Aufklärung ausgeschlossen
Dem altehrwürdigen Satireblatt Titanic nach zu urteilen war Joschka Fischer in einer schwierigen Situation und musste angefeuert werden. "Halt durch, Arschloch (mit Verlaub)" titelt die FrankfurterZeitschrift im April und spielt an auf die ersten Kostproben eines großen Rhetorikers im Hessischen Landtag. Es geht um einen Politiker, der das freie gesprochene Wort als einer der letzten im Kreise der Abgeordneten kultiviert, um ein Großmaul, einem der wenigen in Berlin, die wohl nie wirklich einen PR-Berater brauchen werden. Jahrelang hat der Außenminister die Politiker-Charts angeführt, Krisen wie den Kosovo-Einsatz, Entscheidungen von Erdbebenpotential für seine Partei umgedreht und Joschka-Auftritte daraus gemacht, mit den Fingern auf unzählige Wahlkampfpulte getrommelt und nicht zuletzt Rot-Grün in eine zweite Legislaturperiode gerettet. Joschka - der letzte politische Star, mit allen Knicken und Kratzern im Lebenslauf, wegen ihnen.
Wenn ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss jemals ad absurdum geführt wurde, dann der zur Untersuchung der Visa-"Affäre". Es mag sein, dass ein Ausschussvorsitzender die Qualität eines Wadenbeißers haben sollte: Der CSU-Mann Hans-Peter Uhl aber machte deutlich, wie schnell ein solcher zum Dackel werden kann. Wo eine "juristische Subkultur" (Fischer) gepflegt werden sollte, um einen Außenminister mithilfe der live übertragenden angeschlossenen Fernsehstationen zu demontieren, geschah nichts anderes, als die Selbstdemontage eines Parlamentsinstruments.
Ein "einwanderungspolitischer Triebtäter" soll der damalige Staatssekretär Vollmer gewesen sein, ein "Mittäter der Schleuser." Und der Außenminister: Schon vor der Vernehmung hätte er dutzendfach zurücktreten müssen, ginge es nach den Scharfschützen aus München und hätten politische Kommentatoren in Privatsendern irgendeinen politischen Einfluss. Vor "Joschka-TV" bemühten sich die Protagonisten der zweiten Reihe, die Sendung zu untertiteln: Mit Politikern als Schleusern, grüner Ideologie, kaltem Putsch. Nicht zuletzt Harald Schmidt hebelte in seiner Donnerstagssendung den Popanz einer ausgehungerten politischen C-Prominenz aus, in dem er den CDU-Obmann Eckart von Klaeden identifizierte als den, "den man damals in der Schule gern mit dem Gesicht in den Dreck gestoßen hätte."
Phoenix, n-tv und N24 waren also heute die Begleiter eines Spektakels, das nur vordergründig zur Aufklärung einer skandal-grenzwertigen politischen Problematik diente. Hinter den Kulissen dürfte unbestritten sein, dass eine Reihe schwachbrüstiger Nachwuchspolitiker versucht haben, einen politischen Giganten zu stürzen. Das ZDF-Politbarometer hat zumindest angezeigt, dass Joschka Fischer geschwächt war, zwischenzeitig im Ranking zum Nachbarn von Angela Merkel geworden ist. Aber alle Bemühungen, diese Veranstaltung zum folgenreichen Gang nach Canossa zu machen, scheitern an einem Satz: "Wenn Sie einen Rücktritt wollen, stellen Sie einen Antrag im Bundestag." Da gebe ich dem "Arschloch" recht - dazu brauchen wir keine neuen Nachmittagstalkshows.