entstand ein Interessenskonflikt. Die Verlagsgruppe Handelsblatt war an den Wallstreet Correspondents beteiligt, doch durch die Bertelsmann bzw. RTL-Übernahme von n-tv entstand das Problem, dass mein Gesicht im weiteren Sinne bei Bertelsmann auftauchte, während meine Firma anteilig der Verlagsgruppe Handelsblatt gehörte. Das biss sich natürlich. Die Frage war dann, was wird aus dem Handelsblatt-Anteil. Und da war ich letztendlich sehr froh, dass ich inzwischen den Anteil der Düsseldorfer wieder zurückkaufen konnte, natürlich wesentlich billiger als sie ihn 2000 auf der Spitze des Börsenbooms gekauft haben (schmunzelt).

Viele Börsenmagazine in Deutschland haben den Absturz der Kurse und das sinkende Interesse des Privatanlegers nicht verkraftet. Schade, dass das Thema Börse nicht mehr so populär ist oder hilft es bei der Arbeit, wenn die Medieneuphorie außen vor bleibt?

Was wir damals erlebt haben, war einfach nicht normal und das Umfeld, in dem wir uns jetzt bewegen ist deutlich normaler. Uns erwarten auf mittelfristige Sicht auch eher Kursabschläge als ein neuer Bullenmarkt. Wir haben das entsprechend auch in der Firma umgesetzt. Wir haben uns am Anfang an das Konzept gehalten, dass wir nicht mit freien Journalisten sondern nur mit festen Mitarbeitern arbeiten und schnell expandieren.

Das haben wir auch getan – immer profitabel wohlgemerkt und haben dann rechtzeitig 2000 25 Prozent ans Handelsblatt verkauft, kurz bevor es dann an den Börsen jahrelang bis heute bergab ging. Durchaus also nicht dumm von uns. Ich habe in diesen Zeiten danach relativ gelassen reagiert, denn das ist Börse.

Die Börse geht nun einmal rauf und runter. Wir haben dann reagiert, Leute entlassen und den Anteil vom Handelsblatt wieder zurückgekauft. Die Firma gehört jetzt wieder zu einhundert Prozent mir. Wir arbeiten jetzt mehr mit freien Journalisten und sind immer noch profitabel. Das zählt und ist am Ende dieses Wahnsinns erstaunlich.

Foto: Markus KochGerade wegen den turbulenten und wenig gewinnbringenden Jahren ist die Börse für Privatleute derzeit verbrannte Erde. Sehen sie Licht am Ende des Tunnels – den Zeitpunkt an dem die Börse wieder salonfähig für Privatleute wird?

Für Deutschland ist das schwer zu sagen, Deutschland hat eine sehr andere, viel trägere Einstellung zum Thema Börse als die Amerikaner, was schlichtweg daraus resultieren mag, dass das Thema Aktien in Deutschland eigentlich auch erst in den 90er Jahren groß geworden ist und das ausgerechnet bei einem Börsenboom. Ich kann mich an Zeiten erinnern, da stand ich auf Bühnen und habe Vorträge gehalten. Die Leute haben euphorisch gejubelt und geschrien, dabei hatte ich gerade erst die Bühne betreten. Da musste man sich teilweise schon an den Kopf fassen.

Ich habe ein bisschen das Gefühl, dass es in Deutschland, nicht nur, aber besonders beim Thema Börse, nur eine kleine Mitte gibt und sehr viel nach links und rechts abdriftet. Die linke Seite sagt „Reich mit Aktien ist sozial ungerecht“, genauso wie ich zu Talkshows eingeladen werde mit Themen wie „Arm durch Aktien, wer ist daran schuld, dass die Leute ihr Geld verloren haben?“. Ich denke die Lösung liegt in der Mitte.

Da muss man relaxt genug sein, um den Leuten sagen zu können, dass sich in der nächsten Zeit im Schnitt weder in die eine noch andere Richtung viel bewegen wird. Das macht die Börse natürlich nicht sehr attraktiv und macht es den Privatanlegern und auch den Anlageberatern natürlich noch schwerer, als wenn man leicht empfehlen oder pauschal warnen kann.

Sie haben von den Talkshows und Vorträgen gesprochen, zu denen sie auch immer wieder nach Deutschland reisen. Wie oft sind sie eigentlich in Europa?

Es gibt sehr wenige Daten. Meinetwegen die Finanzmesse Invest in Stuttgart oder die Gewinnmesse in Wien, aber ansonsten ist das sehr flexibel. Die Hauptzeit ist sicher Frühling und Herbst und dann bin ich vielleicht einmal im Monat ein paar Tage in Deutschland.

Foto: DWDLJetzt ist es sicher nicht das Wichtigste, in Deutschland dann den Fernseher einzuschalten. Und doch: Sie waren einmal zu Gast bei Harald Schmidt. Dieser ist nach einem Jahr Pause jetzt wieder auf Sendung. Verfolgen sie so etwas überhaupt?

Ich habe zufällig erst gestern bei Ihnen auf der Website erfahren, dass Harald Schmidt jetzt wieder auf Sendung ist - das sagt doch schon alles. Was da im deutschen Fernsehen vor sich geht, das interessiert einen hier relativ wenig.

Dennoch können sie den Vergleich ziehen: Worin unterschieden sich deutsche und amerikanische Medien, zum Beispiel in Bezug auf den Bereich der Börsen- und Finanzberichterstattung?

