Schritte weg von Schmidt: Ein Versuch
Harald Schmidt ist angekommen. Wer wie ich jeden Mittwoch und Donnerstag abend darauf verwendet, den ehemaligen Entertainer beim genüßlichen Abfrühstücken seiner Kulturlandschaft zu beobachten, wird mit einer unermesslichen Schlagkraft an die Schweigemauer geredet: Nein, wir zweifeln nicht mehr an seiner Position, nicht mehr an seiner Perspektive, Harald Schmidt ist oben, ein Zitatgeber geworden. Nicht mehr für die "besten Sprüche" in Bild, sondern für die großen Debatten, er ist vom Privatfernseh-Häretiker mit den Polen-Witzen zum Minnesänger des Feuilletons geworden, präsentiert Essentielles, nein, wir fragen nicht mehr nach: Deutschland hat seinen Chefredakteur gefunden, und in jeder Glosse winkt Bildungsfernsehen.
Als er mit Bart und ohne die profilneurotische Gala-Gestalt Helmut Zerlett, dafür mit mehr Redezeit, der Vorgabe, weniger zu spielen, seinem Begleiter, Wanderfreund Andrack im ARD-Programm andockte, wirkte es kurz wie ein Zusammenprall, eine surrealistische Momentaufnahme: Der Prophet stieg vom Berg, die "Weltreise" war beendet, und jetzt sei das Wort erhoben, denn viel zu lange schon brodelte es, schrieben sich die ihm nachfolgenden Verwettungskettenglieder öffentlicher Diskussionsräume die Finger wund. Für seine Premiere wählte er die große Geste, und dass das nicht durchzuhalten war, erkannte wohl nicht zuletzt seine Verwandtschaft, die ihn den Bart abrasieren ließ. Zwar erschien er in der Aufmachung dieser ersten Sendung folgerichtig sehr gealtert, gereift, aber er gehört nicht mehr dazu - es war zu viel.
Die Erwartungen in der ARD dürfte Schmidt längst erfüllt, übertroffen haben. Die Quote: Völlig nebensächlich, aber überraschend, sehr gut. Das Studioublikum: Verhaltener als zu Zeiten des Kölsch-Weitschubsens, aber wach und erlebnishungrig. Die Republik: Jetzt, vomInstitutionalisierten des Ersten aus gesehen, noch überschaubarer, ihre Ansicht jetzt von weit oben, neben den mächtigen Tagesthemen, ein Blick, den Schmidt zu schätzen weiß: Er kann jetzt tiefenscharfe Aufnahmen machen, ein Luftbild der Republik. Und von oben lässt sich bequem einsortieren, ausgliedern: Hier bin ich, hier ist das Schillerjahr und Beckett, hier hat jeder Blick auf den Matsch, in dem ich angefangen habe, etwas erleichterndes: Ich stecke ja nicht mehr drin. Ich bin ja nicht mehr Unterschichtenfernsehen.
Da braucht man sich nichts vorzumachen: Es ist eine grundlegend arrogante Haltung, ein Übermaß an Elite. Es gibt keine Harald-Schmidt-Show mehr, es gibt nur noch Harald Schmidt. Die klassische Late Night ist weit weg, Standup darf der Quatsch Comedy Club versuchen, Gäste bitte bei den Sportmoderatoren Beckmann und Kerner ansehen oder bei dem neuen Gegenpart Maischberger, wer bleibt, ist Andrack "du sollst wandern", der in seiner Rolle gewachsen ist, aber immer auf Augenhöhe der Zuschauer bleiben muss, denn die Dynamik der Dialoge berechnet sich aus der Differenz der Blickwinkel, aus denen Schmidt und Andrack argumentieren und erzählen.
Die Show ist vorbei, es lebe Harald Schmidt. Der, der sich nach eigenen Angaben zu einem Großteil von seiner täglichen, ausgiebigen Presseschau ernährt, müsste Blei in den Schuhen haben, um nicht langsam abzuheben, wegzutrudeln, aber auch das stünde nicht im Kontrast zu seinen zwei halben Stunden Audienz pro Woche, vielleicht hat es ja schon angefangen. Im Herrschaftlichen seiner Definition des Unterschichtenfernsehens liegt die Ironie, denn noch vor ein paar Monaten, weiß er und müsste auch ProSieben-Sat.1 wissen, wäre ihm der Begriff nicht in den Sinn gekommen, sein neuer Sendeplatz hat nicht nur die VIVA-Gesichter orkanartig aus seinem Programm geschleudert, sondern auch seine Selbstdefinition sehr rasant verrückt. Er weiß, dass sie ihm folgen, die kleinen und großen Tageszeitungen, die Magazine, jede Öffentlichkeit abseits seiner selbstentworfenen Nicht-Zielgruppe Unterschicht, und die interessiert ihn nicht mehr. Während ProSieben-Sat.1-Vorstand Christmann anfängt zu weinen und flehend eine Studie hervorzieht, die die Unterschicht gerecht verteilt auf das duale System, hat sich der Begriff "Unterschichtenfernsehen" längst zu einer festen Größe in der Instant-Soziologie der schmidthörigen Intelligentia entwickelt. Der Begriff ist unsinnig, arrogant, kurzsichtig - aber von seinem Schmidts Sendeplatz aus legt er sich wie ein dicker, schwarzer Balken auf ehemals für ihn essentielle Formen von Fernsehunterhaltung: Talk, Musik, Serie, amerikanische Import-Formate, Schwerpunkte des Privatfernsehens, die nicht mehr seine Schwerpunkte sind.
Im Schiller-Jahr wird Harald Schmidt endgültig zur Richtschnur öffentlicher Meinung: "Ich fühle eine Armee in meiner Faust." Er verdient viel zu viel, wird wohl einen Prozess gegen einen ehemaligen Mitgesellschafter verlieren, er ist der letzte und erste, der seine Sermone so präsentieren darf, dass die Journaille mitschreiben kann. Diese Kolume gehört dazu: Sie wird nicht hinauskommen über die Rezeption. Die Folge einer Reizüberflutung. Zuviel Schmidt. Es tut mir weh, es zu sagen: Wir nehmen ihn zu wichtig.