Frau Kirchhof und die Gefühlshand

Foto: sendungsbewusstsein"Ein Hauch von Nordkorea" (Nikolaus Brender) weht am Sonntagabend durch die vier wichtigsten Fernsehsender des Landes, eine moderierende Elefantenrunde bringt sich in Stellung, zwei entschlossene Politiker treten gegeneinander an, sich in ihrem Bemühen zu übertreffen, Vertrauen zu erwecken. Ein dahindümpelnder Fernsehstandort bekommt so etwas wie Glamour ab, manche Lokalzeitung sieht "die Straßen leergefegt", Blitzumfragen präjudizieren die mediale Weiterverwertung eines Spektakels, und am Ende glaube ich doch nur Samy Molcho.

Der ist zwar nicht Politiker und auch keiner der vorher, nachher und zwischendrin überraschten und angetanen (Hans-Ulrich Jörges) "politischen Beobachter", sondern nur Pantomime. Was er Gerhard Schröder (42 Jahre) und Angela Merkel (16 Jahre) voraus hat: Er steht seit 59 Jahren auf der Bühne. "Der Körper ist der Handschuh der Seele", so Molcho, und bei der Beobachtung zweier Handschuhe, die für das wichtigste Amt in der Bundesrepublik angetreten sind, ist ihm vor allem eines aufgefallen: Angela Merkel sprach mit, Gerhard Schröder "ohne seine Gefühlshand".

Fotos: CDU / SPDDieser Analyse, mit der sich Molcho in die Kakophonie der Nachbetrachtung einreihte, wagten weder Roland Koch und Wolfgang Clement als Sekundanten der Kandidaten, noch der bemerkenswert schnoddrige Friedrich Nowottny, der vorsichtige Günther Jauch, noch die überforderte Frau Brigitte Huber ("Brigitte") zu widersprechen, die sich nach dem Duell eiligst bemühten, ihren ganz speziellen Standpunkt als Parteifreund, Altjournalist, Showmaster oder Frau bezüglich der vorangegangenen 90 Minuten Diskussion zu finden.

Also tangierte der Befund der Beobachter zwischen einer kampfeslustigen, überraschend sicheren und redegewandten Kandidatin und einem ruhigen, sachlichen, menschlichen Kanzler, der pünktlich zur Ausstrahlung seine besten Eigenschaften großformatig plakatieren ließ. Auf der Fahrt vom Gelände in Adlershof östlich von Berlin in ihr Studio vis-à-vis der Gedächtniskirche in Charlottenburg zumindest muss Sabine Christiansen an einer Unzahl charmanter Schröder-Bilder vorbeigefahren sein, die ihr und den anderen Millionen Experten eine Analyse leicht machen sollten.

Gegen 20.30 Uhr saß sie noch mit den drei anderen Spatzen dicht an dicht und verkörperte die Kompromisslinie, die die Reduzierung auf ein Duell mit sich brachte. Immerhin ein interessantes Motiv der versammelten Anchor- und Polittalk-Elite des Landes, den sie gemeinsam mit Frau Illner, Herrn Kloeppel und Herrn Kausch abgab. Den Haselstrauch verdiente sich schon nach wenigen Minuten der Sat.1-Alleinunterhalter Kausch, der mir, aber vor allem Merkel-Berater Haussmann leid getan haben dürfte, als er die Kandidatin mit "Frau Kirchhof" ansprach.

Foto: DWDLDass man ganz ohne einen Blick auf die Blitz-Umfragen nicht auskommt, ist der Verwettungskette geschuldet: Die mickrige Zahl der Zuschauer, die vor, während und nach der Veranstaltung zur persönlichen Präferenz befragt wird, scheint in der Betrachtung der Presse schlicht den Souverän auszumachen. So kommen heute Headlines wie "Gerds letzter Sieg" (Berliner Kurier) oder "Schröder punktet beim TV-Duell" zu Stande. Mindestens 15 Punkte lag Schröder nach allen Schnellstumfragen vor Merkel.

Die interessante Frage, wie viele der 21 Millionen Zuschauer bei Kauschs Freud'schem Fehler gelacht und wie viele die Stirn in Sorgenfalten gelegt haben, bleiben die Umfrageinstitute noch schuldig. Spätestens nach dem guten Gag aber stand ein zweiter Mann Angela Merkel gegenüber. Dem Fernsehkanzler, Goliath, Televisionär würde sie Paroli bieten können, das offenbarte sich nach wenigen Fragekomplexen. Dem "Third Man", von Schröder hinlänglich vorgestellt als "Heidelberger Professor", aber war sie hilflos ausgesetzt. Denn in aller Angriffslust war es nun ihre Aufgabe, einen radikalen Plan zu verteidigen - und nicht mehr allein ihren Anspruch auf Regierungsfähigkeit. Frei nach der Devise seines Vorvorgängers Schmidt, "wer Visionen" habe, müsse "zum Arzt", fand sich Schröder in der Rolle des sozialen Realisten, der mit - wohlgemerkt einer - ruhigen Hand auf den Dritten eindrosch.

In Weblogs und auf Homepages, auf Seite 3 mancher überregionaler Zeitung wird dieses Duell, vielleicht auch in einem Anflug von Abschiedsangst, als eine weitere Audienz des Fernsehkönigs ausgewertet, der instinktsicher Treffer landete, wo er Treffer landen konnte - mit einer Liebeserklärung an seine Doris, die, und nur die sich so richtig bescheuert zur Gegenkandidatin äußern könne und dies "auch lebe". Den Blitzumfragen folgt das Donnergrollen derer, die es sowieso gewusst haben.

Mir blieb am Ende nur Samy Molcho; wo zwei Experten sind, da sind zwei Meinungen; wo eine Zahl steht, da erzählt oder zitiert man sie; wo ein Jörges, da auch ein Nowottny. Alle mehr oder minder verankert in einem Jauch'schen Meinungsgefüge, das Merkels große Aufholjagd oder Schröders standhaften Kampf mehr pointiert. Der Wunsch eines verkaterten Morgens, dass doch alle mal für einen Moment die Schnauze halten sollen, ausgedrückt von Samy Molcho: "Ich habe nicht zugehört, was sie gesagt haben." Alles was er sah, war die Verliererin Merkel, deren Körpersprache Ratio und Gefühl verband. Dafür kann es eine einfache Erklärung geben: Sie fühlt sich gut, weil sie Kanzlerin ist.