Was das Thema Finanzjournalismus angeht, glaube ich ganz persönlich, dass der größte Unterschied darin liegt, dass Amerika schon immer oder zumindest in den letzten hundert Jahren den Job des Finanzjournalisten wirklich hatte, während es in Deutschland den Job des Börsen- oder Finanzjournalisten gar nicht oder kaum gab. Das ist in Deutschland tatsächlich erst in den 90er Jahren entstanden.

Dementsprechend ist der Umgang zum Beispiel mit einem unspektakulären Seitwärtsmarkt in den US-Medien wesentlich professioneller. Auch fehlt den Amerikanern diese Emotionalität der Deutschen à la „Um Gotteswillen liebe Zuschauer, sie haben ihr Geld verloren“. Gewinnwarnungen werden zur Kenntnis genommen und nüchtern analysiert.

Kann der Unterschied allein darin liegen, dass das „Handwerk“ des Finanzjournalisten in Deutschland keine so große Tradition hat?

Sie haben in Deutschland natürlich auch eine ganz komische Mentalität der Investoren, die auch sehr emotional ist. Sie haben auf der einen Seite die Zocker, ich mein, es gibt keinen anderen Markt auf der Welt wo Privatinvestoren so aktiv sind mit irgendwelchen Finanzprodukten wie den deutschen. Und auf der anderen Seite haben Sie die Leute, die die Börse verteufeln und abschalten. Die rationale Mitte die eine völlig nüchterne Berichterstattung will, ist sehr dünn.

Foto: Markus KochGerade im US-Wahlkampf hat man aber wieder gemerkt dass der traditionelle seriöse Journalismus wie ihn u.a. die „New York Times“ bietet, in den USA offenbar nicht so gerne gelesen wird, wie spektakuläre Nachrichten im TV à la FOX News die Amerikaner fesseln können. Wird hier zu wenig Zeitung gelesen?

Nein, aber die falschen (lacht). Es kommt darauf an, wo man sich befindet. Wir sind jetzt hier zum Beispiel gerade in dem Gebäude, wo sich mehr Millionäre aufhalten als irgendwo anders auf der Welt. Sie können also davon ausgehen, wenn sie hier eine demokratische Flagge auf dem Parkett hissen, dass sie nicht lange dort rumlaufen werden (lacht).

Um zur Frage zurückzukommen: Schauen Sie sich anhand von Reichweiten und Leserzahlen an, welches hier die beliebtesten Medien sind. Sie haben erschreckenderweise FOX News mit mittlerweile mehr Quote als CNN und wir dürfen uns wohl darauf freuen, dass bald auch noch ein neuer FOX-Finanzsender kommt.

Bei den Printtiteln haben Sie hier in Manhatten die „New York Post“ und da kann ich nur ein Beispiel nennen: Als Frankreich im Vorfeld des Irakkrieg gesagt hat, sie schicken keine Truppen dorthin, hat die „New York Post“ mit amerikanischen Gräbern in Frankreich aufgemacht und getitelt „Wir haben Euch damals geholfen, wieso helft ihr uns heute nicht?“ Da kriegt man schon Gänsehaut. Ansonsten kommt es einfach darauf an, wo man sich befindet. Im Mittleren Westen zum Beispiel: Die Lokalredakteure dort, die schauen nicht über ihren Teller hinaus.

Vom Mittleren Westen zurück nach New York: Mit welchen deutschsprachigen Kollegen haben Sie hier eigentlich zu tun?

Man läuft sich natürlich bei den ganzen Veranstaltungen über den Weg, aber ansonsten dreht jeder sein Ding.

Anders gefragt: Welche deutschen Medien sind aus ihrer Sicht gut vertreten in New York?

Sie haben den Springer Auslandsdienst, RTL ist relativ gut vertreten und die ARD hat ein riesiges Studio - ich war bei der Eröffnung dabei. Das ZDF ist auch noch ganz gut vertreten und andere auch. Neulich hab ich den Korrespondenten der Börsenzeitung getroffen…also im Prinzip sind alle namhaften hier vertreten, klar.

Foto: DWDLWürde die Geschichte des jungen Mannes der nach New York zog, um von dort das deutsche Börsengesicht der Wall Street zu werden, heute noch einmal funktionieren?

Es gibt immer wieder mal Anfragen von Leuten, die z.B. Portraits über mich lesen und dann à la „Du hast es an die Wall Street geschafft, wie komm ich auch dahin“ wissen wollen, wie sie es auch schaffen können nach New York zu kommen um von hier für deutsche Medien zu arbeiten. Ganz ehrlich gesagt ist die Chance von hier für einen deutschen Fernseh- oder Radiosender oder eine Zeitung zu berichten, zur Zeit verschwindend gering. Von da aus hat sich das Umfeld hier schon verändert.

Stört das Image des „Deutschen in New York der uns die Wall Street erklärt“ eigentlich auch mal?

Überhaupt nicht. Lieber so, als andersrum. Trotz der Korrektur und den Kursabschlägen an den Börsenmärkten habe ich auch Gott sei Dank höchstens ein oder zwei Berichte gelesen, die den Tenor „Koch, das Kind des neuen Marktes“ verbreiten oder so dumme Überschriften wie „Ist er daran schuld, dass die Leute ihr Geld verloren haben?“ haben. Insgesamt bin ich als Person durch die letzten schweren Börsenjahre sehr gut durchgekommen.

Dann zum Abschluss die legendäre DWDL-Frage: Wie übersetzen sie frei und gerne auch sinnfrei unser Kürzel?

Die Weisen des Landes?

Wunderbar. Dann herzlichen Dank für das Gespräch und noch einen erfolgreichen Tag an der Wall Street.

Gern geschehen und Ihnen einen guten Aufenthalt in Manhattan.