Bild:WDR/VisserWie er sich denn fühle, wurde Tom Buhrow nach seiner Wahl zum Moderator der Tagesthemen gefragt; er fühle sich „komisch“, antwortete er. Wenn Ulrich Wickert im September kommenden Jahres zum letzten Mal „das Wetter“ ankündigt, dürfte dieses Gefühl von seinen Zuschauern geteilt werden. Die Jüngeren unter ihnen werden mit mir einhergehen: Diese Sendung kann gar nicht bestehen ohne den gemütlichen Onkel Uli, dem Versprecher gerade recht kamen, um seine ganze Seelenruhe zu demonstrieren. Dieser Sendeplatz sollte nach ihm benannt werden, die Wickert-Schiene lebt schließlich vom warmen Vibrato des Gutenachtlieds. Und vom kehligen R in der „geruhsamen Nacht“, das keiner mehr so gut können wird wie er. Reisereportagen wird er bald machen, nach dem Vorbild Gerd Ruges und Klaus Bednarz‘.

Dem Gefühl nach wird Tom Buhrow eine schwere Mission antreten. Vielleicht wurde deshalb soviel über die Nachfolgeregelung geunkt; auch deshalb fielen die Reaktionen auf die Urlaubsvertretung durch Gerhard Delling eher zwiespältig aus (vergl. Sendungsbewusstsein vom 25.07.). Dessen Engagement wurde wohl überbewertet, dennoch konnte man sich getrost fragen, ob die ARD sich ihrer Talente überhaupt bewusst war. Der Name Buhrow war seit Anfang des Jahres im Gespräch, aber es vergingen lange Monate, bis die Intendanten ihre Entscheidung offiziell machten.

Wer die US-Wahl 2004 verfolgt hat, kennt Tom Buhrow. Das Duell zwischen George Bush und John Kerry genoss die ungeteilte Aufmerksamkeit der deutschen Nachrichtensendungen und wurde zu einem Fernsehereignis. Buhrow führte als Moderator durch zahlreiche Sondersendungen, erklärte dem Publikum „Swing States“ und das „Electoral College“. Der Wahlabend wurde zu einer Enttäuschung für den Großteil des deutschen Publikums; die ARD-Berichterstattung aber war eine große Leistung, und Tom Buhrow empfahl sich für höhere Aufgaben.

Auf den ersten Blick teilt der Washingtoner Korrespondent nicht allzu viel mit Wickert, der bekennend frankophil, kunstsinnig, Offizier der französischen Ehrenlegion, „Old Europe“ verkörpert. Buhrow „liebt Amerika“, die Rolling Stones und war zwei Jahre lang Schüler an einer High School in Wisconsin. Er ist ein smarter Typ, setzt weniger Pausen und mehr humorvolle Momente ein und könnte auf Dauer mehr Esprit und Nonchalence kultivieren als sein Vorgänger. Gemeinsam haben sie die Verortung jenseits der Begriffe „Anchorman“ und „Nachrichtensprecher“, das, was einen Tagesthemen-Moderator auszeichnet: Den eigenen Stil. Außerdem teilen Wickert (1978-1984 als Korrespondent, 1984-1991 als Leiter) und Buhrow (2000-2002 als Korrespondent) den ehemaligen Arbeitsplatz 31 rue Colisée, das ARD-Studio Paris.

Tom Buhrow hat eine klassische ARD-Karriere hingelegt: Vom Volontariat beim WDR über den Einsatz als Redakteur und Reporter bei der Tagesschau über den Umweg Paris ins Washingtoner Studio. Bis zu seiner Tagesthemen-Premiere wird man die Schalten in die USA mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgen. Dass der 47-jährige Rheinländer nicht immer alles so ernst nimmt, bewies er am Rande der Wahlberichterstattung, als er zugab, ihm sei die Haltung John Kerrys zur Todesstrafe „nicht geläufig“. Vielleicht ein Patzer für einen Korrespondenten, sicher aber ein Ausweis seiner Bodenhaftung. Auch nicht die schlechteste Eigenschaft für die Tagesthemen. Sicher ist: Bei seinem Antritt werden wir ein komisches Gefühl haben. Aber ich glaube: Es wird sehr schnell ein ziemlich gutes.