Zunächst will ich gestehen, dass mein Interesse an der Formel 1 in den vergangenen Jahren stetig abgeebbt ist. Ich war zu den großen Zeiten des Michael Schumacher mit dabei, bin damals sogar extra aufgestanden, wenn ein Rennen mal wieder in den frühen Morgenstunden stattgefunden hat. Mit dem (ersten) Ausstieg Schumachers aus der Formel 1, begann auch ich mich von der Rennserie zu entfernen. Es waren die klassischen Ermüdungserscheinungen - Sie kennen das. Zuletzt habe ich nur noch hin und wieder ein Rennen gesehen. Bei der letzten Übertragung von RTL war ich mit dabei und das Rennen mit dem schlimmen Unfall von Romain Grosjean habe ich auch verfolgt - hier leistete das Team der Kölner übrigens einen fantastischen Job. Aber ein richtiger Fan der Formel 1 war ich nicht mehr.
"Drive to Survive" hat meine Liebe zur Formel 1 wieder neu entfacht, aber auf ganz andere Art und Weise. Mich interessiert nicht so sehr, wer gewinnt und wo meine Lieblingsfahrer, wenn ich sie denn hätte, landen. Ich will sehen, welche Geschichten es fernab der allzu offensichtlichen rund um die Königsklasse des Motorsports gibt - und Netflix erzählt in der Doku-Reihe so einige davon.
Nah dran, aber trotzdem keine billige Werbung
In der ersten Staffel etwa konzentrierten sich die Macher ausschließlich auf Fahrer und Teams aus dem Mittelfeld, weil Ferrari und Mercedes ihnen damals keine Drehgenehmigung erteilten. Und um zu wissen, dass Lewis Hamilton der Dominator der Formel 1 ist, brauche ich die Doku ohnehin nicht. Schätzen und lieben gelernt habe ich im Zuge der ersten beiden Staffeln aber Günther Steiner, den Teamchef von Haas, dessen Wutausbrüche in holprigem Englisch schon heute legendär sind. Und ich weiß jetzt auch, welche Fahrer mit wem können - und mit wem nicht. Auch das ständige Auf und Ab der Fahrer ist etwas, das mich fesselt.
"Drive to Survive" sieht nicht nur toll aus, sondern liefert einen tiefen Einblick in die Welt der Formel 1, ohne sich anzubiedern. Es wird nicht so getan, als wäre der Rennzirkus eine große Familie, in der sich alle lieb haben. Und so kann man erleben, wie sich Christian Horner von Red Bull und Cyril Abiteboul von Renault im Streit um Motoren und Fahrer immer weiter hochschaukeln und sich einen Schlagabtausch liefern. Man erfährt die seltsame Geschichte des Force-India-Eigentümers, der das Team 2018 in die Insolvenz schickte. Später entstand durch den Unternehmer Lawrence Stroll daraus Racing Point. Aber Stroll bestand darauf, dass dann auch sein Sohn ein Cockpit haben müsse, was unter den bestehenden Fahrern zu Verunsicherungen führte.
F1-Fahrer sind eben keine Fußballer
Die Kameras von Netflix sind mit dabei, wenn sich Fahrer wie Daniel Ricciardo bei ihren neuen Teams vorstellen oder auch wenn Red-Bull-Teamchef Christian Horner gerade frühstückt. Und wie selbstverständlich läuft dann auch Geri Halliwell durchs Bild, Horners Ehefrau. Vermutlich geht das auch, weil die Protagonisten der Formel 1 anders ticken als Fußballer und ihre Manager. Während heute schon angehende Fußballer von PR-Profis beraten werden und dadurch irgendwann vor allem viel erzählen können, ohne wirklich etwas zu sagen, ist das in der Formel 1 anders. Da fällt auch mal ein unbedarfter Spruch, die Fahrer erscheinen lockerer.
In der kommenden Staffel dürfte es nicht langweiliger werden als in den bisherigen Folgen. So hat Corona die Saison 2020 mächtig durcheinandergewirbelt, der als Familienbetrieb geführte Traditionsrennstall Williams wurde verkauft und über den Feuerunfall von Romain Grosjean weiß man heute sogar Bescheid, ohne die Formel 1 regelmäßig zu verfolgen. Dass der Unfall Thema in der neuen Staffel ist, wird bei einem Blick in den neuesten Trailer deutlich. "I’m the man that walked out of fire", kommentiert Grosjean seinen Unfall darin trocken. Dass die Macher aber durchaus mit Pietät ernste Themen aufgreifen können, haben sie in der Vergangenheit bewiesen. Etwa als es um den Unfalltod von Formel-2-Fahrer Anthoine Hubert ging. Dieser starb 2019 bei einem Crash in Spa im Vorfeld eines Formel-1-Rennens. Auch der Tod von Jules Bianchi im Jahr 2015 wurde schon im Rahmen der Doku-Reihe aufgegriffen.
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Mit wirklich harter Kritik an der Rennserie spart "Drive to Survive", was ein wenig schade ist, denn so macht man sich angreifbar. Es kommen zwar Journalisten zu Wort, da geht es aber meist nur um das Sportliche, nicht das Grundsätzliche. Umweltthemen etwa sind nichts, was im Rahmen der Doku besprochen wird. Auch die Frage, wieso Ferrari und Mercedes in Staffel eins nicht mitmachen wollten, wird nicht gestellt (Spoiler: Ab Staffel zwei sind sie dabei). Die Crux: Die Produktionsfirma Box to Box Films setzt "Drive to Survive" im Auftrag von Liberty Media, und damit dem Eigentümer der Formel 1, um.
Insofern kann man ein flaues Gefühl haben und ein paar kritische Fragen könnten die Macher gerne stellen. Aber in Summe macht "Drive to Survive" eben nicht den Eindruck, das hier ein PR-Produkt entstanden ist. Das unterscheidet die Netflix-Reihe fundamental von anderen Sportdokus, bei denen es manchmal so scheint, als hätten viele Menschen aus Vereinen oder anderen Institutionen, um die es eigentlich gehen sollte, bei der Umsetzung mitgeredet. Dort ist der Kern von so viel PR und Eigeninteressen überlagert worden, dass es selbst Fans schwer fällt, die Produktionen zu schauen. Das machen die Produzenten von "Drive to Survive" besser.
Am Ende muss man auch kein Formel-1-Fan sein, um "Drive to Survive" zu gucken. Sicherlich: Wer Motorsport, aus welchen Gründen auch immer, strikt ablehnt, wird wahrscheinlich auch mit der Doku keine Freude haben. Aber wer Geschichten mag, wird die Netflix-Produktion lieben. Am Ende einer jeden Folge habe ich das Gefühl, Fahrer und Manager der Formel 1 ein bisschen besser zu kennen. Manchmal denke ich sogar, ich sei mit ihnen befreundet. "Drive to Survive" schafft Nähe zu den Protagonisten, biedert sich aber wie schon erwähnt nicht an. Und theoretisch ist die Reihe ewig fortsetzbar: Die besten Geschichten schreibt meist eben doch das echte Leben. Die Macher müssen einfach nur die Kamera laufen lassen.
Die neue dritte Staffel von "Drive to Survive" ist ab sofort bei Netflix verfügbar.